Forschungsprojekt: Groß-Verstärkertechnik der Nazis
#1
Hallo!

Ich wollte mich mal umhören für eine australische Medienwissenschaftlerin, die gerade an der Uni Amsterdam promoviert: und zwar sucht sie nach Angaben darüber, mit welcher Verstärker- und Lautsprechertechnologie die Nazis zur Hoch-Zeit ihres Unwesens (also 1933-45) ihre einschlägig bekannten Beschallungsaktionen (also Kundgebungen etc.) veranstalteten.
Die Wissenschaftlerin hat zwar natürlich satt Material über historische Technik gefunden, aber darüber, was damals bei politschen Kundgebungen, bei Olympia 1936 etc. etc. zum Einsatz kam... Fehlanzeige. Auch die Audio Engineering Society hat ihr offenbar noch nicht entscheidend weiterhelfen können.

Hat evtl. von Euch jemand eine Idee, wo man suchen, an wen man sich wenden, in welches Buch man gucken könnte...? Oder weiß jemand was über das Thema?

Danke!!
Michael
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#2

In  diesem Umfeld sind einige Primärquellen aufgeführt.

©DK1TCP
Vorschau '24
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#3
Lieber Michael,

eigentlich weiß ich nicht so ganz genau, wo das Problem liegt, denn einerseits schreibst du, dass die Dame "Technik satt" an Land gezogen habe, andererseits möchte sie wissen, "mit welcher Verstärker- und Lautsprechertechnologie" die NS-Granden ihre Orgien inszenierten. Das geht zum einen direkt aus den Lieferverzeichnissen der Telefunken GmbH und zum anderen den gleichzeitig in den "Telefunken-Nachrichten" publizierten wissenschaftlichen Aufsätzen hervor.

1931 war ja im Firmengeflecht von AEG, Siemens und Telefunken wieder einmal ein wenig Ordnung gestiftet worden, so dass die Technik, wenn nicht von Telefunken kommend, so doch von dieser Firma vertrieben wurde. Diesem Prinzip blieb man unter der Telefunkenraute ja länger treu.... Von Kleinanbietern mit Sonderaufgaben abgesehen (z. B. Oskar Vierling, dem Konstrukteur der ersten elektronischen Orgel) war Telefunken also technische Schaltstelle für solcherart elektroakustische Großunternehmungen.

Die NS-Verwaltung verwendete dabei alles, was gut und teuer war, "man kalkulierte nicht, man befahl" (sagte mir einmal ein damals allerdings noch sehr junger, aber aufmerksamer Zeitzeuge, der heute zu den Grandseigneurs der Tonstudioszene gehört); wer wäre sonst außer Militär, Rundfunk und Film Abnehmer für diese Anlagen gewesen?

Nachdem Großanlagen erst an wenigen Plätzen fest installiert waren (Reichstag), dürften die Beschreibungen des Reichsautozuges (und der anderen, ähnlichen Einheiten) etwa den Rahmen abstecken, den man mobil abzudecken in der Lage war, wogegen die 1-kW-Verstärker-Großanlagen von Telefunken V303/V719) wohl zeigen, was bei Festinstallationen (Nürnberg, Reichsparteitag) möglich war.

Schon seit 1931/32 hatte man sich um eine Erweiterung des Beschallungsfrequenzbereiches auf 6 bis 10 kHz bemüht und zusätzlich erhebliche Erfahrungen in der dezentralen Beschallung (nach Walter Weber übrigens mit Verzögerungsleitungen!) gewonnen. Da die bekannten dezentralen Telefunken-"Beschallungsampeln" nur sehr begrenzte Belastbarkeit (20 Watt) aufwiesen, müssen diese zu großen Netzen zusammengeschaltet gewesen oder mit dezentralen, angepassten Klein-Verstärkern betrieben worden sein. Die Ampeln sind in den Filmaufnahmen der Massenaufmärsche oftmals zu erkennen, was dann ja die Beschreibungen der Aufsätze in den Telefunken-Nachrichten illustrieren sollte.
Große Euronortrichter sind mir in einschlägigen Filmen nie aufgefallen.

Pits Hinweis trifft ins Schwarze, wobei auf der genannten Seite noch andere Bereiche für das Thema in Frage kommen, was prinzipiell auch immer mit Literaturhinweisen belegt ist:

http://www.medienstimmen.de/ela/pa/chronik/main.htm

Sollte es aber jener Australierin in Amsterdam um Sammler, deren Wissen und Erfahrungen bei Reparatur und Erforschung der Herkunft des Sammelgegenstandes gehen, müssten beim Historical Committee der AES

http://www.aes.org/aeshc/

(das ich diesbezüglich nicht primär angehen würde, denn dort hat man auch alles erst aus zweiter Hand) aber jene Sammler bekannt sein, die zumindest einige Reste dieser Gerätschaften festhielten, denn sie waren an diversen 'Conventions' beteiligt. Ansonsten denke ich, dass Nachfragen zur ja nach Mai 1945 obsoleten und damit weitgehend verschrotteten 'Hartware' in Berlin beim Deutschen Technikmuseum (J. Hoppe) vielleicht das eine oder andere magazinierte Anschauungsstück ebendort ans Licht holen könnten. Nachdem du aber in Berlin ein- und ausgehst, nehme ich an, dass all dies längst erfolgt ist.

Angesichts der zeitgenössischen Beschallungstechnik dürfen wir die durch das damals seit 1925 im Umbruch befindliche deutsche Stromnetz (220 V= -> 220 V ~) gegebenen Engpässe nicht übersehen, weil z. B. die hohen Anodenspannungen im Falle eines Gleichspannungsnetzes nur durch rotierende Umformer bereitzustellen waren, weshalb man primär auf den Umformer setzte. Zum Reichsautozug gehörte daher auch ein regelrechter Umformersatz.

Analysiert man den en detail bekannten technischen Hintergrund, bleiben kaum mehr Möglichkeiten für die Beschallung von NS-Großveranstaltungen offen, als diejenigen, die man beschritt.

Hans-Joachim
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#4
Vielleicht ganz aufschlußreich für das Umfeld:

Hinrichsen, Horst, Reichs-Autozug „Deutschland“ und Hilfszug „Bayern“, Podzun-Pallas Verlag Wölfersheim-Berstadt, 1998, ISBN 3-7909-06 47-6.

Der Reichsautozug hatte übrigens, laut einer AEG-Werbebroschüre, auch Magnetophone zur Verfügung (mit Sicherheit ab 1936, vermutlich schon 1935). Das Bundesarchiv Koblenz hat einige der erhaltenen Bänder archiviert.

F.E.
ZEITSCHICHTEN, barrierefreier Zugriff im "GFGF-Buchladen", URL https://www.gfgf.org/de/b%C3%BCcher-und-schriften.html (ca. 240 MB)
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#5
=> mk1967

Es bestünde auch die Möglichkeit, daß die Wissenschaftlerin sich hier anmeldet und direkt mit den Fachleuten korrespondiert - das ist sicherlich effizienter als der indirekte Weg.
Michael(F)
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#6
Die Schaltplansammlung Lange/Nowitsch bietet eine Reihe Schaltpläne der Verstärker, bemerkenswert ist der bei großen Exemplaren durchgehende Einsatz von Senderöhren (größere NF-Röhren gab es noch nicht), die fast immer Trioden waren.

MfG

DB
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#7
Danke schön für Eure Tips!!! Ich gebe das Bisherige schon mal weiter (freue mich trotzdem über weiteres). Smile
Michael
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#8

Lieber Michael (Jahrgang '67 ?)

Wurde eigentlich jemalas was aus der oben erwähnten Promotion? Ich habe zwar mittlerweile den Band 'Autozug' bei mir im Regal stehen, jedoch nie wieder etwas von der Groß-Verstärkertechnik gelesen.

Meine Großverstärkertechnik harrt noch der Abholung, wenn sie nicht schon 'totgelagert wurde'. So nennt man das im institutionellen Bereich, grenzenlos...

Gruß aus dem Süden,

Pit

PS: wir können die Dissertation (?) auch im Forum fertigschreiben, gäbe mal einen schönen Team-Titel ab... bei Nichterhören der Bandmaschinenrufe schalten wir einfach die 'Triodenmafia' ein; nicht lachen, die gibt es wirklich!

PPS: billy (online Wink ), kannst Du die Service-Unterlagen für diesen Hochstapler noch auf Deine Festplatte retten?

©DK1TCP
Vorschau '24
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#9
Zitat:P.Nieratschker postete
Wurde eigentlich jemalas was aus der oben erwähnten Promotion?
Lieber Pit,

da fragst Du mich was... da ich noch nix Definitives gehört habe (der Kontakt ist aber auch nicht sooo eng), vermute ich mal, daß die Kollegin noch werkelt. Zwei Jahre gehen bei einer Historiker-Diß ja mal locker ins Land (ich weiß, wovon ich rede Wink ).

Michael (stimmt, Jahrgang 67 Wink )
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