Rauschgift in der Tonband-Szene ?
#1
Ich erinnere mich genau...
...es war einmal,vor vielen Jahren,als ich damals 10jährig, das erste Tonbandgerät zu Gesicht bekam. Es war ein Röhrenkoffer mit 22er Spulen,welche sich andächtig drehten.
Fasziniert von neuer Technik, beugte ich mich neugierig weit über das röhrenbeheizte Gerät und - mir stieg ein einzigartiger, ja berauschender Duft in die Nase.
Genau dieses "Aroma" war es, das mich fortan nicht mehr loslassen und mein ganzes Leben begleiten sollte.

Auch Ihr habt doch davon genascht?
Ehrlich, wem ist es ähnlich ergangen?

Gruß Bernd
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#2
Bei mir war das nicht anders.
Der Mief warmer Röhren, die Ranzigkeit alten Öles, angwärmter Graphisstaub aufgerührt in jenem alten Öl, ich rieche das auch noch immer: Und die Erinnerung wurde von neuem Realität, als ich vor einiger Zeit und nach 35 Jahren meine ersten PhonoReges der 'Neuzeit' wieder in Betrieb nahm. Der Geruch, die Geräusche die dieses Gerät machte, das mildgrüne Aufleuchten des magischen Fächers (EM 71...), ja der Klang des nicht gerade Hifi-Ansprüchen genügenden Lautsprechers, versetzte mich in eine Zeit meiner Kindheit zurück, in der ich (nicht jemand anders) Weichen stellte. Dies geschah nicht ohne Wehmut, denn man erinnert sich dabei auch unwillkürlich der kindlichen Unschuld vor jenseits vierzig Jahren, mit der man Berufsziele verfolgte, die ihrerseits Düpierungen bereithielten, die man damals nun beim besten Willen nicht erwartete.

Ein bekannter Sammler (Musiker in Ruhe) erzählte mir dasselbe aus dem professionellen Tonaufnahmegwerbe des (ostdeutschen) Rundfunks der ersten Nachkriegsmonate, den er als musikalischer Wunderknabe bei Aufnahmen erlebte. Die ölgeschwängerte Atmosphäre der Technikräume interessierten ihn damals schon mehr als seine Rolle hinter dem Mikrofon. Da kratzte er eben seine 'Hausaufgaben' ab, um dann danach die Aufnahme auf Du und Du mit den Bandmaschinen abhören zu können. "Da roch das noch nach Maschine und warmem Öl, da war ich zuhause." Kein Wunder, dass solch einer zum Sammler mutieren muss.

Hans-Joachim
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#3
Das hat schon was! Und dieser nahezu unverwechselbare Duft - das wäre mal eine Aufgabe den irgendwie zu konservieren um ihn der Nachwelt zu erhalten.

Ich möchte soweit gehen zu behaupten, daß dieser Duft nicht nur gerätespezifisch, sondern darüberhinaus typspezifisch ist. Auch bei Radios und alten Plattenspielern sind die Ausdünstungen ganz unterschiedlich.

Eine Gemeinsamkeit haben Sie aber: Diese Duftstoffe setzen auf irgendeine weise Glückshormone frei! Allerdings nur bei Menschen die diesen Duft in Ihrem Leben schon mal geschnuppert hatten. Sie können ihn nicht vergessen!

Es rührt von der Wärme her die solche Geräte verströmen; beim Radio genügt schon der Anblick einer erleuchteten Skala und ein strahlendes Magisches Auge. Dann wird der leichte unterschwellige Brumm zum anheimelnden Schnurren eines verschmusten Stubentigers.

Dagegen haben z.B. Akai und Co. zumindest bei mir nicht die Spur einer Chance. Sie wirken kalt! Nicht häßlich, technisch perfekt zwar und mit sachlicher Optik durchaus interessant aber ohne jede Wärme. Irgendwie Tot.

Ich möchte damit niemandem auf den Schlips treten - es sind halt meine Empfindungen. Und die haben nunmal nicht zwingend was mit Logik zu tun.
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#4
Nun, an meinen Sohn (Baujahr 1988) habe ich das Interesse für dieser Art historische (hostirisierende?) Sichten weder im Bereich der Künste, noch im Bereich der Technik herantragen können, es interessiert ihn dies als Angehöriger der die Welt der nächsten 40 Jahre gestaltenden Generation schlicht nicht. Dass seine Sichten aber nicht zuletzt aufgrund von Denkart und Befähigung voraufgehender Generationen durch Traditionen fixiert wurden, wird er sicher auch noch begreifen lernen, auch wenn ich in seinem Alter in die 'Sphären' bereits leidenschaftlich lebte, ohne damals den Fortschritt zu verdammen.
Heute sehe ich -ein wenig sammelnd- die Sache etwas lockerer als damals, als ich 16 Jahre alt war, denn heute realisiere ich 'Qualität' auf anderen Wegen. 1967 jedoch stand ich angesichts der qualitativen Grenzen des PhonoRex von 1952 an der Grenze zum Wahnsinn. Dies kurz vor dem Ende in der Psychiatrie zu vermeiden, lag ich das Jahr über meinem Vater in den Ohren, nun endlich auf eine (Revox)G36 umzusteigen, was dann auch Anfang Dezember -exakt in diesen Tagen vor 37 Jahren- Realität wurde. Mit dem Ableben des ersten Kopfsatzes und einer eingelaufenen Tonwelle fünf Jahre später erreichte ich dann (nach ähnlicher 'Überzeugungsarbeit') das Ziel einer G36HS, die es heute noch -und prinzipiell betriebstüchtig- gibt.

Generell beobachte ich, dass heute im 'normalen' zivilisatorischen Umgang historische Erfahrung ("Erfahrung" ist immer ein historisches Phänomen und als solches ja Grundlage einer urteilsfähigen Gegenwartsbetrachtung), historische Analyse nichts, zumindest aber sehr wenig gilt. Es gilt stattdessen, was 'in' oder 'cool' ist, und das wird in anderen Etagen entschieden als dort, wo nicht auf vordergründige 'Erfolge' schielend gefaselt, sondern um einen soliden Weg durchs Dasein gerungen wird. Selten genug ist dies geworden.

Hans-Joachim
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#5
Lieber Hans-Joachim,

es kann schon sein, daß Dein Junior so ein ausgeprägtes Immunsystem hat welches den verschiedenen HF- und NF-Bazillen erfolgreich widersteht.

Da bleibt nur abzuwarten und darauf zu vertrauen, daß bei den meisten Menschen im Allter die Abwehrkräfte nachlassen. Dann haben wir ihn Big Grin

Andererseits könnte man ja auch versuchen mit fidis Hilfe eine Präventivmaßnahme einzuleiten :girl3:

Aber es ist im Allgemeinen schon so wie Du feststelltest. Wer in dem Alter noch nicht infiziert ist hat ein großes Problem. Es besteht die reale Gefahr, daß er zeitlebens an dieser Wahrnehmungsschwäche leiden muß.
Was solls: warten wir ab, die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
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