Das (Sony-)Doppelcassettendeck im Wandel der Zeiten
#1
Hallo,

aus irgendeinem Grund interessieren mich gerade Doppelcassettendecks. Weil ich einige von diesen Geräten rumstehen habe, und weil diese alle vom selben Hersteller sind, dachte ich: man könnte sie mal herzeigen und schauen, was sich im Laufe der Zeit verändert hat. Dabei interessiert mich vor allem die Laufwerksmechanik.

Damit es sich nicht so deprimierend als Chronik fortschreitenden Verfalls liest, würde ich vorschlagen, wir fangen hinten an und gehen rückwärts Smile

Die letzte Entwicklungsstufe der Doppeldecks bei Sony hieß TC-WE475. Dieses Gerät wurde 2001 eingeführt und erstaunlich lange produziert; ich weiß nicht, ob der Angabe "2001-2009" bei Hifiengine zu glauben ist, aber das Modell war jedenfalls noch sehr lange in den Katalogen aufgeführt, als das Hifi-Segment praktisch nur noch aus AV-Receivern und SACD-Spielern bestand. Die Serviceanleitung hat zahlreiche Revisionen erfahren, die letzte im Jahr 2006: "Addition of Hair-line finished silver model for AEP and UK."

Zum TC-WE475 gab es anfänglich ein besser ausgestattetes Schwestermodell namens TC-WE675. Damit konnte man in beiden Decks aufnehmen, eine Abspiel-Reihenfolge programmieren und eine automatische Einmessung vornehmen. Das TC-WE475 mußte ohne diese Fähigkeiten auskommen, war aber mechanisch fast identisch.

Ein TC-WE475 oder -WE675 habe ich nicht. Aber beide Decks sind fast baugleich zu den Modellen TC-WE435 und TC-WE635 aus dem Jahr 1999, und ein TC-WE635 hätte ich da:

   

Über die Sinnhaftigkeit einer variablen Geschwindigkeit beim Abspielen kann man sicherlich streiten; aber diese RMS-Programmierfunktion kommt mir bei einem Medium, das eben keinen wahlfreien Zugriff bietet, absolut irrsinnig vor. Ob das jemals irgendwer benutzt hat?

Ansonsten ist nicht viel zu bemerken. Die Klappen werden mechanisch betätigt, und die Frontseite ist komplett als Kunststoffgußform ausgeführt, und zwar möglichst kosteneffizient und serviceunfreundlich, indem die vorderen Füße Teil der Gußform sind:

       

Das hat Sony seit 1996 leider bei fast allen Geräten der Plastikklasse so gemacht.

Wie fast alle Autoreverse-Geräte verwendet das TC-WE635 einen drehbaren Kombikopf, bei diesem Modell aus Hartpermalloy:

       

Ein Blick auf das Laufwerk, genannt TCM-230:

       

       

Um mit einem Motor und einem Hubmagneten alle Laufwerksfunktionen (Wiedergabe in zwei Richtungen, Spulen in zwei Richtungen, Kopfschlitten heben und senken, Tonkopf drehen) ansteuern zu können, wird ein Modusrad (grün) verwendet. Der Motor fährt nacheinander die Stellungen des Modusrads an ("diese? diese? oder diese?"), und der Hubmagnet hakt dann in die gewünschte Stellung ein ("nein, nein, ja"). Die normale Wiedergabe ist sinnigerweise als erste Funktion ausgeführt, aber für jede andere Funktion muß sich das Laufwerk deshalb in eine Abfolge aus lautem Klackern und scheinbar erratischen Zuckungen des Kopfschlittens ergehen.

In den Bedienelementen ist zwar eine Pausetaste zu sehen, aber eine richtige Pausefunktion kennt das Laufwerk nicht. "Pause" ist dasselbe wie "Stop", nur daß der Motor läuft. (Daraus folgt: wenn die Kassette gerade nicht läuft, steht auch der Motor still, was gut ist sowohl für die Geräuschkulisse als für die Langlebigkeit der Motoren.)

Die Schwung"massen" sind aus Kunststoff. Das ist Ende der 90er nicht mehr unüblich, aber so leichtgewichtige Schwungmassen habe ich selten gesehen:

   

Da wundert einen die großzügige W&F-Spezifikation auch nicht mehr, 0,13% weighted peak (IEC), 0,1% weighted RMS (NAB), ±0,2% weighted peak (DIN). Die Serviceanleitung verschweigt die Werte dezent Smile aber in der Bedienungsanleitung sind sie zu finden.

Immerhin hat die linke Schwungmasse ein kleines eingeschraubtes Metallplättchen, das tatsächlich etwas wiegt. Dieses Metallplättchen wurde bei TC-WE475 und -675 schließlich auch noch weggespart; hier zu sehen.

Mit diesem Laufwerk war Dolby S jedenfalls nicht mehr drin. Das gab es im nächstgrößeren Modell TC-WE835S, das fast gleich aussah, aber ein anderes Laufwerk verwendete, um das es ein andermal gehen soll.

Wenn man über die an der Frontseite hängenden Vorderfüße hinwegsieht, ist das TC-WE635 einfach zu warten. Mein Exemplar brauchte nur einen Satz neuer Riemen.

So viel für heute. Nächstes Mal wird es etwas besser.

Viele Grüße
Moritz
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#2
Erstklassiger Bericht, vielen lieben Dank :-)

Ich glaube, dass das Deck ohne die Metallplatte vielleicht sogar runder läuft. Die werden den Verbau ja garantiert nicht gewuchtet haben.
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Tapedecks: Sony CFS-45L, Onkyo TA-2070, Nakamichi DRAGON
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#3
Super, freue mich auf die nächsten Berichte
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