Bandgeschwindigkeiten anno 1946
#1
Im Spiegel 42/2006 wird über die Nürnberger Prozesse berichtet und erwähnt, dass "27000 Meter Tonband und 7000 Schallplatten" jedes Wort festhielten. Wieviel Stunden mögen das gewesen sein? Vor allem die 27 km Tonband wirken auf den ersten Blick beeindruckend, wenn die aber mit 77cm/s bespielt worden sind, bleibt nicht mehr viel übrig.
Sind damals Tonschreiber oder vielleicht eher amerikanische Geräte verwendet worden?

niels
Wer bei Stereoaufnahmen kein Gegenspur-Übersprechen haben möchte, sollte Halbspur-Maschinen verwenden.
Zitieren
#2
Sicher, auf den ersten Blick wirken 27 km Tonband beeindruckend, aber selbst mit 38 cm/s sind das grade mal knappe 40 Stunden Aufnahmezeit. Das reicht nicht einmal für den Ton bei einem Einzelverfahren, geschweige denn für einen solchen Mammutprozeß.

Vor einigen Wochen habe ich 2 1/2 Tage Aufnahmen gemacht, 5000m sind dabei durchgelaufen, abgebrochene und wiederholte Takes nicht eingerechnet.
Frank


Wer aus dem Rahmen fällt, muß vorher nicht unbedingt im Bilde gewesen sein.
Zitieren
#3
Obgleich ich mich mit der Überlieferungssituation der Mediendokumente zu den Nürnberger Prozessen (20.11.45-1.10.46) nie befasst habe, glaube ich doch anhand von Indikatoren auf ein bestimmtes Umfeld schließen zu können:

Nachdem 1945/1946 in den USA weder eine Bandgeräte- noch eine Tonbandfertigung angelaufen war, ja, man noch nicht einmal einen ordentlichen Überblick über die deutschen induktiven Medienspielereien der Jahre seit 1940 gewonnen hatte (die einschlägigen Passagen der Geheimdienstreports waren -als Niederschriften Braunmühls- bei Beginn der Prozesse am 20. November 1945 vermutlich noch im Entstehen begriffen), könn(t)en Tonbandgeräte bestenfalls aus den Beständen der RRG, der Wehrmacht oder der Reichspost verwendet worden sein. So sie denn überhaupt verwendet wurden, denn dagegen spricht zum einen die kriegsbedingte Seltenheit funktionstüchtiger Exemplare, der erhebliche Bandengpass (Fertigung lief im Odenwald sicher auch 1946 nur rudimentär, wenn überhaupt), zum anderen aber auch die Qualität der erhaltenen akustischen Dokumente, die hörbar (Mikrofone und Speicher) unterhalb der Schwelle des Hf-Magnetofons angesiedelt ist. Überdies vermisst man Neumanns CM3 auf den Gerichtssaalfotos.

All dies spricht für importierte und nicht hierzulande mühsam (aus Feindeshand!) zuammengekratzte Technik, die dann ja auch von dieser hätte bedient werden müssen. Übrigens kam die Dometscheranlage von IBM.

Für die Amerikaner dürfte es daher schlicht in jeder Hinsicht einfacher und zuverlässiger gewesen sein, Tondrahtgeräte mit bekannt funktionierender Peripherie aus den USA anzuschleppen -man brachte ja sogar Lokomotiven mit- und/oder das, was festgehalten werden sollte, eben gleich auf Tonfilm nach dem Lichttonverfahren aufzunehmen. Rechtsverbindlich war damals ja ohnehin nur das, was der Stenograf/Protokollant 'mitgenommen' hatte.

Die Einlassungen des Spiegels klingen vom Standort des Historikers aus betrachtet einmal mehr nach ungeprüft -journalistisch nicht eben umsichtig- übernommenen Drittinformationen (Agenturen?); mittlerweile gehört diese typische und wohl als lässlich empfundene Sünde ja zur Normalität in diesem Mainstreamblatt modernistisch halbgebildeter Journaille.

Hans-Joachim
Zitieren
#4
Hans-Joachim,

genau im Sinne des letzten Absatzes Deines Kommentars habe ich darauf verzichtet, den SPIEGEL (bitte: ich lese ihn seit Herbst 1961!) auf die krumme 27.000 Meter-Sache aufmerksam zu machen. Eine Berichtigung - hier eher das Nachtragen der Information in den entsprechenden Datenbanken und Quellensammlungen - ist dermaßen unwahrscheinlich, dass man sich die Arbeit wirklich sparen kann. Im Zweifelsfalls kommt nämlich heraus, dass es sich nicht um Ton-band-, sondern um Ton-draht-Geräte gehandelt hat (und davon hatten die Amerikaner, siehe Begun / Brush, Camras / Armour, einen erstaunlich breiten Gerätepark). Oder, noch schlimmer, es geht um Lichtton-Negativfilme, denn wie sonst hätte anno 1946 der Ton zum Bild aufgenommen werden können?

Mal ganz überschlägig: bei 77 cm/s reichen 1.000 m Band für 20 min, 27.000 m also für neun Stunden Aufnahmezeit und somit vermutlich nicht einmal für zwei Verhandlungstage. PISA!

Aber seien wir mal ehrlich: es geht wirklich nur um ein kleines Detail. Und jetzt widerspreche ich mir entschlossen selbst: wenn solche leicht nachprüfbaren Details nicht stimmen, wie steht es dann um die komplizierteren?

Insgesamt geht es immer noch darum, dass einige der Herren Geisteswissenschaftler (Damen nehme ich aus) immer noch mit einer gewissen Verachtung der Technik gegenüberstehen, ohne kapiert zu haben, inwieweit ihnen diese Technik ihr Leben überhaupt in seiner heutigen Form erlaubt. Ihre Produkte sind vermutlich auch dementsprechend.

F.E.
ZEITSCHICHTEN, barrierefreier Zugriff im "GFGF-Buchladen", URL https://www.gfgf.org/de/b%C3%BCcher-und-schriften.html (ca. 240 MB)
Zitieren
#5
Ich kenne zufällig seit vielen Jahren einen Mitarbeiter des Landgerichtes Nürnberg (mittlerweile im Ruhestand), der vor ca. 25 Jahren bei der Überspielung besagter Bänder auf modernes Material mitwirkte. Er stellte dazu seine private Revox A700 bereit. Die Originale waren 6,5mm Tonbänder mit Bandgeschwindigkeit 77cm/sec. Der BR in Nürnberg, stellte eine geeignete Abspielmaschine bei (Typ nicht mehr bekannt). Die Neuaufnahme erfolgte mit 9,5 oder 19cm/sec. Möglicherweise bezieht sich die Längenangabe des Materials auf das der neuzeitlichen Kopie.
Zitieren
#6
Weißt du, wo die Originalbänder heute liegen, ja, ob sie überhaupt erhalten geblieben sind? Nach deinen Angaben müsste die Überspielung ja 1982 erfolgt sein, als man den Dokumenten eigentlich schon etwas mehr Interesse geschenkt haben sollte als denjenigen, die der SFB zwanzig Jahre zuvor in Gestalt der originalen RRG-Stereoaufnahmen von 1943/44 wegwarf.

Interessant ist auch, dass man für diese Mitschnitte des Gerichtsverfahrens offenbar eine kombinierte Technik aus amerikanischer und deutscher Fertigung verwendete, was die zumindest teilweise Bedienung der entstandenen Anlage durch deutsches Personal voraussetzt, da die grundlegenden Beschreibungen der deutschen Magnetbandtechnik erst gegen Jahresende 1946 ersten Interessenten in den USA und Großbritannien zur Verfügung standen.

Allein die erforderlichen Maschinen in funktionstüchtiger Beschaffenheit und das notwendige Bandmaterial beizuziehen, dürfte nicht ganz leicht gefallen sein. Sollten sich die obigen Längenangaben auf die 1982 entstandenen Kopien beziehen, müsste die vier- bis achtfache Menge an Originalbandmaterial in einer Zeit vorhanden gewesen sein, als die deutsche Industrie in Agonie darniederlag.

Neu für mich ist auch die offensichtliche Existenz einer betriebsfähigen und 6,5-mm-tauglichen K8 oder T8 bzw. einer Vollmer-R22a-Lizenzmaschine 30 Jahre nach Ende der 6,5-mm-Zeit in der Nürnberger Wallensteinstraße.

Ich danke dir deshalb für deinen Hinweis, der etwas Licht ins Dunkel bringt. Wenn du nun auch noch nachfragen könntest, ob man das Originalmaterial weiterhin archivierte.....

Hans-Joachim
Zitieren
#7
Soweit ich weiß, liegen die Originalbänder in der Asservatenkammer des LG Nürnberg. Ich werde aber mal nachfragen und vom Ergebnis berichten.

Ich habe vor einiger Zeit einen R22a Lizenzbau aus den Beständen des BR aus einem Nachlass geerbt. Diese Maschine ist aber schon in den 60er Jahren in Privatbesitz übergegegangen. Sie hat einen originalen AEG Kopfträger und ist nur mit einem Wiedergabekopf (Ringkern) ausgestattet. Dieser hat eine Abtastbreite von 7mm und es fehlt der Einschliff am Rand, den spätere Köpfe hatten. Die Bandführungen haben eine lichte Weite von 6,7 mm. Dies läßt vermuten, dass es sich dabei um eine Zuspielmaschine zum Umkopieren von 6,5mm Bändern handelte. Beim Tonmotor hat man durch eine Spezialhülse die Bandgeschwindigkeit auf 77cm/sec geändert. Vollmer hatte ja die löbliche Angewohnheit, dass man auf eine dünnere Welle als erforderlich eine Hülse aufsteckte (9,7mm). Die Bandgeschwindigkeit von 77cm/sec hatte wahrscheinlich einen banalen Hintergrund. Da man in den Anfängen normale Industriemotoren einsetzte, hatte deren Welle den Normdurchmesser von 10mm. Bei einer Leerlaufdrehzahl von 1480 U/min (Asynchronmaschine) kam man zunächst auf eine Geschwindigkeit von 77,5cm/sec, die dann unter Last auf ca. 77cm/sec abfiel. Bei den späteren Synchronmaschinen hat man dann die Welle passend abgedreht.
Zitieren


Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 9 Gast/Gäste