Fossile Aufnahmen?
#4
Originale besitze ich aus den späten Vierzigern, ein Testband aus dem November 1951 (Urband Nr. 2 der AGFA), familieneigene Sülze von 1952 an.
Kopien jedoch habe ich von sehr prominentem Kram, so einen Abzug jener Aufnahme des Kaisers Franz Joseph (20. September 1900) mit seinem Technologie-Adlaten Hofrat Exner, der dann sicherheitshalber erklärt, was, wozu und wieso seine "Majestäät, da Kääsa, die Gnade" hatte, "in den Apparat" (Poulsens Telegraphon) zu sprechen, also kurz (O-Ton Süd) 'sogn hot woin'. Diese Aufnahme ist ja weitgehend bekannt und mir auch schon im Net untergekomen. Das Original liegt meines Wissens im Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien.

Dramatischer wird es mit jenen Papierbändern, deren Besitz sich der alte AEG-Mann Hans Westpfahl zu späteren Lebzeiten glücklich schätzte. Es sind dies nämlich Papierbänder der frühesten Generationen mit Versuchsaufnahmen aus dem (AEG-)Kabelwerk Oberspree gewesen, die demnach wohl im Herbst 1932 entstanden sein dürften. Darauf lässt sich Prof. Rukopp (Forschungs- und Entwicklungschef bei Telefunken) bildungsberlinernd "vanehm'" Da man den Vertrag mit Fritz Pfleumer (des Bandes und der Aufzeichnungsmethode wegen) im August 1932 abgeschlossen hatte, könnte diese Aufnahme wohl ab August 1932 entstanden sein. Eine zweite ist datiert, denn sie wurde ebenfalls im Kabelwerk Oberspree am 29. 1. 1934 mit Eduard Schüller und Fritz Voigt aufgenommen.

Die Originale befanden sich ursprünglich im Besitz von Eduard Schüller; Hans Westpfahl restaurierte sie, so dass sie kopiert werden konnten. Er scheint sie danach behalten zu haben, denn Nachforschungen nach seinem Tode (1991; 15 Jahre nach Schüller) richteten sich gezielt auf diese Bänder, was wohl nicht ohne Grund geschah. Allein, die Bänder blieben verschwunden. Westpfahl wird sie als alter Pappa 'entsorgt' haben. Die Kopien jedoch sind vorhanden.

Weiterhin habe ich die Kopie einer der ersten Aufnahmen der IG Farben LU vom 27.4.1935 im Nationaltheater Mannheim mit dem AEG-Versuchslaufwerk 4 (letzte Version vor dem Drei-Motoren-Laufwerk Theo Volks), das 1935 den IG-Farben-Leuten durch die AEG zur Verfügung gestellt worden war. Dies ist wohl die erste erhaltene Musikaufnahme mit dem ursprünglich gar nicht für diese Zwecke gedachten Bandgerät. Der damalige Generalmusikdirektor Philipp Wüst gibt im Anschluss an eine etwas abenteuerliche Bearbeitung einer Marcello(?)-Sonate (für Klavier und Violoncello) ein sehr interessantes, für einen Musiker fast legendäres Statement ab, an das er sich (gemäß einer anderen Quelle) dreißig Jahre später erinnerte, als er BASF-Leute traf, die daraufhin dieses Band suchten und ---- fanden. Ob es heute noch existiert, weiß ich nicht. Bilder von ihm gibt es auf jeden Fall.

Nun, dann kommen wir ja schon zum "Reichsautozug" und zu jener berühmten Aufnahme im Feierabendhaus der IGFarben bzw. BASF, bei der Thomas Beecham das London Philharmonic Orchestra für die Alt-BASFler am 19. November 1936 dirigierte. Fiele das heute Herrn Pierer oder Herrn Mehdorn ein? Nee, is nich'. Aber der GröFaZ bellte sich ja auch kostenlos aufs Magnetband des Reichsautozuges, der im Grunde eine modernst ausgestattete, mobile Baschallungsanlage war. Offenbar nötigt man uns derlei als Vorbild auf.

Und so geht das dann weiter, denn der Bestand vom 10. Juni 1941 ist ebenfalls da, als die AEG das Hf-Magnetofon im Berliner Ufa-Haus öffentlichst vorführte (berichtetende Aufsätze in vielen Zeitungen und Zeitschriften, darunter auch in der damals international renommierten Funkschau). Auch hier gibt es die Originale nicht mehr, sie gingen dem Vernehmen nach auf einem Posttransport verloren. Die letzte Aufnahme dieser Vorführung existiert überhaupt nicht mehr (also auch in keinem der Kopienüberlieferungsstränge), wobei der Grund für diesen Verlust eines Satzes der 4. Symphonie Brahmsens mit den Berliner Philharmonikern unter Furtwängler nicht bekannt ist.
Mit dem Jahresende 1941 begann der archivierte Magnetbandbetrieb bei der RRG, wovon mir zwei sehr unterschiedlich überlieferte Kopien aus ein- und derselben Sitzung mit Karl Schmidt-Walther und Michael Raucheisen vorliegen. Hier hört man, wie unterschiedlich solche Überlieferungen heute technisch 'interpretiert' werden können.

Rundfunkmitschnitte, sämtliche Stereos der RRG, "Mitschnitte des Deutschen Tanz- und Unterhaltungsorchesters" (dort soll nach Angaben von Musikern des Ensembles auch stereo produziert worden sein) aus Prag besitze ich ebenfalls (Benatzky, Baerenz). Hier befand man sich ab etwa 1944 auch in der glücklichen Lage, auf eine der wenigen verfügbaren K7 zurückgreifen zu können.

Abgesehen von den erheblichen Beständen des Deutschen Rundfunkarchives gibt es auch eine Reihe von Sammlern, die historisches Material gehortet haben, das durch Bandgeschwindigkeit und die heute noch immer nicht restlos zuverlässig geklärte Entzerrung bei der Wiedergabe gewisse Probleme bereitet.

Die RRG und sicher auch der sonstige zeitgenössische Tonkopfbau gaben sich mit 10 kHz zufrieden, was sich nach dem Krieg signifikant zu ändern begann:
Die mir vorliegende Magnetband-Aufnahme aus der Philco-Radio-Show, die John T. Mullins mit seinen modifizierten Reichspost-K4en (neue Verstärker, neuer Hf-Generator, optimierte Entzerrung. Ob noch mit 77 cm/s oder schon 76,2, darüber gehen die Meinungen auseinander) am 1. Oktober 1947 bei ABC über den Sender ließ, vor allem aber Willi Studers erste professionelle Aufnahme auf Magnetband bei Radio Beromünster (mit A 27 auf den Luzerner Festspielen 1951) zeigen, dass eine Aufnahme bis 17 bzw. 20 kHz bereits möglich war, wenn man das System konsequent optimiert nützte.

Ich habe die Dinge sämtlich auf CD, weshalb sie leicht vorführbar wären...


Hans-Joachim
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