Fossile Aufnahmen?
#8
Zum Klang bzw. zum Qualitätsserhalt hatte ich mich noch nicht geäußert. Oben war aber dazu aber von Andreas eine grundätzliche Frage gestellt, daher droht wieder einige Länge. (Wem's auf den Senkel [1/4'] geht, der möge darüber hinweggehen...):

Frühe Aufnahmen -einmal abgesehen von den Sprachaufnahmen auf den beiden Papierbandsequenzen, die erstaunlich gut tun- sind natürlich wegen der Gleichstromvormagnetisierung ziemlich schlimm anzuhören. Für Sprache aber reichte das aus, weshalb man sich bei ein wenig Sensiblität selbst heute noch durchaus in das Erfolgsgefühl der Leute um Volk, Schüller, Rukopp, Voigt und Westpfahl hineinversetzen kann.
Die Aufnahmen mit den Wüst-Schülern und Beecham im Feierabendhaus, LU dürften heute noch so klingen, wie sie einmal taten, auch wenn Klirrfaktor und Frequenzgang als Ingredienzien des Gleichstromverfahrens erhebliche Wünsche offen lassen, was man auch damals im Vergleich zur Schellackplatte oder der Decelith-Folie, geschweige denn im Vergleich zur Originaldarbietung am Ausgang des Mikrofonverstärkers hörte. Die Mikrofone (zumeist Neumann CM3, die "Flasche", oder das ebenfalls durch G. Neumann verbesserte Reisz-Kohlekörner-Mikrofon ["Marmorblock']) konnten erheblich mehr und halten im Falle des CM3 noch heute tadellos mit.
Und dabei weigerte sich die RRG ja beharrlich, aber nicht grundlos, oberhalb von 10 kHz zu messen.

Ich besitze neuzeitliche Aufnahmen mit einem CM3 der ersten Generation, anhand derer man die Leistungsfähigkeit der M1-Kapsel (1927!) hören kann. Der Klang dieser Mikrokapsel (M1!) jedoch wurde von Helmut Krüger, Tonmeister der RRG, später Leiter der Technikdisposition in Berlin, u.a. auch Aufnahmeleiter der erhaltenen Stereos von 1943/44 in den 1980ern als "hässlich" bezeichnet, weshalb man Neumann mit neauen Änderungsvorschlägen in den Ohren lag, hier etwas zu ändern. Das geschah dann auch, weshalb ab 1932 die RRG die Kapsel M1a erhielt, die einen von heutigen 'diffusfeldentzerrten' Mikrofonen nicht mehr abweichenden Frequenzgang und entsprechenden Geräuschspannungsabstand besaß, der natürlich weit über dem von Schellacks oder Folien, vor allem aber dem früher Magnetbandaufnahmen lag.
Demnach kann der Beginn der Magnetbandtechnik für die RRG- (und Schallplatten-) Leute zunächst kaum mehr als eine Lachnummer gewesen sein, denn mäßige Speichermedien hatte man ja schon genug. Insofern ist es für die weitere Geschichte des Verfahrens analoger Seicherung überaus wesentlich, dass eine betriebspraktisch überaus erfahrene Gruppe um Walter Weber und Hans Joachim von Braunmühl mit in die Entwicklung einstieg.

Hört man sich dazu die erhaltenen Aufnahmen der ersten öffentlichen Vorführung des Hf-Magnetofons vom 10. Juni 1941 an, stellt man auch noch erheblichen Nachbesserungsbedarf fest. Ungeachtet der Tatsache, dass diese Aufnahmen handwerklich zweifelhaft sind und daher sicher nicht von der RRG, sondern der AEG stammen, ist selbst für den mit der Materie nicht vertrauten Hörer offenkundig, dass man mit der hohen Schule der Entzerrung (also dem geschickten Umgang mit aufnahmeseitiger Vorverzerrung und wiedergabeseitiger Entzerrung der Frequenzgänge/Magnetisierungen des Bandes) noch nicht sicher umging, obgleich das Verfahren von Weber ja schon im März 1940 entdeckt worden war.

Da muss dann in der zweiten Jahreshälfte 1941 einiges vorangegangen sein, weil die zu den ersten archivierten Magnetbandaufnahmen der RRG zählende Sitzung mit Schmidt-Walter und Raucheisen vom 31.12.1941, wirklich so tut, wie wir das heute erwarten.
Plötzlich war man bei einem Geräuschspannungsabstand von 60 dB (mitunter sogar noch darüber), einem Klirrfaktor im Zehntelprozentbereich und einem Frequenzgang, der eigentlich in erster Linie durch die Tonköpfe limitiert war, aber durchaus bis 12, ja 15 kHz hinaufreichte. All dies kannte man bisher natürlich von der Direktabhöre (vor Speicher), vom Speicher kommend aber war diese Qualität bislang 'unerhört'. Folgerichtig dachte man auch gleich an zweikanalige Stereoaufnahmen (also die Halbierung der Spurbreite und Reduktion des Geräuschspannungsabstandes!), von denen schon die im Dezember 1941 in Gestalt eines Vorführtermines die Rede ist. Was da lief, wissen wir aber nicht. Hochwertigste Lautsprecher gab es in Gestalt des VOrläufers von Eckmiller O15 bereits.

Schmidt-Walter+Raucheisen sind in den Originalen wenigstens teilweise beim Deutschen Rundfunkarchiv erhalten, wovon ich auch einen Mitschnitt (ab DSR) einer Vorführung des Originalbandes im April 1993 (auf geeigneter, neuzeitlicher Spezialmaschine: RRG-Entzerrung -soweit bekannt-, 77 cm, Bandbreite 6,5 mm) besitze. Vom zweiten Band dieser Sitzung (31.12.41) verfüge ich auch über eine rein analog überlieferte Kopie, so dass man die damit gemeinhin verknüpften Glaubensbekenntnisse reizvoll diskutieren könnte. Das Ergebnis wird/würde unerwartet sein. Vor allem das Originalband hat durch sich selbst seither nicht hörbar gelitten!

Diese Aufnahmen gehen noch heute bis über 15 kHz hinauf, machen einen überaus frischen, nicht etwa abgenudelten Eindruck. Man kann daraus schließen, dass die Aufzeichnungen wie schon diejenigen der Wüst-Gruppe oder Beechams mit dem London Philharmonic Orchestra nicht zuletzt wohl wegen der sehr hohen Bandgeschwindigkeiten überaus stabil sind. Folgeichtig äußern sich die Probleme auch eher in mechanischen Schäden des Bandmaterials, das mitunter überaus brüchig und daher oft auch nicht mehr abzuspielen ist.

Die Qualität der Aufzeichnung wurde dann über die folgenden Jahre nur ausnahmsweise weiter gesteigert, wenn eben die wirklichen Fachleute an den Maschinen und Verstärkern solange herumbosselten, bis sie sie an der oberen Grenze hatten. Das muss unzweifelhaft bei den Stereos (1943, sicher noch mit K4; 1944, vermutlich mit K7) der Fall gewesen sein. Bedenken wir, dass zu dieser Zeit die Spaltsenkrechtstellung immer noch mikroskopisch und außerhalb der Maschine kontrolliert wurde, und die Betriebseinmessung anhand komplizierter Bezüge zwischen Nf- und Hf-Kopfstrom eingestellt wurde. Dei Delta-10-Khz-Methode (also Systemverhalten bei quasi konstantem Nf-Kopfstrom und variiertem Hf-Strom) kam ja erst im Verlauf der 1960er Jahre in Gebrauch. Allgemeine Bezugsbänder gibt es erst seit der Mitte der 1950er Jahre, sieht man davon ab, dass die RRG ab 1944 solche Pläne verfolgt wurden und die ARD-Anstalten seit Beginn der 1950er ein eigenes Testband hatten.

Vergleicht man die klanglichen Ergebnisse von Aufnahmen aus den letzten Kriegstagen mit solchen der ersten Nachkriegszeit, so lag das Problem offenbar weniger in der Hardware (also hier den Bandgeräten) als vielmehr im Bandangebot, das noch immer darunter litt, dass die Explosionsfolgen 1943 in Ludwigshafen nicht verdaut waren. Auch in Ostdeutschland, wo nun (endlich) AGFA Wolfen 'voll' (???) und ohne argwöhnische Blicke aus LU in die Fertigung von Magnetband einsteigen konnte, hatte man erhebliche qualitative Probleme, wie mir mein Kollege G. S. bestätigte, der 1947 beim Sender Dresden angefangen hatte und seine Tage im ostdeutschen Rundfunk beim RFZ beendete: "Der Tonschreiber Berta II tat seinen DIenst, und Band hatten wir ja auch; das allerdings konnte vor allem eines sehr gut: Rauschen."

Dies lenkt ein letztes Mal den Blick auf die Probleme dieser Tage: Die miserable Chargengleichheit des Bandmateriales und die relativ großen Streuungen im Kopfbau. DIe Stabilität der Aufzeichnungen litt unter den mechanischen Engpässen der Bänder. Natürlich begrenzte auch die Grobkörnigkeit und die in der Beschichtung nicht in Bandlängsrichtung gerichteten Magnetitpartikel sowie das Dropuout-Verhalten die Qualität der Aufzeichnung, was aber mit 77 bzw. später 76,2 kein so dramatisches Problem war. Diese kamen mit der magnetisch-elektrischen Verbesserung der Bänder und der daraus entstehenden Verringerung der Bandgeschwindigkeiten.

Hiweisen möchte ich auch noch auf die niedrigen Aussteuerungen bei jenen hohen Bandgeschwindgkeiten, womit dennoch gute Geräuschspannungsabstände erreicht wurden: Man steuerte oftmals nur bis 100 pWb/mm aus, woraufhin man in den 1950ern langsam auf 320 pWb/mm überging und mit Einführung der Stereofonie 514 pWb/mm normierte. Diese Werte überschreitet die Praxis natürlich je nach Modulationstyp um bis zu 5 oder 6 dB, wobei man in der Frühzeit auch ordentlich mit der Entzerrung experimentiert zu haben scheint. Mir kam nämlich dieser Tag ein Band (AGFA Wolfen Typ C) von 1959 unter, das laut Kartonaufschrift zum einen definitiv mit 77 cm/s aufgenommen worden war, zum anderen der zeitgenössischen Entzerrung (35 µs seit 1956) aber in keiner Weise folgte. Das Band wies eine dramatische aufnahmeseitige Höhenanhebung auf, von der im beigefügten Doku-Material aber keine Rede war. Aus den Pegelergebnissen war nun zu erschließen, dass die Aussteuerung bei 100 pWb/mm gelegen haben muss. Nun, auch das ZDF spielte in seiner Frühzeit von Bandmaschinen zu, die auf 100 pWb/mm (also 10 dB unter 320 pWb/mm) kalibriert waren.
Mein Urband 2 vom November 1951 bezieht sich aber eindeutig auf 320 pWb/mm.
Übrigens verwendete Radio Beromünster bei der ersten A27-Aufnahme auf den Luzerner Festspielen 1951 (der Studer-Willi stand daneben und Holenstein erzählt davon) 38 cm/s und Scotch 111. Unser Willi wird gewusst haben, warum er diese Empfehlung aussprach.

Hans-Joachim
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
[Kein Betreff] - von capstan - 03.12.2004, 11:12
[Kein Betreff] - von Frank - 03.12.2004, 11:54
[Kein Betreff] - von Michael Franz - 03.12.2004, 12:19
[Kein Betreff] - von PhonoMax - 03.12.2004, 15:43
[Kein Betreff] - von capstan - 03.12.2004, 21:02
[Kein Betreff] - von PhonoMax - 03.12.2004, 22:52
[Kein Betreff] - von MichaelB - 03.12.2004, 23:42
[Kein Betreff] - von PhonoMax - 04.12.2004, 12:54
[Kein Betreff] - von capstan - 05.12.2004, 20:49

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 3 Gast/Gäste