"Deutsches Rundfunkorchester 1940"
#2
Lieber Hubert,

woher, dein Band stammt, weiß ich natürlich nicht zu sagen. Was ich aber angesichts der Programmbeschreibungen ziemlich sicher annehme, ist die nicht ganz korrekte Wiedergabe des Namens des Instrumentalensembles. Hinter ihm vermute ich nämlich das "Deutsche Tanz- und Unterhaltungsorchester", das auf eine Initiative des ansonsten nicht gerade kulturpolitisch bedeutungsvoll hervorgetretenen Jagdfliegers Werner Mölders zurückging. Er beklagte sich bei dem U-Musik-Komponisten und -Arrangeur Franz Grothe darüber, dass ein vernünftiges Jazz-Ensemble deutscher Zunge nicht existiere, er also Fremdsender anhören müsse.

Grothe verstand es über die Reichsmusikkammer, einen jener berühmten Befehle der Chefetage (nicht der Musikkammer) zu erwirken, über den 1940/1941 die besten, in Deutschland überhaupt greifbaren, einschlägig befähigten Musiker zusammengeholt und von besten U-Musik-Kapellmeistern für Aufnahmen des Rundfunks gedrillt wurden. Über die Jahre kamen infolge der 'deutschen Rückgriffe auf fremde Länder' auch Musiker anderer Nationen (Holländer, Belgier, Franzosen) hinzu, die praktisch ausnahmslos nach dem Kriege für die Wiederbelebung der europäischen U-Musikszene sorgten. In Deutschland waren dies z. B. Gerhard Haentzschel, Ralph Benatzky, Charlotte Baerenz, Willy Berking, Willi Stech und Barnabas von Geczy, die ausahmslos mit dem DTU verbunden waren.

Bis etwa 1943 'tagte' das immer um 38 Mann starke DTU in Berlin, wurde dann aber wegen zunehmend bleihaltiger Luft ebendort nach Prag ausgelagert, wo man unter anderem auch stereofon (!) aufnahm, wovon aber dem Vernehmen nach nichts erhalten blieb. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein 2001 oder 2002 auf der Interradio in Hannover nach den USA (Canton, Michigan, nahe Detroit) verkauftes Bandkonvolut eindeutig originaler RRG-Herkunft (Magnetbandlabor der RRG, ab Spätherbst 1944 im Prämonstratenserkloster Speinshart, Oberpfalz) wenigstens ein RRG-Stereoband des DTU enthielt (77 cm/s, 6,5 mm breit), doch ist aufgrund des Todes des Besitzers vor einigen Jahren (bevor ich seiner habhaft werden konnte) auch dieses Relikt inzwischen den Weg allen Fleisches gegangen. Die Erinnerungen beteiligter Musiker an jene Stereoaufnahmen (mit K7!) werden daher sicher die einzigen Belege dafür bleiben, dass man sich rrg-seitig auch mit U-Musik-Versuchsproduktionen in hochwertiger stereofoner Technik befasste.

Im Jahre 2005 wurde Axel Jockwer in Konstanz mit einer musikwissenschaftlichen Dissertation zu Geschichte und kulturpolitischem Umfeld des DTU zum Dr. phil. promoviert. Diese Arbeit, die eine Fülle von Material zu diesem Ensemble zusammenträgt und das politische Begleittheater vielfältig und anhand einer ganzen Reihe von Dokumenten beschreibt, steht noch heute im Internet:

http://kops.ub.uni-konstanz.de/volltexte...ockwer.pdf

Die heute gängige Sicht auf die bemerkenswert merkwürdige und inkonsistente Kulturpolitik der NSDAP-Gliederungen (man kann dazu auch allerhand bei Walter Kempowski, wenn auch romanhaft verbrämt, nachlesen) ist mehr als nur schief und eigentlich nur von Unkenntnis und Vorurteilen belastet, die auch von den Nachgeborenen offenbar nur deshalb aufrecht erhalten werden, weil dann die Beschäftigung mit dem ganzen Kram unterbleiben kann.

Dazu hingegen den des Naziosmus völlig unverdächtigen Sebastian Haffner zu lesen, bewährt sich nicht wenig, denn als "preußischer Jude", als den er sich selbst bezeichnete, mahnt er regelmäßig dazu, dieses "Theater" (so mein Wort) eben genau nicht als solches zu sehen, sondern als faktische Realität, die um einiges komplizierter war als das kulturlose Geschrei ihrer Protagonisten, das durch das Magnetband auch uns noch angsteinflößend ins Ohr dringt.

Dein Band gibt in Kopie die in Legion erhaltenen und in einer längeren Reihe von CDs publizierten Aufnahmen wieder.


Hans-Joachim
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