Man mag von dem Hokus-Pokus, der um die medizinische Meditationsmusik gemacht wird, halten was man will - letztendlich ist es mehr handwerklich denn inspirativ hergestellte Funktions- und Gebrauchsmusik, wie es sie schon immer zu allen Zeiten gegeben hat. Ich erwähne zum Beispiel die Militärmusik oder auch an CD-Editionen mit dem schönen Titel "Jazz for Dinner". Wird die Musik dadurch schlecht, daß sie auf so einen Sampler gerät? Was kann die Melodie dafür, daß man zu ihr marschieren musste?
"Funktionen und Aufgaben der Musik" wäre ein extra thread, den zu eröffnen ich mir jetzt verkneife, wir verzetteln uns noch. Kommt aber vielleicht noch.
Kommen wir zu den Merkmalen, nach denen wir Musik beurteilen:
Zitat:Markus Berzborn postete
Das entscheidende Qualitätsmerkmal von Musik oder Kunst allgemein ist für mich jenseits der Kategorie handwerklichen Könnens die Inspiration.
Zitat:Markus Berzborn postete
(...) Das ist dann halt ein Zeichen dafür, dass nicht genug Inspiration da war.
M.E. kann man durchaus mit 3 Tönen ein spannendes Musikstück machen. Es muss nur eine "zündende Idee" da sein. Es ist doch für einen einigermaßen begabten Komponisten gar kein Problem, sich komplizierte Akkordwechsel und Zwischenspiele aus den Fingern zu saugen. Das reicht aber meiner Meinung nach nicht.
Zitat Nr. 1 ist schön gesagt und eigentlich unterschriftsreif - nur: Woran erkennt man vorhanden gewesene Inspiration? Ein und dasselbe Musikstück das von ein und demselben Komponisten unter ein und denselben Umständen geschaffen wurde, ruft bei verschiedenen Menschen unterschiedlichste Reaktionen von Ablehnung über Gleichgültigkeit bis hin zur euphorischen Begeisterung hervor, wirkt sogar bei verschiedenen Gelegenheiten auf ein und dieselbe Person völlig verschieden. Dies
unabhängig davon, ob Inspiration oder Transpiration treibende Kraft gewesen sind.
"Reim Dich, oder ich habe nix zum Essen" - ich weiss nicht mehr, welchem Dichter man diese Worte zuschreibt, es war auf jeden Fall ein renommierter, anerkannter und ich denke, daß ein großer Teil der großen Kunst aus genau diesen Motiven heraus auch entstanden ist.
Zitat Nr. 2 ewähnt die zündende Idee und kommt der Sache schon näher. Die Frage ist, wie funktioniert diese Idee, wie wirkt sie?
Beispiel: CCR - eine im Grunde sehr simple und primitive Musik. Der Rhythmus ist durchgängig, die Melodien sind straigt und vorhersehbar. Nach dem 1000. Male des Hörens wenn man sie auswendig kennt, werden diese Songs für mich trotzdem nie langweilig. Gecovert werden sie aus gutem Grunde selten, denn das funktioniert aus irgendwelchen Gründen äusserst selten. Die Songs sind, bei aller Primitivität, einfach stimmig. Es muss genau so sein und nicht anders - basta. Spätere Songs von John C. Fogerty, im Grunde keinen Deut schlechter als die alten, weisen dieses Merkmal nicht auf - sie funktionieren nicht! Ähnlich halte ich es mit dem ersten Album der Dire Straits. Zumindest das zweite war, objektiv gesehen, um nicht soviel schlechter wie ich es als schlechter empfinde. Das spielt wohl das Wissen eine Rolle, daß das ein "Nachzieher" ist.
Weiterer Aspekt, wie Musik aufgenommen wird, könnte die visuelle Unterstützung sein. Ich war mal in einem chaotischen Film mit einem unaussprechlichen Titel, den man sich auch nicht merken kann. Es ging anscheinend um Indianer und Landschaftszerstörung, sehr effektvoll in Szene gesetzt. Als Soundtrack fungierte eine von Philp Glass geschaffene Minimal Music. Diese bestand aus endlosen Wiederholungen monotoner Synthieschleifen, eine Musik, die ich mir ohne Bilder wohl nie angetan hätte (Bitte: pers. Geschmack, keine Wertung über eine Musik, von der ich keine Ahnung habe), ebensowenig wie ich mir den Film ohne diese Musik vorstellen kann. Beides zusammen erzeugt eine meditative Stimmung, in die man sich hineinfallen lässt, am Ende kam mir das weder als Geld- noch als Zeitverschwendung vor, obwohl in optischer wie in akustischer Hinsicht strange.
Die Frage ist also: Was ist die zündende Idee gewesen (die der Künstler nichteinmal bewußt gehabt haben muss), wie funktioniert sie?
Ich gehöre ansonsten zu den Leuten, die abseits von Inspiration und Idee großen Wert auf das Handwerk legen. Ich oute mich als Melodie- und Harmonie-Freak. Eine Melodie wie die "Caprifischer", "Dr. Schiwago", "Spanish Eyes" oder "Strangers in the night" muss man, inspiriert oder per Vertrag dazu gezwungen, ersteinmal erfinden! Ich mag es, wenn Melodien überraschende Wendungen nehmen, finde aber die Wendungen im Detail, die ein Leonard Cohen seinen vordergründig monotonen Melodien mitgibt, durchaus spannend. Bei Dylan sieht es etwas anders aus. Dylan hat sehr schöne Melodien geschrieben - darüber erfolgte mein Einstieg in seine Musik - aber das merkt man nur dann, wenn Peter, Paul und Mary bzw. Joan Baez eine Softlan-Version der Lieder singen. Mir gefällt es mehr, wenn Dylan selber diese Melodien verhackstückelt und bis zur Unkenntlichkeit umformt. Bei seinen Kompositionen schätze ich also mehr die Flexibilität in der Anwendung, was den musikalischen Teil betrifft. Die Texte sind eine extra Baustelle.
Ich stehe auch mehr auf "Songs", auch wenn das ein ausgelutschtes Genre ist, und weniger auf bombastische Werke. Also: Lieber Springsteens "Nebraska" als Pink Floyd's "The Wall" oder Genesis' "The Lamb Lies Down on Broadway". Im zweiten und dritten Fall schreckt mich die Opulenz dieser Werke ab, die ich dann nur noch objektiv beurteilen kann, im ersten Fall werde ich von Sänger, Song und der dadurch erzeugten Atmosphäre eingefangen und frage nicht mehr danach, welche Merkmale das verursacht. Ich bade dann im subjektiven Wohlbefinden.