Ryan Adams
#1
The day the music died... dieser Tag ist für mich eigentlich schon längst gelaufen. Dieses erhebende Gefühl, neue, faszinierende Musik entdeckt zu haben, wann hatte ich das zum letzten Mal erlebt? Das war vor 11 Jahren mit der "Satisfied Minds"-LP der Walkabouts, und selbst die war im Grunde genommen nicht Neues, sondern eine Sammlung von Songs, die den 'test of time' längst bestanden hatten und die hier lediglich, wenn auch genial, neu interpretiert wurden. Ja, und vor zwei Jahren oder so Dylans "Love And Theft", seine erste wirklich überragende Platte seit "Infidels", das war zwar eine Offenbarung, aber dennoch im Vergleich mit seinen Geniestreichen der 60er soooo klein mit Hut. Da frage ich mich doch, was mache ich eigentlich, in welcher Form beschäftige ich mich mit meiner großen Leidenschaft, mit dem, was gemeinhin als 'Rockmusik' bezeichnet wird, bin ich überhaupt noch dabei oder renne ich nur noch dem Gestern hinterher? Es ist wohl so. Ich archiviere jahrzehntealte Musik auf antiquierten Tonträgern, versuche, auch den letzten Tonschnipsel der alten Heroen der Sammlung einzuverleiben und freue mich, wenn ich auf Bändern das Gequatsche der Radio-Moderatoren wiederfinde, über das ich mich damals immer aufgeregt hatte. Und warum ist das so? WEIL 99;99999 % VON DEM, WAS IN DEN LETZTEN 20 JAHREN VERÖFFENTLICHT WURDE, AKUSTISCHER MÜLL IST. Die Suche nach GUTEN neuen Sachen ist schwieriger als die nach der berühmten Nadel im Heuhaufen. So, das mußte mal gesagt werden.

Wenn ich die wenigen guten Sachen nicht selbst finde, muß ich wohl mit der Nase darauf gestoßen werden. Ryan Adams? Who's that, hätte ich vor ein paar Wochen noch gefragt. Asche auf mein Haupt, ich kannte ich nicht! Auf eindringliche Empfehlung von Michael(F), mit dem ich die Wertschätzung für das Werk Bob Dylans teile, habe ich mir heute die Songs seiner CD "Gold" (gibt's die als LP?) angehört. Die Erwartungshaltung war groß, aber die Zeit knapp. Und so habe ich das Band nicht, wie ursprünglich geplant, über Kopfhörer gehört, sondern über die Boxen, und das, während ich mit der dazu erforderlichen Konzentration Tonköpfe begutachtete und sortierte. Somit hat die Platte auch gleich ihre Alltagstauglichkeit unter Beweis stellen können.

Tja, was soll ich unter diesen Bedingungen zu der Platte sagen? Es ist nicht ein einziger schlechter Song drauf, nicht einmal ein mittelmäßiger! Dieser Kerl schreibt (und singt) Songs, die sich hinter Kreationen von durchaus guten Leuten wie z.B. James Taylor oder David Crosby absolut nicht zu verstecken brauchen. Seine Stimme erinnert mich ein wenig an Loudon Wainwright III, falls irgendjemand den noch kennt. "Nicht wenige halten dieses Album für überproduziert" schreibt Michael. Ich kann's mit seinen anderen Werken nicht vergleichen, da ich sie nicht kenne, aber überproduziert? Das sehe ich keineswegs so. Durch die Produktion und die Session-Musiker läuft die Musik richtig rund, alles paßt zusammen. Allerdings kann ich mir durchaus vorstellen, daß Ryan Adams auch nur mit einer akustischen Gitarre bewaffnet eine gute Platte machen könnte. Die Songs und die Stimme dazu hat er.

Ich zitiere nochmal Michael: "Ich winke immer resigniert ab, wenn ein neuer Dylan ausgerufen wird. Hier war das nicht der Fall.". Sorry, da bin ich anderer Ansicht. Diesbezüglich winke ich auch bei Adams ab, allerdings ohne Resignation. Mit welchem Dylan sollte man ihn denn vergleichen? Mit dem heutigen, der mit immer neuen Arrangements, aber altgewordener Stimme seit Jahren sein Lebenswerk zelebriert? Mit dem jungen Dylan, der mit seinen Songs das Symbol einer aus vorgezeichneten Bahnen ausbrechenden Nachkriegsgeneration wurde? Oder mit dem 1965er Dylan, der sich, als er es sich erlauben konnte, seinen eigenen Traum erfüllte, nämlich größer zu werden als Elvis? Nein, Michael, das paßt alles nicht. Ryan Adams ist, soweit ich das bis jetzt, nach einmaligem Hören der Platte, einschätzen kann, ein erstklassiger Songwriter und Interpret, ein Vergleich mit Dylan jedoch kann ihm nur schaden. Und das hat er nicht verdient.

Gruß, Wolfgang
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#2
=> wolfgang

schön, daß ich Deinen Geschmack getroffen habe. Es war der Sache sicher förderlich, daß Du die Musik ohne Kopfhörer gehört hast. Ich mag Kopfhörer auch, aber es gibt Musik, da muss ich frei im Zimmer herumlaufen können. Mit einem Hörer, selbst wenn er Funk hätte, fühle ich mich angebunden.

Unser Verhältnis zur Musik ist ähnlich. Weil ich in dieser Hinsicht Spätzünder bin, rolle ich das Feld immer mit dem "Blick zurück" auf. Sprich: Für Stones, Beatles und Kinks habe ich begonnen mich zu interessieren, als es diese Gruppen schon nicht mehr gab oder als ihre erfolgreichste Zeit vorbei war. So suche ich im neuen Material das alte, bewährte und lande bei Leuten wie Adams, den Jayhawks, Wilco und und und. Das Problem ist: Erkläre mal einem Nirvana-Fan, daß Du das Neue, Revolutionäre an dieser Musik gar nicht erkennen kannst? Und daß Du nicht unbedingt den Punk brauchst, weil Du die Kinks hast?

Mit so einer Einstellung landet man schnell bei Dylan und bleibt dort hängen. Von Andreas, dem ich ab und an ein Band gemacht habe, stammt der Satz: "Bei allen Deinen Bändern hört man den Dylan raus, auch wenn er gar nicht drauf ist." Er hat recht. Seit dieser Aussage beschäftige ich mich auch mit James Last und Bert Kämpfert.

"Infidels" finde ich ebenfalls gut, auch wenn man rückblickend sagen muss, daß dieses Album von der langanhaltenden davorliegenden Dürreperiode profitierte und auch deswegen freudig bejubelt wurde. Was war davor? Desire? Ich meine aber auch, daß man die christlichen Platten Dylans und das,was unmittelbar danach kam, ein wenig unterbewertet. Perlen finden sich überall. Bei den neuesten Werken könnte ich mich nicht zwischen "Love and Theft" und "Time Out of Mind" entscheiden. Bei LAT diese großartige Reminiszenz an die Musik der 30er und 40er, bei TOOM solche Kaliber wie "Tryin' to Get to Heaven" und vor allem mein Favourite "Not Dark Yet". Auch "Dignity" und "Things habe changed"? Sein eigenes "The Times They Are a' Changing" sowie Kristoffersons naives "freedom's just another word.." hat er hier treffend kommentiert.

Aber zurück Adams: Mein Dylan-Vergleich ist schief, verursacht durch das Wort "resigniert". Das suggeriert ja eine entäuschte Erwartungshaltung, die es bei mir nicht gibt. Ich bin eher genervt dadurch, das klampfende Frauen mit Joni Mitchel, Frauen mit nicht glockenheller Stimme hingegen mit Janis Joplin verglichen werden, wie zuletzt mit Anastacia und Pink geschehen. Songwriter werden obligatorisch mit Dylan verglichen - Bullshit.

Aber Adams, und das wollte ich sagen, ist nach langer Zeit endlich jemand, der z. Zt. noch das Potential hat, etwas ähnliches zu schaffen. "Gold" gilt für viele als Debut, weil es sein erster großer Erfolg war. Dabei liegen davor 3 Platten mit Whiskeytown (oder waren es 4?), und sein Solo-Debut "Heartbreaker", in der er deiner Einschätzung gerecht wird: Er kann auch alleine, nur zu seiner Gitarre, und dieses ausgenudelte Genre ist keine Sekunde langweilig.

"Gold" ist also mindestens seine 5. Platte, die er zu verantworten hat. Und dafür klingt sie noch ganz lebendig - der Mann hat Atem. Ähnlich wie bei Dylan laufen Sessions und auch Konzerte chaotisch-kreativ ab, zur Zuverlässigkeit gegenüber dem Publikum pflegt er ein ähnlich lockeres Verhältnis wie Bob in mittleren Jahren, der da auch nicht durch seriöses Konzertgebaren im üblichen Sinne aufgefallen ist und vor allem: Er kann sein Songs radikal uminterpretieren, dies sehr spontan. "Firecracker" kommt auf "Gold" ziemlich fetzig-rockig daher. Wenn man dann im Offenbacher Capitol auf der Bühne steht, sich zwischen Acoustic-Gitarre und Klavier entscheiden muss und als Begleitung ein Cello und eine Violine dabei hat, dann muss man schon sehr kreativ vorgehen, wenn man diesen Song in dieser Besetzung bringen will - es ist ihm gelungen. Das dynamische "New York" als verschlurft-melancholischen Country-Schleicher umzuoperieren, wie mit "Punk-Band" in München geschehen, war da eine vergleichsweise einfache Übung. In München, hiess es, war er besoffen (naja, mag stimmen, hat der Darbietung keinen Abbruch getan) und in Offenbach war er, wie er sagte "erkältet" weil er zuvor in Amsterdam "in einen Haufen Schnee" gefallen sei, was immer das auch heissen mag. Nach Schema F laufen seine Auftritte nicht ab, für Spannung auf der Bühne ist gesorgt.

Was ich mit meinem Vergleich sagen wollte: Er ist kein Dylan, wird nie einer sein, soll und kann ihn auch nicht ersetzten. Aber ein (hoffentlich) fairer Vergleich mit BD wird ihn nicht umbringen. Seine Lebensleistung kann er nicht erreicht haben und es ist unwahrscheinlich, das er das je tun wird. Und die thematische Bandbreite eines Dylan muss man sich im Laufe von Jahrzehnten aufbauen.

Aber wenn Bob demnächst in Pension geht (dann, Wolfgang, sind wir beide so richtig alt!) wären ausgedehnte Konzerttourneen von RA ein tröstlicher Gedanke.

Meines Wissens gibt es alles von Ryan Adams auf Vinyl - die Photos auf dem Plattencover beweisen sein Faible für die Analogtechnik - und ich empfehle als nächsten Step "Heartbreaker". Ich kann Dir gerne eine CD-Kopie auf einem Band belassen, daß ich Dir schicke, wenn Du bestätigst, daß Du das aus urheberrechtlichen Gründen nicht hörst sondern sofort nach Erhalt löscht!

Michael
Michael(F)
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