Der verhinderte Tonbandfreund
#1
Durch Zufall stiess ich im Internet bei einer Recherche auf diese Seite 'tonbandwelt'. Eigentlich ging es mir nur darum, ein paar Infos zu meiner Teac abzusaugen, um sie gewinnträchtig bei eBay verhökern zu können. Schon nach kurzem Studium der Site wurde mir jedoch klar, dass es offenbar heute ein grosse Privileg zu sein scheint, ein solches Bandgerät zu besitzen: wenige, dafür aber intensive Sammler und überdies mit eigenem Forum...fast wie bei den Auto-Oldtimern!
Um es kurz zu machen: nach zwei Tagen beschloss ich, das Gerät zu behalten und nach drei Tagen war ich Mitglied im Forum. Dort gab es viele interessante Postings, aber Mitglied werden und mitmachen, das ist zweierlei. Es überwog die Angst: werde ich von den anderen da überhaupt akzeptiert? Ich habe doch nur diese eine Maschine... Sooooviel Ahnung habe ich auch nicht...die könnten mich rauswerfen, weil ich sozusagen der Troll des Forums bin! Also ne, wenn ich eine technische Frage zu meinem Gerät hätte, dann würde ich mich trauen, aber sonst? Die Jungs im Forum kennen sich da ja schon Jahre, da bin ich Fremdkörper.

Ein paar Tage später habe ich die Teac dann doch verkauft.
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#2
Ein paar Wochen später, ich hatte die Teac mit Hilfe der Forum-Tips notdürftig geflickt, mit gutem Gewinn verkauft und eigentlich längst vergessen, erspähte ich bei einem Spaziergang, den ich meinem Hund nicht hatte abschlagen können, ein Tonbandgerät. Es stand hochkant neben einer Mülltonne, zwei Zentimeter in den Boden eingesunken, denn seit Stunden regnete es in Strömen. Ich bückte mich, wischte den gröbsten Dreck weg und drückte eine Taste, die mit sattem, vertrauenserweckendem Klang einrastete. Das machte mir Mut, ich zog das Gerät aus dem Matsch, suchte leider vergeblich nach einem Deckel und brachte meinen Fund nach Haus.

Am nächsten Abend, das Gerät war inzwischen getrocknet, entfernte ich den äußerlichen Dreck und stellte überrascht fest, daß die matellene Oberfläche der Grundplatte nahezu makellos und kratzerfrei war. So ermutigt, führte ich den Netzstecker der vorgesehenen Vereinigung mit der Wandsteckdose zu und schaltete das Gerät ein. Das ruhige, dezente Laufgeräusch des Motors bestätigte mir, daß dieser Schritt richtig war, und ermutigte mich zu weiteren Taten. Aus früheren Zeiten hatte ich noch einige Tonbänder und auch eine Leerspule liegen, also fädelte ich ein Band ein und betätigte die mit "Play" gekennzeichnete Taste. Und siehe da, ich hörte die Searchers mit "Needles And Pins", glasklarer Sound, es gab nichts daran zu mäkeln.

Ich hörte das Band zu Ende, zwei Mal zwei Stunden lang 60er-Jahre-Musik vom Feinsten. Zwischendurch probierte ich mal die Umspulfunktionen aus, auch da gab's keine Probleme.

Nach dieser Erfahrung sah ich auch das Tonband-Forum mit anderen Augen als vorher, wurde dort aktiv und entdeckte noch ein zweites, für das ich mich noch etwas mehr engagierte. Aus dem verhinderten wurde also doch noch ein echter Tonbandfreund. Und als dann im "tonbandwelt"-Forum eine etwas traurige Story begonnen wurde, beschloß ich, meiner Fantasie etwas freien Lauf zu lassen und ihre Ergüsse mit Elementen der Realität zu verschmelzen, um diese Geschichte zu einem guten Ende zu bringen. Womit sich der Kreis geschlossen hat.

Last but not least ist mir jetzt auch klar, wann immer mir wieder ein Tonbandgerät über den Weg laufen wird, welche Marke ich ganz schnell wieder über ebay abstoße und welche ich, aufgrund guter Erfahrung, für mich selbst behalte. Was stand noch auf meinem Fundstück? Ach ja: "Grundig TK 220 de luxe". Alles klar?
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#3
Jetzt, wo das schlimmste Überstanden zu sein scheint, und ich anscheinend eine neue Bleibe gefunden habe, kann ich mich auch mal zu Wort melden, so wie es mir mein neuer Besitzer gezeigt hat. Foren waren mir immer unbekannt, aber mein neuer Chef scheint darin zu leben. Ganze Nächte sitzt er davor und tippt vor sich hin währen ich ihm Gesellschaft leiste.

Vor vielen Jahren wurde ich von flinken Händen fleißiger Frauen in einer fränkischen Fabrik zusammengebaut. Zusammengeschustert, müsste man sagen, denn der Fabrikdirektor zahlte seine Leute schlecht, und sie mussten sehr schnell sein, um einen kargen Lohn zu erhalten. Ich wurde ein Tonbandgerät, und ich sollte gekauft werden, weil ich billiger war als meine Verwandten aus anderen Fabriken, die besser konstruiert und liebevoller zusammengebaut wurden als ich. Gekauft wurde ich trotzdem: Von einem jungen Mann, der noch nicht viel verdiente und aufs Geld gucken musste. Er wählte mich aus, obwohl der Händler einen Vetter aus München emfpfahl, trug mich voller Stolz nach Hause und ich wurde für die nächsten Wochen und Monate die Freude seines Lebens. Er nahm mir meine Schwächen nicht übel, dafür mich auseinander und setzte mich liebevoll wieder Teil für Teil zusammen. Wo ein Tropfen Öl vergessen wurde, setzte er einen hin, manchmal schüttelte er verzweifelt den Kopf und murmelte was von "...wie kann man nur sowas bauen...". Zum Schluß schraubte er an meinen Tonköpfen herum, stellte an irgendwelchen Reglern, und auch wenn ich es zeitweise mit der Angst zu tun bekam: Nie habe ich mich besser gefühlt als nach dieser Kur!

Mein Besitzer und ich spielten jahrelang zusammen, ich gab mir die größte Mühe, und seine Freunde beneideten ihn, weil sein Gerät besser klang als die ihrigen, die viel teurer gewesen waren.

Nach ein paar Jahren wurde es ruhiger. Mein Besitzer war Programmierer geworden, brummelte immer was von "Cobol" und "mittlerer Datentechnik" und verdiente vor allem ein Haufen Geld. Er fuhr in die Schweiz und kaufte dort Geräte, die viel größere Spulen tragen konnten wie ich und damit auch noch schneller waren. Ich wurde nicht mehr gebraucht, durfte aber meinen Platz im Regal behalten. Immer wieder, in länger werdenden Abständen, wurde ich eingeschaltet. Mein Besitzer legte dann ein bestimmtes Band auf und sagte, wenn er ein Flasche Wein geleert hatte: "Nirgendwo röhrt Janis schöner als bei Dir". Dann erzählte er zur Abwechslung nichts von PCs und einem Herrn Gates - beide schienen ihn sehr zu verärgern - sondern von Eric, Eric, John und Jim, bekam bei Frank glänzende Augen und rezitierte dann etwas von einem Bob, den ich nie verstand und zuerst nie richtig mochte, weil man sich, wenn man ihn abspielte, immer irgenwie defekt fühlte. Es lag aber nicht an mir, sondern an Bob's Stimme. Und als mein Besitzer das merkte, freundetet ich mich sogar mit Bob an. Ich spielte eine Menge Bänder von ihm, von denen er aber nichts wissen durfte.

Aber immer war Janis das erste Band das er auflegte, und Janis wurde meine beste Freundin.

So ging das eine ganze Weile, irgendwann zog mein Besitzer um und ich wurde in einen Karton gesteckt, aus dem ich viele Jahre nicht befreit wurde. Wo meine Freunde, die Bänder, waren, wusste ich nicht und ich vermisste Janis. Ich arbeitete an mir, hielt mich fit und wartete auf den Tag, an dem ich wieder zeigen konnte, wie man eine Frauenstimme so reproduziert, daß einem Mann das Herz aufgeht. Eines Tages schien es so weit zu sein. Ich hörte rappelnde Geräusche, Kartons wurden verschoben, dann wurde mein Karton aufgeklappt.

Aber da stand nicht mein Besitzer, sondern ein junger Mann, den ich nicht kannte und neben ihm eine junge Frau. In der Ecke der Dachkammer - hier war ich untergebracht worden - standen meine großkotzigen Schweizer Vettern in Reih' und Glied an der Wand.

"Ah, da ist ja das olle Dingens, von dem Opa immer erzählt hat, stell das mal rum zu den anderen!", sagte der Jüngling.
"Wollte er das nicht mit ins Altersheim nehmen?"
"Opa ist senil! Was er will und was er kriegt sind 2 Paar Stiefel. Oma rastet aus, wenn das Teil mitgeht! Dann hört er wieder den ganzen Tag das Band, das angeblich irgendein Lennon für ihn aufgenommen hat, bevor er erschossen wurde. "
"Aber Dein Opa will doch irgendwie Musik hören", meinte die junge Dame, die wesentlich intelligenter zu sein schien als ihr Freund, der Enkel.
"Darf er auch", meinte der, "ich schenke ihm meinen ausgelutschten Mini-Disk-Walkman. Ich melde ihn sogar im TBS-47 an, da bekommt er regelmäßig ein Seniorenprogramm ins Haus. Und jetzt schnell weg mit dem Teil, bevor er danach frägt."
"Das passt doch gar nicht mehr in die Kiste..."
"Drücks rein und mach's passend, ist eh' wurscht wenn's kaputt geht."

Die nette junge Dame drückte mich nicht einfach in die Kiste zu meinen Vettern sondern machte eine Ecke frei. Sie gab sich große Mühe. Von einer Uher Report schraubte sie sogar eine Spule ab und legte sie mir auf. Leider war es nicht Janis. "John L., last Songs" stand drauf, was immer das auch heissen mochte.

Die Dame verbrachte viel Zeit vor einem Computer - war das so ein PC, über den mein Besitzer immer geschimpft hatte? - beschäftigte sich mit einem Programm namens "ebay", und sagte eines Abends: "So ein verrückter Sammler aus dem hohen Norden hat alles gekauft. Komischer Vogel, wollte eine Bestätigung haben, daß alles Grundig-frei ist, keine Ahnung was er meint, ich hab sie ihm halt gegeben."

Die Reise verlief gut. Ich hörte, als ich vom Postboten an der Tür abgeladen wurde, fröhliche Kinder und die nette Stimme einer freundlichen Frau. Sie rief sogleich ihren Mann an "...das Konvolut ist da.." und ich freute mich schon auf mein neues Zuhause. Die Kinder packten mich am Abend liebevoll aus, staunten als sie gerade mich sahen, und brachten mich zusammen mit meinen Begleitern Stück für Stück die Treppe hoch, in das Reich dieses geheimnisumwitterten Sammlers. Der saß an einem Schreibtisch inmitten von Tonbandgeräten und Cassettenrecordern, schaute wohlgefällig auf jedes Teil, daß die beiden Kinder nach oben brachten und biss dabei genüßlich von einem dick belegten Leberwurstbrot ab. Ich setzte mein nettestes Lächeln auf, wollte etwas zur Begrüßung sagen, da fuhr der Kerl hoch wie von einer Tarantel gestochen und schrie mit verzerrtem Gesicht: "Ihhh, eine Grundig!". Er packte mich und warf mich stante pede aus dem Fenster ins Freie, wo ich neben einer Mülltonne aufschlug.

Ich hätte im Boden versinken wollen, wenn ich es nicht schon getan hätte. Es hatte stundenlang geregnet, es regnete immer noch, und durch die Wucht des Aufpralls versank ich bis zu den Scharnieren des Koffers im Dreck. Daß der Boden aufgeweicht war, hatte mir das Leben gerettet, andernfalls wäre ich zerschellt. Ich war über und über mit Dreck bespritzt, und dazu noch mit Leberwurst bekleckert. Denn dieser unkulitvierte Snob hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, die Hände zu säubern bevor er mich vor die Tür setzte.

Gerade das hat mir ein zweites Mal das Leben gerettet. Lange hätte ich es nicht mehr ausgehalten, ich spürte schon, wie der Regen in mich hineinlief und hatte mit meinem Leben schon abgeschlossen, da hörte ich lebhaftes Hundegekläff. Kurze Zeit später bog ein großes, kuscheliges Wollknäuel um die Ecke, im Schlepptau ein ebenso zerzaustes Etwas das wild gestikulierend den Hund zu langsamerer Gangart bewegen wollte.

"Tu langsam, Fortran!", rief er, und hatte sichtlich Mühe Atmung und Sprache zu koordinieren, da er unentwegt an einer Zigarette saugte. Ich kannte diesen Typ Mensch - das war ein Programmierer, so wie mein bisheriger Besitzer.

Der Hund begann sofort, mich liebvoll abzuschlecken und befreite mich von der Leberwurst. Der Mann hob mich hoch, schaute mich an, blickte dann in die Runde, zuckte resigniert mit den Schultern und sprach die erlösenden Worte:

"O.K., Fortran. Das nehmen wir mit. Wir gehen sofort nach Hause und ich erzähle Dir ein andermal was über Cobol."

Ich wurde zum ersten Mal seit langen wieder so liebevoll gepflegt wie von meinem Vorbesitzer. Ich fühle mich wohl in diesem neuen Zuhause, vor allem deshalb, weil ich hier nicht mehr die älteste bin. Im vergleich zum Rest bin ich richtig jung. Ich mache mich mit den anderen bekannt. Gestern hatte ich ein nettes Gespräch mit einem amerikanischen Onkel, den sie alle nur 8-Spur nennen, und wenn Opa Phono-Rex den Mittagschlaf beendet hat, werde ich ihn auch näher kennen lernen.

Mein neuer Besitzer hat das John-L- Band abgenommen und zur Seite gelegt, dafür etwas Gitarrenpop aufgelegt, wie ich es früher oft spielen musste. Er schien zufrieden mit mir zu sein.

Ob ich je erfahre, was auf dem John-L-Band drauf ist? Egal, nicht so wichtig. Lieber wäre mir, ich wüsste, wo Janis abgeblieben ist und die ganzen anderen Bänder. Aber die werde ich wohl nie wieder sehen.

Oder doch?

- Michael -
Michael(F)
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#4
Wiedereinmal krabbelte der Grundig-Hasser auf seinem Dachboden herum und spielte mal mit dem einen, mal mit dem anderen Bandgerät. Bei ihm sein kleiner Sohnemann, ebenfalls klarer Grundig-Hasser, obwohl er noch nicht so ganz wissen dürfte, was das überhaupt ist. Offenbar erblich das.

Es dauerte nicht lange, da wurde sein Sohn etwas übermütig und begann an Reglern und Knöpfen zu hantieren. Als er sich an eine Saba wagte, schnellte sein Vater in die Höh...AUTSCH...getroffen sank der Grundig-Hasser zu Boden. Offenbar zeichnete auch Grundig für die Dachbalken verantwortlich.

Tage später erwachte er aus seinem Koma. Er erinnerte sich wieder an seine Frühkindheit, die seit seinem Unfall wie ausgelöscht schien. Damals war er als 5jähriger vom Baum gefallen und lag daraufhin 1 Jahr im Koma.

Zu Hause angekommen staunte er nicht schlecht über diese vielen Bandgeräte, die offenbar ihm gehörten. Besonders schön fand er die Akai-Decks, aber es wunderte ihn, dass so überhaupt keine Grundigs zu sehen waren.

Eine kurze Recherche im Internet brachte sofortige Erlösung: "Verkaufe Grundig TK 220 de luxe... Norddeutschland". Tags drauf holte er das Gerät bereits ab. Der Verkäufer, offenbar ebenfalls Sammler, verriet ihm, dass er 'nur wegen der anderen' immer Grundig-Geräte kaufe, 'aber unter uns, das ist doch der letzte...'. So bekam unser ehemaliger Grundighasser seine TK 220 geschenkt! Und dazu ein Band von John Lennon. Na prima!

Als er zu Hause ankam, stellte er sofort das Gerät in seinem Tonbandzimmer auf und schnappte sich sein bestes Band: ein Originaltape von Janis Joplin, legte es auf und lauschte zurückgelehnt in seinem Ohrensessel der Musik..ohne zu bemerken, dass die Grundig die Bandkante abschnitt und sich viele kleine Schnipsel über den Teppich ergossen.

Dann klingelte es an der Haustür. Ein kurzer Blick durch die Gardine gab ihm Gewissheit und er ging zurück zu seinem Ohrensessel, setzte sich und zeigte ein irgendwie blödes Lächeln, seine Augen funkelten rot... und sang 'They 're comming to take me away, haha, they're comming...'.

So die Legende, niemand weiss, was aus dem Mann geworden ist.
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#5
Oh doch, sein weiteres Schicksal ist durchaus überliefert!

Die Fahrt in dem weißen Transporter mit den hübschen Gittern vor den Fenstern endete in einer parkähnlichen Anlage vor der Tür eines prachtvollen, großen Hauses. Die freundlichen Helfer in den schicken weißen Anzügen geleiteten den Mann zuvorkommend, aber bestimmt in ein repräsentatives Büro und drückten ihn in einen Stuhl, der vor einem überdimensionierten Edelholz-Schreibtisch stand. Der Mann auf der anderen Seite des Schreibtisches, ein stiernackiger Endfünfziger, der zu einem hellgrauen Hemd ein ebensolches Gesicht trug, sah ihn aus unterlaufenen Augen streng an und sprach: "Guten Tag, ich bin der Anstaltsleiter. Du bist hier zwangseingeliefert worden, weil du mit deinem Haß auf alles, was den Namen Grundig trägt, zu einer unkalkulierbaren Gefahr für die Allgemeinheit geworden bist". Der ehemalige Grundig-Hasser wurde aschfahl. "A-a-a-aber ich ha-ha-hasse Gr-gr-grundig doch gar nicht", stammelte er, aber Stiernacken unterbrach ihn barsch: "Das sagen sie alle, bloß um hier rauszukommen, das kennen wir". Sprach's und befahl den Helfern, den ehemaligen Grundig-Hasser in seine Zelle zu bringen. Auf dem Weg dorthin fiel es diesem wie Schuppen aus den Haaren: das Gesicht des Stiernackens kannte er, und er wußte jetzt auch, woher, denn er hatte sein Bild in der Zeitung gesehen. Stiernacken machte hier nämlich nur nebenberuflich einen auf Anstaltsleiter, hauptberuflich war er als Insolvenzverwalter für Grundig eingesetzt und machte so die dicke Kohle. Verständlich, daß notorische Grundig-Hasser nicht in sein Konzept paßten. Diese Erkenntnis traf ihn wie ein Schock, sein latent vorhandener, nur vorübergehend durch den Zusammenprall mit dem Balken verschütteter Haß auf Grundig lebte wieder auf, stärker als je zuvor. "Hätte ich bloß das TK 220 de luxe mitgenommen", schrie er in Ermangelung geeigneterer Gesprächspartner die Wärter an, "so würde ich es diesem Fettwanst in seine aufgedunsene Fresse pfeffern". "Ruhig, ganz ruhig", erwiderte der Wärter, der seinen linken Arm hielt und den Druck spürbar verstärkte, und der an seiner rechten Seite ergänzte: "Du gehst jetzt schön in deine Zelle und beruhigst dich. Wir haben dir auch ein paar Teacs hingestellt, damit du was zum Spielen hast". Diese Aussicht versöhnte ihn mit der Welt, und er ergab sich ohne weiteres Murren in sein Schicksal.

Nach ein paar Stunden hatte er die Teacs kaputtgespielt, was ihn verwunderte, denn er hatte damit doch nur Bänder abgehört, und dafür waren die Dinger doch eigentlich gedacht. Also erkundigte er sich erstmal, wo er denn überhaupt war, und die freundlichen Wärter gaben ihm bereitwillig Auskunft. Die Anstalt hieß HDTV, das bedeutet "Haus der Tonband-Verrückten", und hatte etwa 130 bis 140 Insassen, und fast jeden Tag wurden es mehr. Jeder Insasse hatte eine eigene Zelle, die neben so elementaren Dingen wie Tisch, Stuhl, Bett, sanitären Anlagen, einer Bibel und einem Handbuch über objektorientierte Programmierung mehrere Wandregale enthielt, die von oben bis unten mit Bandmaschinen gefüllt waren. Die Zellen durften nur mit Sondergenehmigung verlassen werden, und die wurde selten erteilt. Man hielt untereinander Kontakt über Bildschirme und Tastaturen, die mittels einer recht fehlerbehafteten Software miteinander verbunden waren. Ab und zu durfte man sich aber doch gegenseitig besuchen, und zu dem Grundig-Hasser kam jeder gern, denn er hatte eine besonders große und schöne Gerätesammlung in seiner Zelle, und das lockte die anderen Insassen an. Um die Geräte besichtigen zu können, tolerierten sie sogar, daß er ihnen nichts von seinem traditionellen Fünf-Uhr-Tee abgab.

Über die elektronische Kommunikationsverbindung lernte der Grundig-Hasser viele seiner Mit-Insassen kennen. Was gab es da doch für unterschiedliche Charaktere! Ob die wohl in der Realität tatsächlich so waren, wie sie sich in der virtuellen Welt präsentierten? Zum Beispiel dieser Dipl.-Ing., der die Konversation gelegentlich vor dem Einschlafen bewahrte, zahlreiche wohlformulierte Beiträge ausspuckte und sich auch von einem lila Bildschirmhintergrund nicht stoppen ließ. Oder der, der vom Gras der Berge schwärmte, zum gelegentlichen Aufbrausen neigte, so ganz nebenbei eine neue Bandsorte entdeckte und das Geschichtsbuch der magnetischen Tonaufzeichnung umarbeitete. Oder aber, wie hieß er bloß noch, der Name erinnerte irgendwie an einen alten Schlager von Friedel Hensch, der konnte mit seinen mit Fachwissen prall gefüllten Beiträgen die weniger Wissenden mühelos erschlagen. Dann war da noch dieser kettenrauchende Rentner-Programmierer, der immer was von 'Cobol' faselte und daß sich mit dieser veralteten Sprache besser und schneller anwenderfreundliche und stabile Software schreiben ließe. Als ob es darauf ankäme, man hat schließlich modern zu sein im digitalen Zeitalter, ganz egal ob's mal hängt oder crasht. Aus einer elitären, um nicht zu sagen noch elitäreren Schweizer Anstalt, von der aus gelegentlich spottend oder mitleidig auf die Insassen anderer Anstalten herabgesehen wird, ist ein Bewohner hierher überwiesen worden. Der vertreibt sich jetzt die Zeit damit, die Geräte seiner neuen Mit-Insassen nach allen Regeln der Kunst zu zerpflücken. Eine Grundig und eine Akai fielen ihm bereits zum Opfer. Ein anderer bemerkenswerter Zeitgenosse wurde nicht zwangseingeliefert, sondern kam freiwillig aus Berlin hierher. Er war Missionar und predigte von morgens bis abends: "Vergeßt euren bisherigen Gott, der ist altmodisch und eigentlich schon tot, er rauscht, und ab und zu schmiert er auch. Ich verkünde euch die Lehre des neuen, modernen Gottes, der hat die besseren Editiermöglichkeiten und kann sogar von sich selbst verlustfreie Kopien herstellen". Nun, die Insassen des HDTV waren tolerante Menschen, sie ließen ihn gewähren, beschäftigten sich sogar mit der Lehre des neuen Gottes, ließen sich aber natürlich nicht von ihrem angestammten Gott abbringen. Immerhin, durch Intervention des Insassenrats hat der Prediger jetzt beste Chancen, zum Anstalts-Geistlichen befördert zu werden, falls er dem gelegentlichen Spott seitens einiger Insassen, namentlich dem aus dem dunklen Labor, weiterhin standhält.

Ja, der Grundig-Hasser hat sich recht gut in seinem neuen Zuhause eingelebt. Eine Heilung seines Leidens ist nicht in Sicht, und so wird er seinen Grundig-Haß noch lange Zeit in kleinen, wohldosierten Wortspritzen über seine Mit-Insassen versprühen können.

Wünschen wir der Anstalt weiterhin gesundes Wachstum, Ausgewogenheit und ein gutes Miteinander-Auskommen der Insassen!

Wolfgang

P.S. Ob Ähnlichkeiten mit lebenden Personen bzw. virtuellen Charakteren nun beabsichtigt, erwünscht oder Zufall sind, bleibt der Entscheidung des einzelnen überlassen.

P.P.S. Falls mal jemand dran denkt, bringt ihm doch sein Grundig TK 220 de luxe vorbei. Er vermißt es bestimmt.
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#6
NACHTRAG:

Damit ihr nicht meint, das eben gelesene sei alles nur erstunken, erlogen, an den Haaren herbeigezogen und aus den Fingern gesogen, hier ein Bild vom Star der Story:

http://www.spulentonband-robert.de/4imag...ge_id=1792

Das existiert nämlich tatsächlich. Und, wer weiß, vielleicht erzähle ich eines Tages mal seine WAHRE Geschichte. Die ist weit weniger aufregend...

Gruß, Wolfgang
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#7
Heute kam ein Nachbar zu mir und fragte mich, ob ich noch Tonbandgeräte sammele. Er hätte so ein altes Ding aus dem Gerümpel im Keller gezogen. Beschrieben wurde es mir als blaugrauer Kasten mit Tasten, Drehschaltern, Reglern und Leuchtdioden sowie ein Meßgerät. Er wußte nur nicht wie man da ein Band oder eine Kassette reinlegen kann. Es hätte keinen Deckel, den man öffnen könnte und auch keinen Schlitz für den Kassetteneinschub. "Ein Mikrofon ist auch dabei" sagte er mir und war der Meinung, das Ding hat irgendwas mit dem Tonband zu tun. Vielleicht ein UHER 240 oder etwas ähnliches? Aber da wäre ja ein Kassettenfach wie beim Autoradio und wer kennt das nicht. Als er nun das Ding anschleppte, hatte es rein garnichts mit dem Tonband zu tun. "11m-Band-Transceiver" steht auf der Kiste,(also doch ein "Bandgerät für Bänder mit 11 Meter Länge"?Smile), es war ein altes CB-Funkgerät, eine reine "FM-Möhre" mit 40 Kanälen. Das Gerät funktioniert sogar noch ganz gut, nach langer Zeit habe ich mal wieder ein QSO (Funkverbindung) gefahren. Moral von der Geschichte: Nicht alles was Schalter und Regler hat und wo man ein Mikrofon anschließen kann, ist ein Tonbandgerät.
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