Telectronic Typen V und W
#1
Die Firma Telectronic habe ich hier schon gelegentlich erwähnt. Jetzt kann ich endlich auch zwei Modelle dieses Herstellers vorstellen.

Die Firma war in den fünfziger Jahren in Paris im 14. Arrondissement ansässig und zwar – Lateiner und Asterix-Leser aufgepaßt! – in der rue Vercingetorix.

Nach meinem bisherigen Kenntnisstand hat Telectronic in den fünfziger Jahren noch selbst Tonbandgeräte entwickelt und gebaut. In den Sechzigern wurden zunehmend die Produkte anderer Hersteller in Frankreich unter der Marke Telectronic vertrieben, z.B. Modelle aus Italien von Geloso und Nuova Faro oder aus Deutschland ein Modell von Phonotrix.

Die hier vorgestellten Modelle V und W stammen aus den Fünfzigern und sind meines Erachtens noch « echte » Telectronics.

Beim Typ V handelt es sich um einen Koffer mit den recht kompakten Maßen 32 x 19 x 30 cm (B x H x T) und einem Gewicht von ca. 9 kg.

   

Das Gerät besitzt ein Ein-Motoren-Laufwerk für 9,5 und 4,75 cm/s und nimmt Spulen bis 13 cm auf.

Die Elektronik bietet einen dreistufigen Verstärker mit den Röhren EF 94, EF 94, EL 84, letztere im Aufnahmebetrieb als Hf-Generator. Ausgesteuert wird mit einem Magischen Auge EM 34, für Gleichspannung sorgt eine Gleichrichterröhre EZ 80.

Das hier gezeigte Exemplar stammt aus dem Baujahr 1957.

   

   

Seitlich finden sich vier Anschlüsse für Klinkenstecker, links Ausgänge für externen Lautsprecher und Verstärker, rechts Eingänge für Mikro und Radio/Plattenspieler.

   

Die Bedienung ist recht simpel. Vorne links gibt es zwei Drehknöpfe für Tonblende und Lautstärke. Letzterer betätigt auch den Netzschalter. Der Hebel daneben dient zur Wahl der Bandgeschwindigkeit. 1 = 4,75 cm/s, 2 = 9,5 cm/s.

Mit dem Knopf rechts wählt man den Betriebszustand.

   

Wo nichts steht, ist die Stop-Stellung. ENR (enregistrement) = Aufnahme, LEC (lecture) = Wiedergabe, G.V. (grande vitesse) = Umspulen. Die Umspul-Richtung wird durch Drücken einer der beiden Tasten bei der Tonkopfabdeckung gewählt. Das Loch neben dem Knopf ist für eine Aufnahmesperre gedacht, die bei diesem Modell aber nicht verwirklicht wurde. Beim Drehen des Knopfes ist also Vorsicht geboten.

Blick unter die Haube:

   

Ein langer Riemen in Form einer Acht treibt beide Bandteller gegensinnig an. Dieser hier kam mit dem Gerät mit und ist viel zu lose. Ersatz muß ich noch besorgen.

Bremsen gibt es hier nicht. Die Bandteller liegen auf Filzringen auf. Das muß für den Bandzug bei Aufnahme und Wiedergabe genügen (zusammen mit Andruckfilzen vor den Köpfen). Für den schnellen Vor- bzw. Rücklauf wird der jeweils ziehende Bandteller durch Drücken der zugehörigen Taste fest auf den Filzring gedrückt. Das ergibt den nötigen Kraftschluß.

Auf das Chassis hat man an zwei Stellen die Seriennummer aufgestempelt: 4096.

Der Antrieb der Tonwelle erfolgt über Reibräder, eines für jede Geschwindigkeit.

   

In Stop-Stellung werden die Reibräder zurückgezogen, damit keine Dellen entstehen.

Der Riemen ist auf obigem Bild natürlich falsch eingelegt. Er sollte durch die untere Riemenscheibe laufen.

Die beiden Köpfe sind recht minimalistisch ausgeführt.

   

Mit Fragen der Abschirmung hat man sich bei Telectronic offenbar nicht lange aufgehalten. Dennoch ist kein übermäßiger Brumm zu hören.

Blick von der Seite aufs Chassis:

   

Hier ist der Hebel zu sehen, der bei schnellem Vorlauf den rechten Bandteller fest auf die Unterlage ziehen soll. Hier nochmal etwas größer:

   

Der Vollständigkeit halber auch noch die Rückseite des Chassis …

   

… und die Unterseite, nach Entfernen eines Abschirmblechs:

   

Man hat dem kleinen Gerät einen recht großzügig dimensionierten Motor spendiert.

Rechts vom Motor sitzt der Netztrafo. Er ist drehbar und soll so orientiert werden, daß sich ein Brumminimum ergibt (ich bin altmodisch, daher nur zwei « m »). Die fehlende Schraube rechts oben in der Trafohalterung ist inzwischen wieder aufgetaucht und an ihren Platz zurückgekehrt.

Den kleinen Lautsprecher (Durchmesser 10,5 cm) hat man in eine Kammer gesetzt, die einfach vor dem Chassis in den Koffer eingesteckt wird. Die Kabel lassen sich am Lautsprecher abziehen.

   

   

   

Das Logo von Telectronic zeigt einen Vogel im Flug, der eine Note im Schnabel hält.

Daß man es hier mit einem Gerät von Telectronic zu tun hat, wird einem auch beim Hantieren mit dem Netzstecker mitgeteilt.

   

Das Typenschild auf der Rückseite des Koffers nennt erstaunlicherweise eine andere Seriennummer als das Chassis:

   

A propos Koffer: der ist hier aus einem Material gefertigt, wie ich es bei noch keinem Gerät aus jener Zeit gesehen habe. Es ist kein Bakelit und auch kein anderer damals üblicher Kunststoff.

Kofferunterteil und Deckel sind jeweils aus einem Stück geformt.

   

Das Material ist durchscheinend. Ich halte es für glasfaserverstärktes Kunstharz.

   

Soweit das Modell V.

Es ist ein einfaches, aber sehr robustes Gerät. Die diversen Schubhebel der Mechanik sind alle aus solidem Metall gefertigt. Als Frequenzumfang gibt der Hersteller bei 9,5 cm/s 60 bis 7000 Hz an.

Das erscheint uns heute dürftig, aber zu jener Zeit entdeckten die Franzosen gerade den UKW-Rundfunk, der noch längst nicht in allen Gegenden empfangbar war. Was der große Konkurrent Philips zu jener Zeit in dieser Klasse anbot, nämlich die Modelle EL3510 oder EL3518, war auch nicht besser. Auch deren Frequenzumfang reicht laut Philips bei 9,5 cm/s nur bis etwa 7000 Hz.

Das Modell V gab es Ende der fünfziger Jahre für knapp 60.000 (alte) Franc zu kaufen, wobei im Kaufpreis noch ein Kristallmikrophon enthalten war. Unter Berücksichtigung der Kaufkraftentwicklung wären das heute ziemlich genau 1000 Euro. Zum Vergleich: das Philips EL3518, das etwas luxuriösere der beiden Konkurrenzprodukte, kostete zu jener Zeit etwa 74.000 Franc.
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#2
Für anspruchsvollere Kunden gab es aus dem Hause Telectronic das Modell W, einen deutlich größeren Koffer mit den Abmessungen 40 x 22 x 40 cm (B x H x T) und einem Gewicht von 13 kg.

   

Das hier gezeigte Exemplar stammt aus dem Jahr 1958.

   

Mechanik und Elektronik des Typ W sind weitgehend identisch mit denen des Modells V. Auch das W hat ein Ein-Motoren-Laufwerk, allerdings für Spulen bis 18 cm und mit den Bandgeschwindigkeiten 19 und 9,5 cm/s. Der Frequenzumfang bei 9,5 cm/s entspricht dem des V, bei 19 cm/s werden laut Hersteller 60 bis 10000 Hz erreicht.

Der Röhrensatz ist gleich dem des Typs V mit Ausnahme der EZ 80, die durch einen Selen-Gleichrichter ersetzt wurde.

Links von den Köpfen findet sich auch hier die Geschwindigkeitsumschaltung neben dem Lauststärkeregler/Netzschalter. Statt einer Tonblende gibt es beim Typ W separate Regler für Höhen - hier im Bild -

   

und für Bässe auf der anderen Seite.

   

Den vom Typ V bekannten Drehknopf gibt es auch hier, mit dem kleinen Unterschied, daß hier die Aufnahmesperre vorhanden ist.

   

Dazwischen sitzt ein Schalter mit den Stellungen N = normale Aufnahme mit Löschfunktion und S = surimpression = Aufnahme mit abgechaltetem Löschkopf.

   

Links und rechts an der Oberseite liegen die vier vom Typ V bekannten Anschlüsse für Klinkenstecker.

   

   

Einen kleinen Unterschied zum Typ V gibt es hier doch: der Ausgang EC. ENR. erlaubt das Mithören des Vorband-Signals während der Aufnahme über einen Kopfhörer.

Oberhalb der Magischen Auges entdeckt man noch zwei Hülsen, …

   

… in die man ein als Zubehör erhältliches Bandzählwerk einstecken kann, welches dann mittels einer flexiblen Welle mit dem linken Bandteller verbunden wird.

Die Bedienungsanleitung, das « carnet de marche », …

   

… zeigt, wie man sich das vorzustellen hat:

   

Nach diesem äußeren Rundgang auch hier ein Blick unter die Haube:

   

Auffallend ist hier die zusätzliche Umlenkrolle des Riemens, die für einen größeren Umschlingungswinkel am Motor sorgt. Davon abgesehen findet man hier die Mechanik aus dem Typ V mit den beiden Reibrädern für die beiden Geschwindigkeiten.

Auch hier ist die Seriennummer auf das Chassis aufgestempelt. Bei diesem Exemplar stimmt sie allerdings mit der auf dem Typenschild überein.

   

Die Tonköpfe sind hier ähnlich minimalistisch ausgeführt wie beim Modell V:

   

Weitere Bilder des Chassis spare ich mir. Wer den Typ V von innen gesehen hat, kennt auch den Typ W. Den identischen Röhrensatz habe ich schon erwähnt. Auch der Motor ist der gleiche wie im V und auch im W ist der Netztrafo drehbar.

Bliebe noch ein Blick auf den Koffer. Der ist hier ganz konventionell aus Holz mit Kunststoffüberzug gefertigt. Statt eines kleinen Laustprechers gibt es hier zwei, einen 17-cm-Tieftöner sowie einen Hochtöner, beide von Audax.

   

Damit wird ein angenehmer, sonorer Klang erzeugt.

Der oben erwähnte und leider undatierte Prospekt aus den späten Fünfzigern, der das V zu etwa 60.000 Fr anbot, verzeichnet auch das Modell W. Kaufpreis 95.000 Fr, also heute etwa 1600 bis 1700 Euro. Dafür bekamen die Käufer des Typs W ein ebenso robustes Gerät wie die Besitzer des V, mit etwas besserer Austattung und vor allem deutlich besserem Klang, der zur damaligen Zeit vermutlich kaum Wünsche offenließ.

Eine Preisliste aus dem Jahr 1960 führt ebenfalls das Modell W auf, jetzt zum Preis von 1215 neuen Franc, heute etwa 2000 Euro. Damit ist das Telectronic W in der Kategorie der Röhrenkoffer mit 19 cm/s und für 18er Spulen einesder günstigsten Angebote in Frankreich. Etwas Vergleichbares von Philips kostete 1390 NF. Die übrige französische Konkurrenz war deutlich teurer, die ausländische sowieso, mit Ausnahme des belgischen ACEC Lugavox 1160 für 998 NF. Da ist es erstaunlich, daß dieser Typ W offensichtlich nicht viele Käufer gefunden hat. Dieses Modell ist in Frankreich eher noch seltener anzutreffen als der kleinere Typ V, während die vergleichbaren Koffer des Konkurrenten Radio-Star aus Nizza und erst recht die Philips-Koffer deutlich häufiger auf Internet-Plattformen angeboten werden.

Ich habe beide Modelle als robust bezeichnet. Was gab es denn heute, nach über 60 Jahren, daran zu tun? Die Mechanik bedurfte einer Säuberung. Alles, was irgendwie gleitet, verlangte nach frischem Schmierstoff. Der Motor ist recht kräftig. Beide liefen noch problemlos, wurden aber zerlegt, gesäubert und ebenfalls frisch geschmiert. Die Antriebsriemen waren gedehnt, taugten gerade so noch fürs Aufwickeln bei Wiedergabe, aber nicht mehr fürs Umspulen. Sie müssen noch ersetzt werden. Wenn frühere Besitzer ihr Gerät nach Gebrauch immer brav in Stellung Stop aufbewahrt haben, dann sollten Andruckrolle und Reibräder noch ohne Dellen und somit noch brauchbar sein. Der Gummi überdauert die Jahrzehnte offenbar problemlos.

In der Elektronik sind Teerkondensatoren zu ersetzen, ein bekanntes Problem. Beim Typ W war die Isolierung einiger Drähte versprödet und zerbröselt. Da mußte einiges neu verdrahtet werden. Die Elkos, die die Anodenspannung glätten, sind hier, wie bei vielen französischen Geräten aus jener Zeit, von einer Bauform, die sehr schlecht altert. Mit großer Wahrscheinlichkeit sind sie heutzutage nicht mehr zu retten, auch nicht durch noch so geduldiges langsames Hochfahren der Spannung über viele Tage hinweg. Das Problem dabei: es handelt sich um Alubecher mit einem Schraubgewinde von 14 mm Durchmesser. Was man heutzutage an Neuware findet oder aus alten deutschen Geräten ausschlachtet, hat ein 18-mm-Gewinde und paßt deshalb nicht in die Chassisbohrungen. Als Lösung kann man entweder das Chassis aufbohren oder einen modernen Axialelko irgendwo einlöten. Oder man wartet, bis sich ein französisches Schlachtgerät mit noch brauchbaren Teilen findet …


Gruß
TSF
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#3
Vielen Dank für diesen hervorragenden Bericht, Manfred.
Diese Gerâte haben ihren ganz eigenen Charme.
Besonders der grosse  "Carnet" gefâllt mir ausnehmend gut.  Heart
Kann mir gut vorstellen, dass die beiden AUDAX-Chassis einen feinen Klang liefern.

Herzliche Grüße von Frank
Hau wech, den Schiet - aber sech mir, wohin


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#4
Hallo "TSF"!

Vielen Dank für Deinen nächsten, sehr ausführlichen
und interessanten, Bericht über zwei seltene Tonband-
geräte der 50er Jahre.

Gruß
Wolfgang
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#5
Danke für den schönen Bericht.
Ist erstaunlich was vor 60 Jahren technisch alles möglich war.
Den Frequenzumfang finde ich gar nicht schlimm, für Partybeschallung reicht der allemal und alle Gäste werden sich für diese Geräte begeistern.
Und was mich absolut begeistert: Man kann das Gerät heute relativ problemlos reparieren.
Versuche das mal mit einem Gerät von heute in 60 Jahren...
Weiter so.

Gruß, Jan
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#6
Ich danke ebenfalls für die Vorstellung dieser seltenen Geräte.
Was mir bei den ganzen Geräten aus Frankreich und Italien, die Du schon so vorgestellt hattest, auffiel, ist, daß sie meistens sehr klein ausfallen.
Vermutlich ist das der Wohnsituation in FR und I in den 50er-60er geschuldet.
In D begannen ja Anfang der 60er die Geräte immer größer und "protziger" zu werden.
Viele Grüße,

Matthias
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#7
Auch ich bedanke mich für diese aufwändige Vorstellung. Ein Blick ùber die eigenen Landesgrenzen erweitert auch den technischen Horizont und ist deshalb besonders wertvoll.

Beste Grüße
Arno
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#8
Hallo zusammen,

vielen Dank für die freundlichen Rückmeldungen.

(04.12.2021, 22:52)MatthiasB. schrieb: Was mir bei den ganzen Geräten aus Frankreich und Italien, die Du schon so vorgestellt hattest, auffiel, ist, daß sie meistens sehr klein ausfallen.
Vermutlich ist das der Wohnsituation in FR und I in den 50er-60er geschuldet.
In D begannen ja Anfang der 60er die Geräte immer größer und "protziger" zu werden.

Eine interessante Anmerkung.
Ja, stimmt, etliche dieser Röhrenkoffer aus Frankreich sind nur für 13er Spulen gedacht, manche gar nur für 10er. Und die Gelosos aus Italien sogar nur für 8er.

Ob es mit den Wohnraumverhältnissen zusammenhängt? Ich würde eher vermuten, es ist bedingt durch die recht hohen Preise der Geräte und die finanziellen Möglichkeiten der Käufer. Wobei letztere sicher auch den zur Verfügung stehenden Wohnraum bedingen.

Die Tendenz zu immer größeren Geräten in den Sechzigern sieht man bei französischen Marken auch deshalb nicht, weil die meisten der kleineren Hersteller in dieser Zeit wieder vom Markt verschwunden sind. Übrig blieben nur Philips (die ihre Produktion in Frankreich irgendwann ebenfalls einstellten) und die Firmen/Marken des etwas unübersichtlichen Thomson-Konglomerats.

Der Beginn des Stereo-HiFi-Zeitalters hat viele traditionsreiche Hersteller in Frankreich (auch im Radiosektor) erst in finanzielle Schwierigkeiten und dann zum Verschwinden gebracht. Wer in den Sechzigern als Kunde auf diesen Zug aufspringen wollte, der kaufte auch in Frankreich zunehmend japanisch, in geringerem Umfang auch deutsch.

Gruß
TSF
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