Wiedergabeverstärker: Norm-Entzerrung
#1
Für ein vorhandenes Laufwerk soll ein Wiedergabeverstärker gebaut werden.

Ein TB-Wiedergabeverstärker hat 3 Entzerrungen zu leisten:

1. Die omega-Kompensation
Der omega-Gang ist die lt. Induktionsgesetz proportional mit der Frequenz ansteigende Induktionsspannung.

2. Die Kopf-Entzerrung
Das Band-Kopf-System weist eine mit der Frequenz ansteigende Dämpfung auf. Diese hängt wesentlich von der Kopfspaltbreite und der Bandgeschwindigkeit ab.

3. Die Norm-Entzerrung
Das ist die Kompensation der nach NAB bzw. IEC genormten Frequenzgänge bei der Aufzeichnung.

In dem Projekt sollen die Entzerrungen weitestgehend unabhängig umgesetzt werden. (Bei kommerziellen Geräten geht das i. d. R. ineinander über.) Deshalb bestand die Aufgabe, eine reine Norm-Entzerrung zu realisieren.

Die Norm-“Verzerrungen“ bei Aufnahme entsprechen im Frequenzgang dem einfacher RC-Glieder. Deshalb sind auch bei der Norm-Entzerrung einfache RC-Glieder ausreichend, um eine theoretisch fehlerfreie Entzerrung zu erzielen. Dies ist im Prinzip so  einfach, dass es schon langweilig ist. Beim konkreten Entwurf bin ich aber doch über ein paar Details gestolpert und deshalb stelle ich das hier mal vor – vom Urschleim bis zum letzten Detail.

Bei der Norm-Entzerrung fällt die omega-Kompensation mit ab, sie ließe sich schwer vermeiden. Bei den beschriebenen Frequenzgängen wird die omega-Kompensation deshalb ausgeblendet.

Folgende Normen sollen entzerrt werden durch:
Norm      Höhenanhebung  Tiefenabsenkung
NAB 9,525 90µs  1768Hz    3180µs  50Hz
NAB 19,05 50µs  3181Hz    3180µs  50Hz
IEC 19,05 70µs  2274Hz
NAB 38,1  50µs  3181Hz
IEC 38,1  35µs  4547Hz

Die Höhenanhebung wird realisiert in der Gegenkopplung als eine Reihenschaltung von R und C, die Tiefenabsenkung als eine Parallelschaltung. Die jeweilige Zeitkonstante errechnet sich ganz einfach als τ = R • C.
Also z.B. 3180µs = 31,8kΩ • 100nF, 90µs = 900Ω • 100nF.

Hier gleich erst mal die fertige Schaltung:
   

Die Schaltung soll möglichst niederohmig sein, deshalb soll Ctau möglichst groß gewählt werden. Da Ctau hochwertig und genau sein muss, wurde ein Wert von 100nF gewählt. Den gibt es mit Toleranz 5%. Das genügt für Fehler ≤ ±0,5dB.

Wenn man nun z. B. die Zeitkonstante 90µs sucht, schaut man natürlich zuerst auf Ctau und R90a/b. Müsste letzterer nicht 900Ω haben? Dachte ich auch mal. Aber in Reihe zu Ctau liegt auch noch Rgain. Und zusammen sind es dann 900Ω.
Bei R70 und R50 muss man bedenken, dass R90 jeweils parallel liegt. Das ist Absicht, damit beim Umschalten die Gegenkopplungsschleife immer geschlossen bleibt.
Bei R3180 liegt Rdc parallel.

R35 ist gleich 0, die Zeitkonstante wird allein durch Rgain gebildet. Warum?
Das hatte ich ursprünglich überhaupt nicht auf dem Schirm. Der Frequenzgang ließe sich auch mit jedem kleineren Wert für Rgain erreichen. (R35 bis R90 müssten dann natürlich angepasst werden.) Aber umso kleiner Rgain, desto größer wird die Verstärkung. Und jetzt kommt doch noch mal der omega-Gang ins Spiel. 20Hz bis 20kHz bilden ein Verhältnis von 1:1000. Diesen Faktor besitzt auch die induzierte Spannung. Das sind 60dB, die kompensiert werden müssen. Da negative Verstärkung nicht möglich ist, bräuchte der OpAmp eine Verstärkung von 60dB im Maximum! Das ist schon recht viel. Für optimale Parameter strebe ich Verstärkungen von nicht viel mehr als 40dB an. Man sollte also jede nicht nötige Verstärkung vermeiden.

Wozu wird Rdc gebraucht?
Bei den IEC-Normen wäre ohne ihn und ohne R1380 die DC-Gegenkopplung durch Ctau unterbrochen, was zu unkontrolliertem Verhalten führen würde. Um unnötig hohe Verstärkungen bei tiefsten Frequenzen zu vermeiden, aber den NF-Bereich möglichst wenig einzuschränken, ist Rdc so dimensioniert, dass bei 20 Hz eine Dämpfung von 0,5dB vorliegt.

Welche Toleranzen bei den Komponenten sind für eine hohe Genauigkeit erforderlich?
Im dimensionierten Verstärker werden Widerstände aus der E48-Reihe eingesetzt, die z. T. von den optimalen Werten abweichen. Der Fehler im Frequenzgang bleibt aber immer unter ±0,1dB. Wenn Ctau 5% Fehler hat, bleibt man noch unter ±0,5dB.

Jetzt wollen wir aber langsam das Ergebnis sehen, am Beispiel von NAB 19:

Der Frequenzgang des Entzerrers (ohne omega-Kompensation):
   

Die Entzerrung von NAB 19 (BB19H):
   

Der Verstärkungsgang bei NAB 19 (incl. omega-Kompensation):
   

Dank der Zeitkonstanten bleibt V deutlich unter 60dB. Jedenfalls gut, jedes weitere dB zu vermeiden.

Zu guter Letzt müssen wir überprüfen, ob der OpAmp das niederohmige Netzwerk (350Ω) auch treiben kann. Vorgesehen ist ein NE5532. Dieser kann min. 10mA, typ. 38mA treiben. ±20mA an 350Ω wären ±7V. Das wäre ein Sinus von 5Veff. Viel Luft ist da nicht, aber es reicht.
Wer es nicht so niederohmig braucht, kann deshalb Ctau auf 10nF verkleinern und alle Rs mit 10 multiplizieren.

Und wer IEC 38 nicht braucht, kann R50_ von 205Ω auf 0Ω verkleinern, diese 205Ω ebenfalls von R70_ und R90 abziehen und zu Rgain addieren.


So, viel mehr fällt mir zu dem Thema nicht ein. Ich versuche mich gerade an der Kopf-Entzerrung. Das ist kniffliger und damit spannender.

So long
Frank
In Rust We Trust!
T e s l a  B 1 1 6 (A.D.),  R E V O X  B 7 7
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#2
Hallo,
die gezeigte Schaltung macht (bei mir) nur eine Bass-Anhebung bzw Höhen-Absenkung (bekanntlich ist alles relativ).
Ich kann nicht erkennen, wo da eine Höhen-Anhebung herkommen soll.
Ich wüßte auch keinen Grund, warum die Beschaltung des OP besonders niederohmig sein sollte.
Im Gegenteil, ich habe schon OPs erlebt, die weniger Strom liefern konnten als im Datenblatt spezifizert war.
Außerdem nehmen meist die Verzerrungen mit dem Strom zu.
Letztlich sind sehr gute Kondensatoren mit kleiner Kapazität billiger als große Klötze.
Eine Bass-Absenkung nimmt man am bequemsten in den Koppel-CR-Hochpässen von Verstärkerstufen vor, weil sie da sowieso meist erforderlich sind, wenn nicht mit symmetrischen Betriebsspannungen gearbeitet wird.
Normalerweise verpaßt man denen Grenzfrequenzen weit unterhalb des Audio-Bereiches. Man braucht also nur eine auf 50 Hz dimensionieren und der Fall wäre erledigt.
Andererseits ist der Wunsch zu der Drei-Teilung der Entzerrungs-Aufgabe un-ökonomisch.
Nimmt man die 50Hz/3183µs (Hochpass) Implementierung unabhängig von der Omega-Gang Kompensation vor, ist man gezwungen, diese Kompensation bis zu viel tieferen Frequenzen zu realisieren. Kombiniert man beides, läßt man einfach die Omega-Gang-Kompensation bei 50 Hz enden und spart sich den separaten Hochpass und Verstärker mit sehr viel höherer Leerlaufverstärkung.

MfG Kai
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#3
Hallo Frank, hallo Kai,

interessantes Thema - fasziniert mich irgendwie auch schon immer Smile

Ich hatte mal einen Versuch mit einem Tonkopf direkt am Mikrofonverstärker gemacht, und im Thread von Binse kurz darüber berichtet. Die Entzerrung wollte ich zwar rein digital machen, aber die dafür verwendeten Filter haben auch analoge Pendants.

   

Eigentlich müsste ich den Faden mal wieder aufnehmen - eine Kombination aus grober analoger Vor-Entzerrung und digitaler Fein-Nacharbeit fände ich für meine Zwecke perfekt, zu dem noch leicht abgleichbar (einfach andere digitale Filter) und dadurch sehr flexibel.

Im anderen Thread hatte ich auch zwei Artikel zu Wiedergabe-Verstärkern verlinkt - vielleicht sind sie ja auch hier von Interesse Smile

Viele Grüße
Andreas
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#4
Erst nochmal zu Franks Text:
Irgendwie passen Text und Bilder nicht zusammen.
Bei nochmaliger Betrachtung der Schaltung sehe ich da eine übliche Kombination von Omega-Kompensation mit Beendigung unten bei 50 Hz und Beendigung oben bei der Eckfrequenz der Norm-Bandfluß-Entzerrung.
Von Teilung der Entzerrungs-Aufgabe in drei unabhängige Abschnitte kann also gar keine Rede sein,
es sei denn Frank hat ganz was anderes gemeint als ich da rauslese.
Erst dachte ich, der erste Graph (Bild 2) solle der Frequenzgang der darüber gezeigten Schaltung sein.
Jetzt dämmert mir aber, daß da wohlmöglich der Frequenzgang nach geistigem Abziehen des Omega-Gangs (im Hinterkopf) gemeint ist.

Der Text ist also mindestens mißverständlich formuliert.
Oder ?

MfG Kai
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#5
Hallo Kai!

Den echten Frequenzgang des Verstärkers sieht man ja im 3. Diagramm. Zu den hohen Frequenzen hin z.B. geht die Omega-Kompensation in eine Waagerechte über. Eine "Höhenanhebung" wird es erst, wenn man die Omega-Kompensation wegdenkt (s. 1. Diagramm), wie ich schrieb. Ich habe diese Begriffe gewählt, um die Wirkung des Gesamtsystems auf die Entzerrung der Norm (der Bezugsbänder) zu verdeutlichen.

Die Trennung in letztlich 2 Entzerrer (Norm+Omega, Band-Kopfsystem) dient der einfacheren Entwicklung und führt vielleicht auch zu einem exakteren Ergebnis, da Wechselwirkungen vermieden werden. Der Mehraufwand ist überschaubar, da beide Netzwerke in derselben Gegenkopplung liegen sollen, also denselben Verstärker benutzen. Das ist auch der Grund für die Niederohmigkeit des 1. Teils, um das 2. (höherohmig ausgelegte) Netzwerk niederohmig zu speisen und damit weitgehend zu entkoppeln. Der Materialaufwand ist in einer Serienproduktion natürlich ein verständlicher ökonomischer Faktor (worauf ich hinwies). Bei dieser Einzelentwicklung wollte ich mir aber alle Freiheiten für die BKS-Entzerrung offen halten und mir vor allem dessen Dimensionierung wesentlich vereinfachen.

Dieses Schaltungsprinzip mit Omega-Kompensation, Tiefen- und Höhenzeitkonstante in einem Netzwerk kenne ich aus allen mir bekannten kommerziellen Geräten. Da dort das BKS aber tlw. mit entzerrt wird, sieht man dort die genormten Zeitkonstanten nicht ganz genau.

Soviel zur Erklärung, viele Grüße, Frank.

Der Plan ist, mit einem linearen Vorverstärker und dieser Normentzerrung ein Bezugsband auszumessen. Man erhält dann den alleinigen Dämpfungsverlauf des BKS. Den kann ich dann in einer Simu prima kompensieren und - tada - schon passts.
In Rust We Trust!
T e s l a  B 1 1 6 (A.D.),  R E V O X  B 7 7
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#6
Da habe ich deinen Text also tatsächlich anders verstanden, als du ihn gemeint hast.

Bekanntlich ist ein Bild meist hilfreicher als tausend (unterschiedlich interpretierbarer ) Worte.
Deshalb hier eine Erläuterung, der man alles nötige entnehmen kann, wenn man meine Freitagsschrift lesen kann:
   
Das ist die Übertragungsfunkton der Schaltung für einen idealen OP.
Im Nenner steht die Bass-Zeitkonstante (der Pol-Frequenz) Tbass=R2 * C2
im Zähler steht die Höhen-Zeitkonstante der Norm-Entzerrung ("Nullstelle") Thigh= R2||(R1+R3) * C2
R2||(R1+R3)=R2*(R1+R3)/(R1+R2+R3) ist die Parallel-Schaltung von R2 und R1+R3.

Bei anderer Anwendung dieses Schaltungs-Typs wird der Begriff "(Bass-) Shelf-Filter 1.Ordnung" gebraucht.

Zur Kompensation der Kopf-Verluste benötigt man meist Schaltungen mindestens 2.Ordnung, die im vorigen Jahrhundert oft unter Verwendung von Spulen realisiert wurden.
Einiges davon kann man aber auch analog mit aktiven RC-Schaltungen erledigen.
Digital kann man sowieso alles nach Bedarf programmieren oder hinreichend genau approximieren.

MfG Kai
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