Radio-Tonband-Kombination "Star 106" von Radio-Star
#1
Auf der Internetseite http://www.doctsf.com, auf der französische Radiosammler Informationen über alle in Frankreich hergestellten Rundfunkempfänger zusammentragen, ist die Firma Radio-Star mit über 50 Modellen aus dem Zeitraum 1925 – 1958 vertreten (auf der Startseite unter "Marque" Radio-Star eingeben führt zu einer Typenliste. Jedes Modell kann angeklickt werden.). Besonders bemerkenswert waren die Starlet-Modelle, tragbare Röhrenempfänger aus der Zeit um 1950 mit ungewöhnlichem Design.

Auf dieser Seite ist auch eine alte Aufnahme des Fabrikgebäudes von Radio-Star in Nizza zu sehen: http://www.doctsf.com/documents/afficher...ok=585_1_0.

In den fünfziger und frühen sechziger Jahren stellte Radio-Star auch Tonbandgeräte her. Mir bekannt sind die Modelle Star 104 (ein Röhrenkoffer), Star 106 (wie 104, aber mit eingebautem Radioempfänger), Star 106 P (wie 106, aber zusätzlich mit Plattenspieler) und Star 109 (ein Transistor-Tonbandgerät, das mit Netzteil, Akku oder Batterien betrieben werden konnte).

Von den Modellen 104 und 106 bzw. deren "P"-Versionen mit Plattenspieler ist bei den französischen Sammlern ein Prospekt zu sehen:
http://www.doctsf.com/documents/afficher...ok=584_1_0
http://www.doctsf.com/documents/afficher...ok=586_1_0
gewissermaßen Vorläufer unserer späteren Kompaktanlagen.

ZumModell 104 heißt es im Prospekt:
"HiFi-Verstärker. Neue, patentierte Gegentaktendstufe 7-10 Watt. Auf Wunsch mit Fernbedienung, Filmprojektor-Synchronisation, "Re-Recording" (?).
Für Spulen bis 177 mm, Bandlängen 350, 500 oder 700 m. Hohe Wiedergabequalität. Präzises Bandzählwerk. 3 Geschwindigkeiten 19 - 9,5 - 4,75 cm/s. Spieldauer bei 2 Spuren 1, 2 oder 4 Stunden oder das Doppelte mit extra dünnen Band. Schneller Vor- und Rücklauf. Anschluß für Fußpedal. Verstärkerausgang. Trickfunktion. Perfekte Synchronisation mit Filmprojektoren. Abmessungen geschlossen: 40 x 28 x 18 cm. Gewicht 12 kg. Anschluß für Außenlautsprecher (8 Ohm). Eleganter Koffer aus Sperrholz, sehr robust, hochwertiger Kunststoffüberzug. In verschiedenen Farben erhältlich. Deckel abnehmbar, Koffer abschließbar."

Zum Modell 106:
"Wie 104, mit eingebautem Empfänger für 5 Wellenbereiche. Automatische Aufnahme vom Radio ohne Mikrophon. Gewicht: 13 kg."

Zu den "P"-Modellen:
"Wie 104 und 106, mit eingebautem Plattenspieler für vier Geschwindigkeiten 78 - 45 - 33 - 16 UpM, für Normalplatten und Mikrorillen. Abmessungen: 66 x 36 x 21 cm. Gewicht 20 kg. Auf Wunsch auch mit drei eingebauten Lautsprechern."

Das Modell Star 106, also die Radio-Tonbandkombination, möchte ich hier näher vorstellen. Laut Internetseite der Sammlerkollegen stammt der Prospekt von 1957. Die Angaben auf den Bauteilen in meinem Gerät streuen etwas, die jüngsten stammen von Ende 1958.

Das Gerät steckt in einem Holzkoffer mit dunkelgrünem Überzug. Dazu gab es ein farblich passendes Köfferchen für Zubehör wie Mikrophon und Überspielkabel.

[Bild: RadioStar106a.jpg]

Das Unterteil des Koffers enthält die gesamte Mechanik und Elektronik, im Deckel sind Lautsprecher und Teleskopantenne untergebracht. Die Antenne läßt sich zu einer stattlichen Gesamtlänge von etwa 1,20 Metern ausziehen.

[Bild: RadioStar106b.jpg]

Das Gerät wartet mit einigen ungewöhnlichen technischen Lösungen auf. Das beginnt schon damit, daß das Band von rechts nach links abgespielt wird.
Beim Bandgerät handelt es sich um ein Ein-Motoren-Laufwerk für drei Geschwindigkeiten (19 – 9,5 – 4,75 cm/s) und Spulen bis 18 cm. Es verfügt über zwei Köpfe für Mono Halbspur nach internationaler Spurlage. Das Rundfunkteil ist ein Überlagerungsempfänger für Lang-, Mittel- und Kurzwelle.

Röhrenbestückung:
Nf-Verstärker mit EF86, ECC83, 2x EL86.
Empfangsteil mit ECH81 als Oszillator- und Mischröhre und EBF80 als Zf-Verstärker und Demodulator.
Dazu noch EM34 als Abstimm- und Aussteuerungsanzeige und EL84 als Löschgenerator.

Ein Blick ins Innere:

[Bild: RadioStar106c.jpg]

Auf der linken Seite sitzt der komplette Nf-Verstärker. Man erkennt links unten in der Ecke die EF86, in der Mitte die Doppeltriode und die beiden EL86, oben links in der Ecke die EL84. Das Rundfunkempfangsteil befindet sich rechts unten in der Ecke. Man erkennt den Drehkondensator, insgesamt sechs Ferritkerne von Spulen der Oszillator- und Vorkreise, zwei Zf-Filter und die ECH81. Die EBF80 ist hinter einem Zf-Filter versteckt.
Die Schwungmasse wird vom Motor über ein Reibrad angetrieben.
Der leider gerissenen Riemen, der auf dem Bild zu sehen ist, sorgt für den schnellen Rücklauf. Er wird dazu gegen die Schwungmasse gedrückt.

[Bild: RadioStar106d.jpg]

Links vorne auf der Deckplatte befinden sich Netz- und Motorschalter, Abstimmknopf und Wellenbereichsschalter, sowie Anschlüsse für Außenantenne und Fußpedal (= Pausentaste).
Das Rundfunkteil empfängt Lang-, Mittel- und Kurzwelle, letztere auf Wellenlängen von 54 bis 13 Metern entsprechend 5,6 bis 23 MHz, unterteilt in drei Bereiche. Mit seinem Funktionsprinzip als Überlagerungsempfänger und mit den beiden Röhren ECH81 und EBF80 ist es durchaus auf der Höhe eines Standard-Empfängers jener Zeit. Kurzwellenempfang bis hinauf zum 13m-Band ist allerdings ungewöhnlich. Bei den meisten Geräten war bei 16 oder gar schon bei 19 Metern Schluß. Die Empfangsleistung mit der Teleskopantenne ist ordentlich.
Der schwarze Knebelschalter ist wohl nicht original. Es müßte ein transparenter Schalter wie auf dem folgenden Bild sein. Leider sind diese Schalter nicht sehr solide.

[Bild: RadioStar106e.jpg]

Rechts vorne befinden sich der Regler für Lautstärke/Aussteuerung (Puissance), die Klangregler (Timbre, kleiner Knopf Bässe, großer Knopf Höhen), der Wahlschalter für die Laufwerksfunktionen (der kleine schwarze Knopf dient als Aufnahmesperre), die Eingänge für Radio/Phono und Micro sowie ein Ausgang für externen Verstärker. Mittels Schraubenzieher kann man umschalten zwischen Aufnahme mit (effacement) oder ohne gleichzeitigem Löschen (surimpression).

[Bild: RadioStar106f.jpg]

Am oberen Rand der Deckplatte befinden sich der Wählhebel für die Bandgeschwindigkeit und das Zählwerk, dessen vordere Scheibe Einer und Zehner anzeigt, die hintere Hunderter. Das Zählwerk ist beleuchtet.

[Bild: RadioStar106g.jpg]

Auf der Schwungmasse ist eine Stroboskopscheibe für 19 und 9,5 cm/s aufgeklebt. Die beiden Köpfe befinden sich unter einer gemeinsamen Abschirmung rechts der Tonwelle. Die Andruckrolle sitzt unter der Abdeckung, die auch eine manuell zu bedienende Pausentaste beherbergt (alternativ zum Fußpedal).

[Bild: RadioStar106h.jpg]

Restaurierung in vollem Gange...
Hier der Motor mit Geschwindigkeitswählhebel und zwei Reibrädern. Das rechte treibt die Schwungmasse an, das linke den linken (aufwickelnden) Bandteller. Der ist ebenfalls im Bild zu sehen. Für die Aufnahme habe ich die einzelnen Teile etwas auseinandergezogen. Der Wickelteller ist mit dem unteren Teil, bestehend aus Filz- und Gummiring, starr verbunden. Die gerillte Aluscheibe kann sich frei drehen. Das Reibrad dreht die Aluscheibe, in die über drei Federn der Filzring gedrückt wird. So erhält man eine Rutschkupplung. Für den schnellen Vorlauf werden die Federn noch stärker zusammengedrückt, bis der unterste Teil mit dem Gummiring fest auf der Aluscheibe aufsitzt. So erhält man eine starre Verbindung.

[Bild: RadioStar106i.jpg]

Noch mal ein Blick ins Innere, bei ausgebautem Motor.
Man erkennt die Riemenscheibe des rechten (abwickelnden) Bandtellers (ohne den gerissenen Riemen) mit der elektromagnetisch betätigten Bremse. Am unteren Ende der Achse wird deren Drehung auf eine Welle übertragen, die über einen Riemen das Zählwerk antreibt.

Zum Glück läßt sich der Motor nach Lösen von nur vier Schrauben aus dem Gerät nehmen. Die elektrischen Verbindungen sind gesteckt, nicht gelötet. Das schafft eine Menge Platz und man kommt deutlich besser an die restliche Mechanik heran. Dennoch geht es in der Kiste reichlich eng zu, Reparaturen werden leicht zum Geduldspiel.

Gruß
TSF

Edit 25.11.2011: Links zu doctsf.com aktualisiert
Zitieren
#2
Danke für die sehr interessante Beschreibung dieses doch seltenen Gerätes. Es macht (zumindest mir) immer wieder Freude, ungewöhnliche technische Konstruktionen kennen zu lernen.

Billy
Zitieren
#3
Da geht es Dir wie mir, Billy. Ich finde es spannend, in Neuankömmlingen nachzusehen, was die Konstrukteure sich alles einfallen ließen.

Es hat ein Weilchen gedauert. Nicht nur mit der Antwort auf Billys Beitrag Wink , sondern auch mit der Restaurierung der Maschine. Aber jetzt ist sie erst mal abgeschlossen. Ein Schlachtgerät lieferte Ersatz für den gerissenen Riemen. Auch der Zählwerksriemen und eines der beiden Reibräder wurden getauscht. In beiden Fällen war der Gummi so verhärtet, daß kein zuverlässiger Betrieb mehr möglich war. Jetzt macht nur noch der schnellen Vorlauf Kummer. Wie im ersten Beitrag beschrieben, wird hierfür am linken Wickeldorn ein Gummi von unten gegen ein Aluteil gedrückt. Die Andruckskraft läßt sich zwar nachstellen, falls der Gummi sich im Lauf der Zeit etwas plattgedrückt hat. Dennoch erreiche ich keine genügende Haftreibung, um eine 18er-Spule bis zum Ende umzuspulen. Da konnte auch die Schlachtmaschine nicht helfen. Der schnelle Rücklauf funktioniert dagegen tadellos. Da sein Antrieb über die Schwungmasse an der Tonwelle erfolgt, ist die Rückspulgeschwindigkeit abhängig von der gewählten Bandgeschwindigkeit. Wer also eine 18er-Spule mit Dreifachspielband unbedingt in Stellung 4‚75 cm/s zurückspulen will (genauer gesagt in Stellung „5 cm/s“, wie es bei diesem Gerät großzügig gerundet heißt), der kann zwischendurch ruhig schon mal Teewasser aufsetzen.

In der Elektronik mußten mehrere Teerkondensatoren getauscht werden. Meist war es möglich, den neuen Kondensator in der Hülle des alten zu verstecken und das Ganze wieder mit Teer zu verschließen. So blieb das Erscheinungsbild erhalten.

Viel Zeit habe ich bei der Überholung damit zugebracht, diverse Kabel kreuz und quer durch das Gerät zu verfolgen, um die Schaltung besser zu verstehen. Inzwischen habe ich im Internet Schaltpläne gefunden. Anfangs mußte es jedoch noch ohne gehen, mit der Folge, daß ich mal wieder auf die Tricks französischer Ingenieure hereingefallen bin und lange nach einem Fehler gesucht habe, wo gar kein Fehler vorlag. Ich wollte nämlich, da das Chassis schon mal ausgebaut war, schnell die Funktion des Hf-Generators prüfen. Also Oszilloskop an die Anode der EL 84 geklemmt, Gerät auf Aufnahme geschaltet und – nichts. Keine Schwingung. Noch nicht mal Anodenspannung lag an. Gar nichts, null Volt. In der Nähe der Röhre ist eine Spule zu sehen. Aha, die gehört vielleicht zum Oszillatorkreis. Hoffentlich ist sie nicht durchgebrannt. Schnelle Kontrolle: nein, ist sie nicht. Puh, Glück gehabt. Also Leitungen verfolgt, um zu sehen, wo die Spannung auf der Strecke bleibt. Leider sind die entsprechenden Kabel tief im Innern des Geräts versteckt, so daß selbst bewährte Hilfsmittel wie Zahnarztspiegel nicht weiterhalfen. Nach vielen Verrenkungen meinerseits und vielfachem Drehen und Wenden des Chassis in alle Richtungen landete ich schließlich – wenig überraschend – am Betriebsartenschalter. Aber auch hier keine Spannung. Also liegt der Fehler noch weiter vorn? Weiteres Verfolgen von Drähten führte schließlich zum ... Motorschalter! Genau: der Hf-Generator funktioniert nur, wenn der Motor eingeschaltet ist! Das ist natürlich irgendwie logisch. Wer aufnehmen will, wird auch den Motor einschalten. Ich wollte aber nicht aufnehmen, sondern nur sehen, ob der Generator schwingt. Folglich hatte ich nicht mal ein Band eingelegt und nur die Elektronik, nicht aber den Motor eingeschaltet. Grrrrr. Letztendlich funktionierte doch alles wie gewünscht.

Und noch an einer anderen Stelle habe ich mich gewundert, und zwar beim Blick auf den Netzgleichrichter von Siemens (ja, doch, man hat hier Bauteile von der anderen Seite des Rheins verwendet). Wer häufig alte Geräte repariert, der kennt diese Gleichrichter. Es sind metallische Kästchen etwa von der Größe einer Streichholzschachtel. Bisher kannte ich davon zwei Varianten, Brückengleichrichter mit vier Anschlüssen (Plus, Minus und zweimal Wechsel) und Einweggleichrichter mit zwei Anschlüssen (Wechsel und Plus). Dieser hier hat jedoch drei Anschlüsse, Plus, Minus und einmal Wechsel. Erstmal Rätselraten, dann Papier und Bleistift gezückt und wieder Kabel verfolgt. Schließlich wurde klar, was hier vorliegt: eine Delon-Schaltung zur Spannungsverdoppelung. Also so etwas:

[Bild: RadioStarNetz.jpg]

In der Tat braucht hier der Gleichrichter (der rot umrandete Teil) nur drei Anschlüsse. Im Betrieb liegen an seinem Ausgang ca. 500 V an, am Ausgang der Drossel noch 480 V. Wozu braucht man aber solch eine selbst für Röhrenverstärker ungewöhnlich hohe Spannung? Die Antwort auf diese Frage findet man in der Endstufe. Daß die beiden Endröhren EL 86 im Gegentaktbetrieb arbeiten, war zu erwarten. Allerdings ist es hier nicht die meist anzutreffende Schaltung, bei der die beiden Endröhren parallel über je eine Hälfte der Trafowicklung am Mittelanzapf des Ausgangsübertragers liegen, sondern es handelt sich hier um eine Serien-Gegentaktschaltung, bei der beide Röhren spannungsmäßig übereinander gestapelt sind. Die Kathode der oberen ist über einen kleinen Widerstand mit der Anode der unteren verbunden. An der Gesamtschaltung liegen diese 480 V an. Das ist es also, was Radio-Star in seinem Prospekt als „neue, patentierte Gegentaktendstufe 7 – 10 Watt“ bezeichnet hat. In der Literatur wird diese Variante auch als SRPP-Schaltung bezeichnet. Ein Blick ins Internet zeigt, daß auch die Experten sich uneins sind in der Frage, wie die Funktionsweise dieser Schaltung erklärt werden kann. Ich bin keiner und halte mich daher raus. Es kommen jedenfalls Töne aus der Kiste.

In den Datenblättern der EL 86 ist für eine Gesamtspannung von 300 V an einer solchen Schaltung eine Ausgangsleistung von 5 bis 6 Watt angegeben. Da erscheinen bei 480 V die von Radio-Star im Prospekt erwähnten 7 bis 10 Watt realistisch. Auf jeden Fall wird es bei voll aufgedrehtem Laustärkeregler laut, seeeehr laut, überraschenderweise bis hin zu sehr großen Lauststärken ohne hörbare Verzerrungen und ohne Störgeräusche durch mitschwingende Gehäuseteile. Damit konnte man schon einen kleinen Partykeller beschallen.

Leider müssen nach diesen technischen Glanzlichtern auch ein paar Schattenseiten Erwähnung finden.

Da ist zum einen die Art und Weise, wie die Tonköpfe fixiert sind. Für die folgenden Bilder habe ich an der Schlachtmaschine die gemeinsame Abdeckung von Lösch- und Kombikopf angehoben. Keiner der Köpfe sitzt auf einer Wippe. Der Kombikopf ist mit einer Klammer starr mit der Abdeckung verbunden.

[Bild: RadioStar106m.jpg]

[Bild: RadioStar106k.jpg]

Der Löschkopf ist einfach auf die Deckplatte gesetzt und wird von der Abdeckung festgehalten.

[Bild: RadioStar106l.jpg]

Zur Anpassung an ein Fremdband kann man im Zweifelsfall nur versuchen, durch Drehen der gesamten Abdeckung die Spaltstellung des Kombikopfes zu justieren. Nicht ganz einfach und auch nicht befriedigend.

Die Köpfe wurden offenbar von Radio-Star selbst hergestellt. Der Löschkopf trägt die Aufschrift „F“, was wohl für „effacement“ steht. Der Kombikopf trägt die Aufschrift „EL“, vermutlich für „écriture – lecture“.

Hier noch ein Blick auf den Kombikopf:
[Bild: RadioStar106jj.jpg]

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Tatsache, daß die Umschaltung der Bandgeschwindigkeit nur auf die Mechanik wirkt, der Frequenzgang des Verstärkers wird nicht angepaßt. Durch die fehlende Tonkopfwippe und durch diese nicht normgerechte Entzerrung ist es schwierig, qualitativ hochwertige Fremdaufnahmen adäquat wiederzugeben. Zwar ist besonders der Höhenregler äußerst wirkungsvoll und erlaubt eine Anhebung und Absenkung in einem weiten Bereich, der Klang ist auch alles andere als grottenschlecht, aber restlos befriedigende Ergebnisse konnte ich nur selten erzielen. Angesichts des großen Lautsprechers und der kräftigen Endstufe ist das Ergebnis etwas enttäuschend. Natürlich sind auch keine normgerechten Aufnahmen möglich, wobei noch hinzukommt, daß Höhen- und Baßregler auch bei Aufnahme wirksam sind. Man muß also erst ein paar Probeaufnahmen machen, um die für die eigenen Ohren günstigste Einstellung zu finden.

Immerhin ist die Wiedergabe von Mittelwellenrundfunk in recht guter Klangqualität möglich. Ein paar leistungsstarke Sender sind uns ja noch erhalten geblieben. Auf UKW-Empfang muß man bedauerlicherweise verzichten. UKW dürfte es in Frankreich bei der Entwicklung dieser Geräte wohl schon gegeben haben, aber UKW wurde in den fünfziger Jahren in Frankreich so stiefmütterlich behandelt, daß man in Nizza den zusätzlichen Schaltungsaufwand wohl gescheut hat.


Inzwischen ist bei mir auch ein Exemplar des Typs 104 gelandet, also der Variante ohne Rundfunkempfänger. Es ist noch etwas unansehnlich und harrt noch seiner Generalüberholung.

[Bild: RadioStar104a.jpg]

Das ausgebaute Chassis:

[Bild: RadioStar104b.jpg]

Die Bedienelemente sind etwas anders angeordnet. Rechts gibt es auch hier den Betriebsartenschalter und den Lautstärkeregler. Die Klangregler befinden sich auf der linken Seite, statt dessen sitzt der Motorschalter rechts.

[Bild: RadioStar104c.jpg]

Hier der Blick auf die linke Seite:

[Bild: RadioStar104d.jpg]

Die Mechanik ist baugleich mit der des Typs 106.

Datumsaufdrucke auf Bauteilen stammen aus dem Zeitraum Dezember 1956 bis Februar 1957.

Die Röhrenbestückung weicht vom obigen 106 ab. Hier kommt im Netzteil noch eine Gleichrichterröhre EZ 80 zum Einsatz. Ohne Spannungsverdoppelung liefert sie in einem Rutsch etwas über 400 V, was immer noch ganz beachtlich ist. Der Nf-Verstärker arbeitet mit einer EF 40 und zwei ECL 82. Die beiden Pentoden arbeiten auch hier in einer Serien-Gegentaktschaltung. Bei einer Gesamtspannung von 400 V über beiden Röhren sollten laut Datenblatt der ECL 82 etwa 7 bis 8 Watt Sprechleistung möglich sein.

Eine dritte ECL 82 hat zwei verschiedene Aufgaben zu übernehmen. Die Pentode dient im Aufnahmebetrieb als Hf-Generator, die Triode ist als Diode geschaltet (Anode mit Steuergitter verbunden) und liefert aus einer separaten Sekundärwicklung des Netztrafos die negative Vorspannung von etwa –20 V für das Steuergitter der unteren Endstufenröhre. Im obigen Exemplar des Typs 106 macht dies eine Halbleiterdiode.

Was mußte man eigentlich für so ein Gerät anlegen? Im Internet fand ich eine Preisliste von Radio-Star, gültig für das Jahr 1958. Mit Hilfe einer Tabelle des französischen Statistikinstituts INSEE habe ich die Preise umgerechnet in Kaufkraft des Jahres 2011.
Typ 104: 131.000 Francs / 2200 Euro
Typ 106: 149.000 Francs / 2500 Euro
Typ 106 P, verschiedene Varianten: ab 172.200 Francs / 2900 Euro
Ersatz-Kombikopf Typ EL: 5.500 Francs / 93 Euro
Ersatz-Löschkopf Typ F: 4.000 Francs / 67 Euro
Elektrodynamisches Mikrophon Melodium HF 111: 12.000 Francs / 200 Euro.
Zu allen Preisen kommen noch örtliche Steuern in Höhe von ein paar Prozent hinzu.

Das sind stolze Preise. Zum Vergleich: ein Magnétic France Fidélité, immerhin ein Drei-Motoren-Gerät und von seinen Schöpfern als semiprofessionell eingestuft, kostete 1956 88.500 Francs. Wenn ich mit Hilfe der INSEE-Tabelle hochrechne, was dieses Gerät inflationsbedingt 1958 gekostet haben könnte, komme ich auf 105.000 Francs. Das ist immer noch billiger als ein Radio-Star. Dennoch werden heute im Internet die Geräte aus Nizza weitaus häufiger angeboten als die von Magnétic France. Die haben sich also schon ganz ordentlich verkauft. Verkaufsfördernd war vielleicht, daß Radio-Star in den fünfziger Jahren schon seit Jahrzehnten als Radiohersteller bekannt war. Die Geräte machen auch einen sehr soliden und wertigen Eindruck.

Technische Daten außer den oben aus dem Prospekt zitierten konnte ich bisher nicht finden. Sollte ich da mal was ergattern, trage ich das hier nach.

Fazit: Es handelt sich hier um Heimgeräte, die offensichtlich für gehobene Ansprüche konzipiert wurden. Beim Blick auf die Geräte hat man nirgends, weder außen noch innen, den Eindruck, es sei billiges Material verwendet worden. Die Koffer sind schön gestaltet und sorgfältig verarbeitet. Der Motor ist großzügig dimensioniert und allen Anforderungen gewachsen. Die Schwungmasse an der Tonwelle ist ebenfalls sehr reichlich dimensioniert. Auf Seiten der Elektronik hat man den Geräten eine sehr kräftige Endstufe spendiert und einen großen 21-cm-Lautsprecher, der die Leistung auch verkraftet. Hätte man sich bei der Entzerrung noch an internationalen Normen orientiert und für die Fixierung der Köpfe eine vorteilhaftere Lösung gewählt, müßten diese Geräte den Vergleich mit der internationalen Konkurrenz vielleicht nicht scheuen.

Gruß
TSF

Edit: Tippfehler
Zitieren
#4
Lieber TSF,

bevor Deine Vorstellung der "Radio Star" Tonbandgeräte wieder für 5 Jahre fast unkommentiert in der Versenkung versinkt, kurz eine Rückmeldung von einem "Stammleser" und "Wenigposter"

Mit Freude und Vergnügen habe ich Diese Vorstellung wiederholt gelesen.
Ein schön geschriebener Bericht über interessante Bandmaschinen, - vielen Dank!

Solche Berichte sind für mich das Salz in der Suppe in unserem Bandmaschinenforum. Hier lese ich wie in einer Fachzeitschrift für unser Hobby, von Liebhabern geschrieben, kostenfrei und in Farbe.

Ich wünsche mir weitere, so fundierte Vorstellungen und Berichte wie diesen!

Viele Grüsse
Roland
Zitieren
#5
Hallo TSF!

Ich schließe mich Roland´s Zeilen voll und ganz an.

Für mich war "Radio Star" vorher ein blinder Fleck
auf meiner TB-Landkarte, die nun dank Dir, ein Stück
weit lesbarer geworden ist.

Grüße
Wolfgang
Zitieren
#6
Hallo Roland, hallo Wolfgang,

vielen Dank für Euer Lob!

In der Tat war der erste Beitrag im Lauf der Zeit immer tiefer ins Foren-Archiv hinabgesunken. Aber offensichtlich wurde er dennoch, wie ich an der Zahl der Aufrufe sah, gelegentlich von Forennutzern mit Qualitäten, die einem Archäologen Ehre machen, aufgespürt und angeklickt.

Daß er keine Jubelstürme hervorgerufen hat, hat mich nicht gewundert. Mir selbst kam er immer etwas unfertig vor. Er endet etwas abrupt. Aber mehr konnte ich damals mangels Betriebserfahrung zu dem Gerät nicht sagen.

Die liegt jetzt vor. Das 106 kommt jetzt gelegentlich zum Einsatz, oft auch als Radio, was durchaus Spaß macht, auch wenn’s nur Mittelwelle ist.

Der Koffer erweist sich als vollwertiger Radioempfänger, der nach Einbruch der Dunkelheit mit der Teleskopantenne Stationen aus ganz Europa empfängt. Auch der algerische Rundfunk ist auf 531 kHz gut zu hören, seit die Schweizer ihren altehrwürdigen Sender Beromünster stillgelegt haben.

Gruß
TSF
Zitieren
#7
Als Nachtrag die Herstellerangaben zum Frequenzumfang der Modelle 104 und 106 aus einem Prospekt bzw. einer Bedienungsanleitung:
30 - 10000 Hz bei 9,5 cm/s,
20 - 15000 Hz bei 19 cm/s.

Gruß
TSF
Zitieren
#8
Auch wenn es schon ein paar Tage her ist, auch von mir ein großes Lob für den interessanten Bericht. Wenn ich mich richtig erninnere kommt so ein Gerät auch im Film "Geld oder Leben" von 1966 (mit H. Rühmann und Fernandel) in einer Szene bei einem Hobbypiloten vor.

Grüße,

Bernd
Zitieren
#9
Danke an Bernd,daß er den Bericht nochmal hochgeholt hat,ich habe ihn eben erst entdeckt,wirklich interessant,ich kannte diese Radio star Geräte noch überhaupt nicht.Grüße
Ralf
Zitieren
#10
Seit den Vorstellungen der beiden oben gezeigten Geräte sind bei mir noch ein paar Schlachtgeräte von den Modellen 104 und 106 eingetroffen. Sie stammen aus den Jahren 1956 bis 1959 und geben einen Einblick in die zeitliche Entwicklung der Schaltungen dieser Geräte.
 
Im nachfolgenden Überblick ist als Herstellungsmonat und -jahr das jüngste Datum genannt, das auf einem der Bauteile zu finden war. Die Seriennummer ist in die Deckplatte vor dem rechten Bandteller eingeschlagen.
 
SN 8275, 11/1956, Modell Star 106
Mein bislang ältestes Gerät. Der Nf-Verstärker arbeitet noch mit einer EF 40 in der ersten Stufe, die Endstufe ist mit einer einzigen EL 84 bestückt. Die im ersten Beitrag erwähnte „patentierte Gegentaktendstufe“, die in den Prospekten von Radio-Star angepriesen wurde, war zu diesem Zeitpunkt offenbar noch nicht realisiert. Folglich konnte hier auch das Netzteil noch ganz konventionell mit einem Brückengleichrichter aufgebaut werden. Die im Beitrag #3 beschriebene Spannungsverdoppelungsschaltung wurde noch nicht benötigt.
 
SN 8760, 2/1957, Modell Star 104
Auch in diesem Exemplar kommt noch eine EF 40 in der ersten Nf-Stufe zum Einsatz. Die Endstufe ist allerdings schon mit zwei ECL 82 als Serien-Gegentakt-Stufe ausgeführt, verfügt also schon über die patentierte Schaltung. Die benötigte Versorgungsspannung von 400 V= konnte man mit einer Gleichrichterröhre EZ 80 erzeugen, eine Spannungsverdoppelung war auch hier noch nicht nötig.
 
SN 9149, 5/1957, Modell Star 104
Zu diesem Gerät gibt es auch einen Kaufbeleg von Ende Juni 1957, was gut zum jüngsten Datumsvermerk auf einem Bauteil paßt. Die Endstufe besitzt ebenfalls die beiden ECL 82, in der ersten Stufe ist jetzt allerdings die EF 40 durch die neue EF 86 ersetzt. Diese Schaltung entspricht dem mit 1957 datierten Schaltplan, der im Internet zu diesem Modell kursiert.
 
SN 6819 oder 9819?, 12/1958, Modell Star 106
Dieses Gerät verfügt ebenfalls über die neue EF 86 und in der Endstufe über zwei EL 86 in Serien-Gegentaktschaltung. Eine SN 6819 würde dazu nicht recht passen. Ich frage mich daher, ob beim Einschlagen die 9 verdreht wurde und es eher 9819 heißen müßte.
Die hier realisierte Endstufe stellt offenbar eine Weiterentwicklung der früheren Version mit zwei ECL 82 dar, denn auf einem im Internet kursierenden Schaltplan aus dem Jahr 1957 für das Modell 106 ist auch für dieses eine Serien-Gegentaktstufe mit zwei ECL 82 angegeben. Man ist offenbar irgendwann 1957/58 von der ECL 82 abgerückt und zur EL 86 übergegangen, wodurch auch eine höhere Gesamtspannung für die Endstufe von ca. 500 V nötig wurde, was wiederum zur Entwicklung der beschriebenen Spannungsverdopplerschaltung führte.
 
SN 10538, 2/1959, Modell Star 106
Die Röhrenbestückung entspricht dem vorherigen Exemplar. Geändert hat sich das äußere Erscheinungsbild mit anderen Kofferverschlüssen, anderen Knebelschaltern und anderen Abdeckungen im Bereich der Tonköpfe und des Zählwerks.
 
Gruß
TSF
Zitieren
#11
Dank eines Schlachtgeräts kann ich nun endlich ein Radio-Star 106 im Originalzustand präsentieren.
Das Gerät im Eröffnungsbeitrag hatte ja am Wellenbereichsschalter einen schwarzen Drehknopf an Stelle des originalen aus transparentem Kunststoff.
So muß es also aussehen:

   

Das Problem mit den Schlachtgeräten ist allerdings bisweilen, daß sie sich bei näherer Betrachtung als viel zu schade für die Schlachtbank erweisen. So kommt es, daß ich jetzt …

   
 
… zwei davon habe.

Das linke ist das „Schlachtgerät“. Es ist das im vorangegangenen Beitrag erwähnte älteste Gerät der Sammlung mit der SN 8275 von 1956. Das rechte ist das etwas jüngere von 1958 aus dem Eingangsbeitrag, noch immer mit dem falschen Drehknopf.

Ein paar kleine Unterschiede gibt es. Witzigerweise hat das ältere mit der 5-Watt-Eintakt-Endstufe einen großen 21-cm-Lautsprecher erhalten, während das jüngere mit der kräftigeren Gegentakt-Endstufe einen kleineren 18-cm-Lautsprecher hat. Ein Vertun ist nicht möglich. Die Kofferdeckel haben unterschiedliche Scharniere.

Außerdem hat das ältere Gerät eine hellere Beschriftung der Deckplatten, einige hell lackierte Abdeckungen und eine dunkel hinterlegte Radioskala, während das jüngere die besser lesbare dunkle Beschriftung und eine hell hinterlegte Skala hat.

   

   

Jetzt kann ich immerhin wahlweise das eine oder das andere mit originalen Knöpfen präsentieren.
Aber vielleicht findet sich ja noch mal ein Schlachtgerät …
 
Gruß
TSF
Zitieren
#12
Hallo "TSF"

Vielen Dank für die Ergänzungen zu Deinem tollen
Artikel über das "Radiostar 106".
Welches, dank Dir, nunmehr kein "blinder Fleck"
in der Bandmaschinenpalette ist.

Gruß
Wolfgang
Zitieren
#13
magnifique. Wink
Zitieren


Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste