Wiedergabeverstärker: Kopf-Entzerrung
#1
Dies ist die Fortsetzung zum Beitrag Wiedergabeverstärker: Norm-Entzerrung.

Das Band-Kopf-System (BKS) erzeugt eine Induktionsspannung mit einem Frequenzgang, der bis ca. 1kHz Frequenz - proportional ansteigt (omega - Gang) und dann zunehmend abfällt. Zieht man den omega - Gang ab, erhält man solch einen Dämpfungsverlauf:
   
Die Grafik zeigt ein Beispiel mit 19cm/s und 6µm.
In der Grafik ist die lila Linie die eines gerechneten Modells und die blaue Linie stellt die Werte aus der Doku zum Tonkopf W2H9 von Goldpfeil dar (Ablesefehler ≤ 1%).
Der Dämpfungsverlauf hängt entscheidend von der Kopfspaltbreite und der Bandgeschwindigkeit ab.
(Näheres zu dem Thema hier: Modellierung der TB-Wiedergabe ).

Im Gegensatz zur Norm-  "Verzerrung" (s. voriger Beitrag "Norm-Entzerrung") entspricht die BKS-Dämpfung leider nicht dem Verlauf elektronischer Frequenzglieder. Sie lässt sich deshalb nicht mathematisch exakt kompensieren. Wir sind also zu einer mehr oder weniger genauen Adaption gezwungen.

Man sieht, der Verlauf des Frequenzabfalls ist im ganzen Bereich "rund". Und das ist ein Problem.
Tiefpässe sind entsprechend ihrer Ordnung verschieden steil (20/40/60... dB/Dekade) und der Übergang zw. Durchlass- und Sperrbereich ist, mit steigender Güte, mehr oder weniger "rund" (bis hin zum Überschwingen). Aber es endet immer in einer Geraden von 20/40... dB/Dekade. Eine Adaption aus solchen Tiefpässen erweist sich als praktisch aussichtslos.

Im gesamten Bereich "rund" sind dagegen resonante Gebilde. Wenn wir nur die untere Seite einer resonanten Schaltung benutzen (die obere Seite ist egal, da jenseits des Übertragungs-  bzw. Hörbereichs), könnte das eine Lösung sein. Der Kurvenverlauf ist in einem weiten Bereich "formbar". Einfach im Entwurf sind LC-Schwingkreise. Resonanzfrequenz und Güte können leicht variiert werden und man kann sich einen recht gut passenden Teil aus der Kurve herauspicken.

Ein Segen für eine solche Vorgehensweise ist eine Schaltungssimulation. Man sieht sofort grafisch das Resultat einer Veränderung. Anfangs habe ich versucht, direkt die Übertragungskurve gerade zu biegen. Das machte sich nicht so gut. Dann hatte ich die Idee, mich an den Dämpfungsverlauf "anzuschmiegen". Dazu habe ich einfach das Gegenkopplungs-Netzwerk passiv vorwärts betrieben. Wenn das dann genau auf der Dämpfungslinie liegt, kompensiert es in der Gegenkopplung die Dämpfung perfekt. Und das ging dann sehr schön. Ich zeige die Vorgehensweise am Beispiel 19cm/s, 6µm.

Zuerst wurde ein Schwingkreis "angeschmiegt" :
   
Mit Ckr lässt sich leicht die Resonanzfrequenz einstellen und mit den Längswiderständen die Güte manipulieren. Man sieht sehr schnell, welche Parameteränderung einen dichter ans Ziel bringt. Rechts ist das vorläufige Ergebnis zu sehen. Von 5...20kHz liegt die blaue Filterkurve recht gut an der grünen Dämpfungskurve an. Der Bereich zw. 0,2 und 5kHz passt nicht. Hier hat der Schwingkreis zu viel Güte. Die könnte man leicht senken, aber dann passt es oben nicht mehr.

Also muss etwas gegengesteuert werden und dafür genügt ein RC-Glied mit zwei Polen. Das Ergebnis sieht so aus:
   
Besser hab ich´s nicht hingekriegt ;-))

So, hängen wir das Netzwerk in die Gegenkopplung eines OpAmps, den wir mit der Dämpfungskurve ansteuern und schauen, was passiert:
   
Ein Fehler von ±0,3% im gesamten Übertragungsbereich. Ich denke, das kann man so lassen.

Wie realistisch ist so ein Ergebnis?
Ganz oben haben wir gesehen, dass das Original dem Modell, mit dem hier gearbeitet wurde sehr nahe kommt. Man muss nun den realen Dämpfungsverlauf so genau wie möglich messen, damit in die Simu gehen und leicht nachbessern. Die ±0,3% sollten auch damit zu erreichen sein.
Die so gewonnen BE-Werte sollten nun möglichst genau eingesetzt werden. Kritisch sind die BE des Resonanzkreises. L und C müssen auf die Resonanzfrequenz abgestimmt werden, R1 kann aus zwei E48-Werten auf ±1% zusammengesetzt werden. Die Werte für das RC-Glied sind wesentlich unkritischer. Hier genügen BE aus der E48-Reihe. Am Ende sollte der größte Fehler aus der Messung am Anfang stammen.

Eines noch kurz: Wer sich schon ein paar real existierende Wiedergabeverstärker angesehen hat, dem ist vielleicht aufgefallen, dass zu dem Zweck der Resonanz gern die Induktivitäten der Wiedergabeköpfe benutzt werden. Das ist 1. ökonomisch - man spart die ungeliebte Spule. Und 2. erhält man noch etwas mehr Eingangsspannung, was günstig für den Rauschabstand ist (Höchstwahrscheinlich jedenfalls, da die Quelle bei Resonanz ja hochohmiger wird. Bin zu faul, das zu überprüfen.) Nachteilig ist nur, dass bei verschiedenen Geschwindigkeiten ein Umschalter direkt am WK nötig ist. Im vorliegenden Fall sind 3 Geschwindigkeiten zu realisieren und die Eingangsspannung ist wg. eines sehr niederimpedanten WKs sehr klein. Deswegen sollen am Kopf keine Schalter sein.

Vielleicht hat´s ja jemanden interessiert. Kommentare und Korrekturen sind immer gern gesehen. Ja - das ganze soll auch gebaut werden. Glücklicherweise nicht von mir. Das Simulieren ist doch sooo viel einfacher.

Ich wünsche gutes Gelingen, liebe Grüße
Frank
In Rust We Trust!
T e s l a  B 1 1 6 (A.D.),  R E V O X  B 7 7
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#2
Hallo Frank,

Interessante Geschichte...
Da das Ganze für den Gebrauch von W2H9- Köpfen sein soll, ist es wohl für das Projekt von Jan (Ferrograph) ? Wir hatten da ja im vergangenen Jahr (oder war es schon 2021?) diverse Messungen auf den Karten vorgenommen... 

Wenn das mal richtig funktioniert wäre es eine gute Sache, denn die Wiedergabe- Entzerrerkarten für die RFZ- bzw. Thurow / VEB Tontechnik- Boliden sind ja nicht so reichhaltig verfügbar, wie jene für eine A77... Bin gespannt ! ;-)

Viele Grüße, Rainer
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#3
Drei Anregungen dazu:

1. Guck dir mal den Frequenzgang bis 100 kHz an.
2. Guck dir mal das Verhalten für 1 kHz Rechteck (am OP-Eingang) an.
3. Guck dir mal den Frequenzgang an mit einem OP mit Leerlauf-Verstärkung 100k und GBW=1MHz , 3 Mhz & 10 Mhz statt des idealen OP.

Man sollte vermeiden, daß die Entzerrer-Verstärkung jenseits des Audio-Bereiches weiter ansteigt.
Im vorliegenden Fall steigt sie über 20 kHz noch um fast 12 dB bis 26 kHz an.

MfG Kai
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#4
Ein leider verspäteter, notwendigerweise grundsätzlicher Kommentar:

Man tut gut daran, in der Magnetbandtechnik nicht in "Frequenzen", sondern (wo immer angebracht) "in Wellenlängen" zu denken. Orientierungshilfe: der Zahlenwert der Wellenlänge in µm einer 10 kHz-Aufzeichnung ist gleich dem Zahlenwert der Bandgeschwindigkeit im cm/s.

Der Wiedergabeverstärker wird - in erster Linie - so ausgelegt, dass sich beim Abspielen des Frequenzgangteils des jeweils zuständigen Bezugsbandes (!) ein (möglichst) geradliniger Frequengang ergibt.

Der Aufnahmeverstärker ist nicht genormt, sondern er ist so auszulegen, dass bei Aufzeichnung auf dem Bezugsband-Leerteil (und damit kompatiblen Bändern) das Wiedergabe-Signal einen (möglichst) geradlinigen Frequengang hat.

Bitte auch zu beachten, dass insbesondere im Bereich kleiner Bandgeschwindigkeiten die Entzerrungs-Zeitkonstanten gelegentlich der Bandentwicklung angepasst wurden. Konsequenz: Original-Aufnahmen aus den 1950er Jahren (z.B. 9,5 cm/s) müssen anders entzerrt werden als solche auf C 264 Z-kompatiblen Bändern (z.B. BASF DP 26, LH 35 ...).

F.E.
ZEITSCHICHTEN, barrierefreier Zugriff im "GFGF-Buchladen", URL https://www.gfgf.org/de/b%C3%BCcher-und-schriften.html (ca. 240 MB)
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#5
Danke für das Interesse und die konstruktive Kritik bis hier her.

@Kai: Mache ich noch, werde ggfs. nachbessern und berichten. Ich werde auch den Phasengang wieder einblenden und prüfen, ob genug Phasenrand zur Schwingsicherheit vorhanden ist. Ich war im "Blutrausch", weil ich mich darüber gefreut habe, wie gut erstens das Modell zum praktischen Verlauf gepasst hat und zweitens, wie erstaunlich gut die Entzerrung mit doch überschaubarem Aufwand machbar war.

@Friedrich: Ich sehe alle deine natürlich völlig korrekten Bemerkungen hier aber berücksichtigt.
Keine Sorge, mir ist bekannt, dass der Dämpfungsverlauf des Band-Kopf-Systems entscheidend geprägt ist vom Verhältnis der magnetischen Wellenlänge zur effektiven Kopfspaltbreite, was bei Gleichheit ja zur Totalauslöschung führt. Diese von mir fs ("Spaltfrequenz") genannte Frequenz für 19cm/s und 6µm steht neben der Resonanzfrequenz fo des Schwingkreises in der Schaltung.
Es geht hier auch um nichts anderes als die Anpassung des Wiedergabeverstärkers an das Bezugsband, nicht etwa um das Gerade-Biegen eines Über-Band-Frequenzganges. Da ich eine strikte Trennung zw. Kompensation 1. der Zeitkonstanten und 2. der BKS-Dämpfung vornehme, geht es hier nur um den 2. Teil. Die Zeitkonstanten sind bereits kompensiert (s. 1. Teil). Das macht etwas mehr Aufwand, hat aber mehrere Vorteile:
- Die Norm-Entzerrung kann man rein rechnerisch exakt dimensionieren. Man kann jede beliebige Zeitkonstante mit dem Taschenrechner dimensionieren und einbauen ohne etwas messen oder abgleichen zu müssen. Denn der Magnetfluss des Bezugsbandes ist ja exakt von diesen genormten Zeitkonstanten geprägt. WIE das gemacht wurde ist hier egal, das ist allein das Problem des Aufnahmeverstärkers.
- Die BKS-Entzerrung braucht man nur ein mal pro Bandgeschwindigkeit realisieren. Wenn man das mit einem BB19H (NAB) macht, passt es exakt auch für BB19S (CCIR), man muss natürlich die jeweils richtige Zeitkonstante einschalten.
Also ich denke, wir haben´s im Griff.

Eine gute Nacht wünscht
Frank
In Rust We Trust!
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#6
Hallo Kai,

hier hole ich die von dir angeregten Überprüfungen nach, die ich im Eifer des Gefechts vernachlässigt habe.

1. Guck dir mal den Frequenzgang bis 100 kHz an. Man sollte vermeiden, daß die Entzerrer-Verstärkung jenseits des Audio-Bereiches weiter ansteigt.
Im vorliegenden Fall steigt sie über 20 kHz noch um fast 12 dB bis 26 kHz an.
   
Dies ist der Frequenzgang für ein Band-Signal, wenn es soweit gehen würde. +2,5dB bei 25,1kHz. Da liegt die LC-Resonanz.

Aber du meintest sicher dies:
   
Nach 20kHz geht es noch mal rauf von 25dB bis auf 37dB. Aber bei 33kHz bin ich zurück auf 26dB. Ich wüsste aber nicht, wie ich das verhindern sollte. Ich brauche diese Güte und diese Resonanz für die Kompensation.
Ich habe 18k parallel zu Lkr geschaltet. Dadurch geht die Verstärkungsspitze von 37dB runter auf 33dB, ohne dass es bis 20kHz schadet. Mehr geht nicht. Dazu bräuchte ich einen TP mit höchstens -0,5dB bei 20kHz und -12dB bei 25kHz.
Schaden kann dieser Anstieg mbMn. nicht. Übersteuerung ist nicht zu befürchten, vom Band kommt da nichts mehr außer >26dB gedämpftes Rauschen.

3. Guck dir mal den Frequenzgang an mit einem OP mit Leerlauf-Verstärkung 100k und GBW=1MHz , 3 Mhz & 10 Mhz statt des idealen OP.
Ja, es sollte auf jeden Fall geprüft werden, ob alles auch mit einem realen OpAmp funktioniert, ob das Verstärkungs-Bandbreite-Produkt reicht. Ich brauche 26dB bei 20kHz. Ich setze mal den dafür vorgesehenen LT1037 ein, der hat da noch 70dB in der offenen Schleife.
   
Das ist der Frequenzgang mit dem LT1037 - unverändert. Ein OP mit Aol=15Meg und GBW=45Meg (die Werte des LT1037) sieht genau so aus. Sollte also diesbezüglich alles i. O. sein.

Nun noch zum Schluss die Kontrolle des Phasenrandes:
   
Autsch, -180° mit ~7dB bei ~14MHz, das schwingt! Da gibt es noch eine 2. Polstelle bei knapp 10MHz, tippe auf die interne Kompensation. Wenn ich eine zusätzliche Verstärkung von >=2,5 einbaue, beruhigt sich das und die -180°  werden bei 0dB erreicht. Mit höherer Verstärkung wird es aber nicht mehr besser. Das reicht gerade eben nicht, schwingt trotzdem noch!
:
grübel, grübel
:
READ THE F... DATASHEET!  "... and 60MHz gain bandwidth product on the decompensated LT1037,  which  is  stable  for closed-loop gains of 5 or greater."
Der 1037 ist also NICHT kompensiert! Dann wird der 1007 wohl der für Verstärkung 1 kompensierte sein, steht aber nirgendwo.
Also 1037 RAUS, 1007 REIN! 0dB bei -120° - puh - ooohkayyy!
Ich baue noch 6dB Verstärkung rein, ist so geplant:
   
0dB, -110°. Ein Phasenrand von 70°, das ist sehr sicher.

2. Guck dir mal das Verhalten für 1 kHz Rechteck (am OP-Eingang) an.
Ich schau am Ausgang, aber das reicht auch:
   
Ein heftiges Ausschwingen, mit 26kHz. Sieht wirklich nicht gut aus und ist natürlich die Resonanz des Schwingkreises. Dieser hat (und braucht) eine Güte von knapp 7. Und so was schwingt bei Impulsanregung aus, geht nicht anders. Das hat also gar nichts mit dem OpAmp und der Gegenkopplung zu tun, das macht der Schwingkreis ganz allein.
Stört das?
1. Eigentlich nicht, denn die Schwingung liegt jenseits des Übertragungsbereiches.
Ist trotzdem unschön aber glücklicherweise auch erst die halbe Wahrheit, denn
2. stört es fast gar nicht mehr, wenn wir statt mit einem hier nicht vorkommenden supersteilen Impuls, mit einem 20kHz Burst anregen:
   
Am Anfang 100ms leichtes Einschwingen und am Ende 200ms Ausschwingen. Und auch das ist noch ein unrealistischer worst case, denn der Burst beginnt und endet hart, was technisch auch nicht vorkommt.
Zugegeben, auch ich habe mich erst mal mächtig erschrocken.

Ich denke, ich bin durch und soweit scheint jetzt alles o.k. zu sein.

Oder?

Viele Grüße an alle Interessierten
Frank
In Rust We Trust!
T e s l a  B 1 1 6 (A.D.),  R E V O X  B 7 7
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#7
Mit ein bischen mehr Aufwand kann man unnötige Verstärkung so vermeiden:
   
E4 ist ein idealer Verstärker mit V=10⁶.
Franks Entzerrer wurde um C18, C17, L9 & R27 ergänzt.
Die Bauteile-Werte wurden dann variiert,
von Franks Original nur R25, R26 & C16.

Hier die Entzerrer-Frequenzgänge:
   
Blau Franks Version, rot die erweiterte Version.
Die Resonanz-Spitze bei ~26 kHz wurde darmit vermieden.

Hier der Frequenzgang der zweiten Version hinter Franks Modell der WK-Verluste:
   
Am oberen Ende des Frequenzgangs wurde ca. ein kHz "geopfert".
Darunter liegt der Approximations-Ripple bei etwa +0,4 ... -0,5 dB .

MfG Kai
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