Agfa Typ F
#1
Hallo zusammen,

ich bin durch Ebay an ein Agfa Typ F-Band gestoßen. Laut der Liste unter http://www.aes.org/aeshc/docs/basftape/basftapes.html ist das eine Bandsorte die von 1948 bis 1953 hergestellt wurde und sicher inzwischen wirklich selten.

Also denn, habe mal reingehört, was drauf ist: Karnevals- und Stimmungsmusik, wohl das letzte mit dem ich gerechnet hätte Big Grin

Jetzt das was mich wundert: Bespielt wurde es mit nur 19 cm/s, ich hätte bei solch altem Studioband jetzt erwartet, dass es wie die deutlich neueren PER-525 oder LGR-30 mindestens 38 cm/s braucht um gut zu funktionieren. Die jetzige Aufnahme darauf hat kaum Pegel, ist etwas dumpf und es klingt zwischendurch dropoutig. Kann das davon kommen, dass man damals die 19 cm/s außerhalb der Spezifikationen aufgenommen hat?

Am Ende des Bands waren ca 100 Meter noch leer, da konnte ich es mir nicht nehmen, einfach mal eine Minute lang Modern Talking (das Band muss ja was gescheites kennen lernen haha) aufzunehmen. Und siehe da, Höhen bis 16 kHz da, keine Dropouts und auch kaum Pegelverlust! Also deutlich besser von der Qualität als der alte Inhalt. Kann der Unterschied zwischen 19 und 38 cm/s bei solch alten Bändern SO extrem sein?

Gibt es sonst noch irgend etwas zu dem Band zu beachten? Wie schädlich ist das auf Dauer für die Köpfe? Kann ich da dahingehend wie PER-525 (also unkalandriert, nicht schön für den Kopf aber tötet ihn so schnell nicht) einstufen?

Vielen Dank im Voraus, ich höre jetzt erstmal die Stimmungslieder darauf, die sind herrlich!
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#2
Agfa F (ein AC-Band) war ursprünglich für 76 cm/s konzipiert.

Ich habe selber noch zwei gut erhaltene Exemplare davon. Hier eine Testaufzeichnung:



Vor etwa einem Jahr hatte ich ein gut erhaltenes Bezugsband 76 von 1957 zum Prüfen auf meiner Messbandmaschine:

   

Frequenzgang und Pegel bei 76 cm/s zeigten sich nach so langer Zeit verblüffend korrekt und stabil:

   

Eine Untersuchung zu den Fortschritten der Magnetbandtechnik bei der Agfa fördert dieses zutage:

   

   

Typ F ist deutlich rauer als PER 525 / PER 555, zur Abrasivität kann ich allerdings wenig beitragen, so lange habe ich es nicht laufen lassen  Angel

Grüße
Peter
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#3
Hallo Peter,

danke für die Infos! Dass es das 1957 noch gab wundert mich, ich dachte die Produktion sei 1953 schon wieder zuende gewesen. Also ist mein Band vemrutlich neuer als gedacht?

In Sachen Frequenzgang kann ich mich nicht beschweren, die Höhen sind noch schön da. In 76 cm/s konnte ich sie nicht bespielen, wohl aber mit den maximalen 38 cm/s meiner Teac A3300-2T. In Sachen Pegel sehe ich aber schon eine heftige Alterung: Wenn ich am Eingang über die +3 dB-Marke meiner Skala hinaus gehe, habe ich Hinterband -5 dB. Über die -5 dB hinaus komme ich bei diesem Band auch nicht mehr. Ich denke das ist eine typische Alterungserscheinung.

Hier ein kleiner Ausschnitt (ja ich weiß, die Musik dieser Interpreten ist nicht jedermanns Sache Big Grin) von 30 Sekunden. Ist natürlich null repräsentativ, aber so als erster Höreindruck nicht verkehrt. Ich habe ihn einmal als 320 kbps mp3 exportiert, das sollte zur groben Beurteilen reichen: https://merlwin.ch/agfa-f_dieter_38cms.mp3

Wenn Interesse besteht, kann ich gerne einmal einen Sweep darauf aufnehmen und als wav zur Verfügung stellen.
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#4
(11.08.2021, 17:22)eudatux23 schrieb: ich dachte die Produktion sei 1953 schon wieder zuende gewesen. Also ist mein Band vermutlich neuer als gedacht?

Schau mal auf die Chargennummer, die auf meinem Bezugsband ist 5011, das gibt vielleicht eine ungefähre Orientierung. Der Leerteil hatte #2851A und war noch 1960 im sog. „ARD-Pflichtenheft“ für 76 cm/s gültig. Ich habe aber keine Daten, die mich an dem Produktionsende 1953 zweifeln lassen, zumal die Bandgeschwindigkeit 38 beim Rundfunk ab 1954 dominierte.

(11.08.2021, 17:22)eudatux23 schrieb: Ich denke das ist eine typische Alterungserscheinung.

Das denke ich nicht, die gezeigten Datenblätter lassen eher auf eine Kombination zwischen geringer Empfindlichkeit und ähnlich verminderter Aussteuerbarkeit schließen. Das Arbeitspunktdiagramm zeigt, dass Typ F bei Klirr 3% nur bis 4,5 dB unter 320 nWb/m aussteuerbar ist, die Tabelle zeigt wiederum, dass Typ F gegenüber PER 528 um 13 dB unempfindlicher ist, bei 10 kHz und 38 cm/s sogar um 20 dB (jeweils in ihrem eigenen Arbeitspunkt gemessen).

Grüße
Peter
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#5
Muß man nicht bereits aus dem Vergleich der Daten von Coercivity und Retentivity mit denen von zB PER525 und späteren Bändern schließen, daß die erreichbaren Pegel mindestens 10 dB unter moderneren Bändern liegen ?

MfG Kai
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#6
(11.08.2021, 19:51)kaimex schrieb: Muß man nicht bereits aus dem Vergleich der Daten von Coercivity und Retentivity mit denen von zB PER525 und späteren Bändern schließen, daß die erreichbaren Pegel mindestens 10 dB unter moderneren Bändern liegen?

Sicherlich. Für große Wellenlängen kann die Sättigungsremanenz (retentivity) als direkter Vergleichsmaßstab dienen, solange die Schichtdicken gleich sind. Für PER 528 und F betragen sie jeweils 16 µm, wie aus dieser Tabelle hervorgeht:

   
Grüße
Peter


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#7
Servus,

ich wäre ja schon froh einen zweiten Bandkarton zu besitzen. Da kramen andere gleich ein ganzes Band hinzu. Weltstark.

Danke Peter auch für's zeigen auf der heiligen Maschine und die Ausführungen zum Band.

Liebe Grüße Andre
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#8
Ja, ich fand das auch sehr reizvoll, diese alte Sorte mal in den Händen zu halten. Vor allem, wie gut sie sich gehalten hat. Danke für den Hinweis bzgl Pegel an Peter, ich hätte nie gedacht, dass da solch extreme Unterschiede herrschten
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#9
(12.08.2021, 16:00)eudatux23 schrieb: ich hätte nie gedacht, dass da solch extreme Unterschiede herrschten

Nun ja, 50 Jahre konsequenter Magnetbandforschung mussten sich ja irgendwann auszahlen Angel


Hier ein paar Schichtoberflächen im Vergleich. Die Vergrößerung des Volumenfüllfaktors (welche neben dem magnetischen Pigment die Aussteuerbarkeit mitbestimmt) ist offensichtlich:

           


Hier zwei Hystereseschleifen bzw. SFD-Diagramme eines IG Typ LG (1944) und Agfa PER 528 (1984):

       

Je größer die von der Hystereseschleife umschriebene Fläche ist, desto größer ist die Aussteuerbarkeit. (Für Geschwindigkeiten ab 38 cm/s bringt eine höhere Koerzitivfeldstärke nicht mehr viel, hier kommt es mehr auf die Sättigungsremanenz an.)

Das SFD Diagramm sollte auf halber Höhe (horizontaler Strich) möglichst schmal sein, es ist ein Maß für die Gleichmäßigkeit der Partikelgröße und damit für die magnetische Stabilität und die Kopierdämpfung.

Lange Rede kurzer Sinn: Magnetbandtechnik war eine sehr ernstzunehmende Wissenschaft  Idea

Grüße
Peter
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#10
Hallo Peter,
wo holst du nur immer diese präzisen Informationen her?
Ich bin wieder einmal schwer beeindruckt. 

Gruß Jan
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#11
Ich bin auch jedes Mal überrascht von all den Details! Die oberen Bilder sind aber echt aufschlussreich, man sieht richtig wie viel feiner die Struktur wurde über die Zeit, sehr interessant
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#12
Hallo Peter!

Da stellt sich dem interessierten Beobachter die Frage, um welches Band es sich bei der mysteriösen Nr. 15 mit dem sehr feinen Pigment handeln könnte. Es ist nur mit "New development, 1985" beschrieben.

Die letzten Bänder, die Agfa herausbrachte, waren ja die Heim- und Studiobänder mit dem "9er"-Pigment, also PE 39, 49, 69 und PEM 269, 369, 469, etwa Mitte der 80er Jahre. Könnte es sich bei der Mikroskopaufnahme um einen dieser Typen handeln? Oder sehen wir hier gar schon den Grundstock zum erst Jahre später erschienenen SM 900?

Viele Grüße,
Martin
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#13
(12.08.2021, 19:31)Kirunavaara schrieb: Da stellt sich dem interessierten Beobachter die Frage, um welches Band es sich bei der mysteriösen Nr. 15 mit dem sehr feinen Pigment handeln könnte. Es ist nur mit "New development, 1985" beschrieben.

Aus der Bildunterschrift "ferric" und der Beschreibung im Artikel entnehme ich, dass es sich hier wohl um Reineisenband handelte (möglicherweise bedampft?), was eine besonders effektive Methode darstellte, die Packungsdichte über die für Pigmente übliche Grenze von 40% (mit Kalandrierung) zu steigern, bei der Bedampfungstechnologie auf nahezu 100%.

Grüße
Peter
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#14
Ok, danke! Aber auch wenn es physikalisch korrekt ist, ein Reineisenband als "ferric" zu bezeichnen, so war doch im Englischen eher der Begriff "metal alloy" für Reineisenbänder gebräuchlich? Mit "ferric" wurden eher gewöhnliche Eisenoxid-Bänder beschrieben, auch wenn das eigentlich etwas salopp ausgedrückt ist.

Wäre denn die Verwendung von Reineisenband oder auch Eisenoxidband mit Metallbedampfung der Oberfläche überhaupt sinnvoll bei "großen" Tonbändern? Die Bedampfungstechnik hat ja schon bei den Compact-Cassetten keinen wirklichen Mehrwert gebracht, Matsushita versuchte sich mal daran.

Viele Grüße,
Martin
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#15
Die bedampften Metal-Bänder in der Videotechnik hiessen ME-Tape (Metal Evaporated) und die Metal-Bänder mit Partikeln und Binder MP-Tape (Metal Powder). Beim ME-Tape für Video ist ist die Schicht aber so dünn, dass bei diesen Videoformaten keine normalen (longitudinalen) Audio- oder Kontroll-Spuren vorhanden sind. Für die hochfrequenten Videosignale in Schrägspuraufzeichnung wird eine wesentlich geringere Schichtdicke benötigt als für normale Audiospuren. Die notwendige Schichtdicke eines VHS- oder Betamax-Bands wird durch die longitudinale Audiospur bestimmt. Vielleicht war das Problem bei der Herstellung der bedampften Audiocassetten das Erzeugen der notwendigen Schichtdicke. Die No. 15 bei den Bildern halte ich eher für ein Videoband, bei den geringen Spurbreiten der Heim-Videosysteme waren sehr kleine nadelförmige und ausgerichtete Partikel mit hoher Packungsdichte ein Muss. Die sogenannten HighGrade Videocassetten hatten noch kleinere Partitikel als die Standard-Videocassetten, damit verbesserte sich der Video Signal/Rauschabstand erheblich.

MfG, Tobias
Strom kann erst dann fliessen, wenn Spannung anliegt.
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#16
Ja, von Hi8-Cassetten kenne ich auch die ME-Bänder, die nur bedampft wurden. Bei manchen Daten-Streamern, die mit Helical scan arbeiten, gab es das wohl auch.

Bei den Compactcassetten war die ME-Schicht zusätzlich zur normalen Magnetschicht aufgetragen, hier eine vereinfachte Darstellung:
http://agfabasf.com/images/content/techn..._90_24.jpg

Die gab es nach diesem Prinzip als Typ I, II und IV. Und sogar als Microcassette!

Aber ich glaube, wir schweifen ab - vom Typ F zum ME-Band... :-)

Viele Grüße,
Martin
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#17
(12.08.2021, 22:10)Kirunavaara schrieb: Aber auch wenn es physikalisch korrekt ist, ein Reineisenband als "ferric" zu bezeichnen, so war doch im Englischen eher der Begriff "metal alloy" für Reineisenbänder gebräuchlich? Mit "ferric" wurden eher gewöhnliche Eisenoxid-Bänder beschrieben, auch wenn das eigentlich etwas salopp ausgedrückt ist.

Ich kann dazu leider nicht viel beitragen, außer dass im Unterschied zu allen anderen Typen ab 1944 die Nr. 15 nicht als Fe2O3 beschrieben wird. Im Text steht dazu lediglich:

No. 15 reveals that further improvements regarding space factor and particle shape are possible. This picture was shot from a tape under development and shows that there is room also for further improvements of the electroacoustical quality of magnetic tapes by improved magnetic powders and improved coating techniques.

Als Erklärung für den relativ kargen Informationsgehalt könnte vielleicht dienen, dass das Pigment noch in der Entwicklungsphase war, und bekanntlich ließen sich die beiden großen deutschen Magnetbandhersteller nicht allzu tief in die Karten schauen.


Inzwischen habe ich bessere Darstellungen der Schichtoberflächen aufgetrieben:

   

   

   

   

   
Grüße
Peter


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#18
Sehr schön, danke! Interessant finde ich auch die beiden Massebänder, bei denen die Magnetpartikel nicht beschichtet, sondern in die Folie mit eingegossen wurden.

Viele Grüße,
Martin
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#19
Hallo in die Runde,
hallo Peter,

was Du hier an Daten aus der Tiefe der wissenschaftlichen Archivierung hervorzauberst, ist mal wieder unglaublich. Wäre die Technik noch "en Vogue", wären die Kopfjäger hinter Dir her.
Ich komme kaum mit dem sinnvollen Arcihvieren hinterher. Aber Spaß macht es trotzdem, auch wenn man Deine Meisterschaft nicht erreichen kann.

Das hier von Euch insgesamt bereitgestellte noch verfügbare Wissen ist doch hochinteressant und rundet die Darstellung der Entwicklung der Magnetbandtechnik perfekt ab.

Zur Frage des TE Alexander, ob das Band denn noch lange nach 1954 verkauft oder gar hergestellt worden ist, könnten wohl als Zeitzeugen nur noch wenige Antwort geben, wenn sie denn noch leben sollten. Selbst Lehrlinge von 1953 sind nun vermutlich ca.90 Jahre alt. Ich war 1960 Lehrling und habe die Geräte-Technik von damals noch in Erinnerung.
Der Rundfunk benutzte ab 1947/48 die T8 und ab der T8 f und der T9 mit 76er Geschwindigkeit konnten die Laufwerke mit dem F-Band die Anforderungen für den UKW-Rundfunk bis 15 kHz mit einer Dynamik von 60 dB Geräuschspannungsabstand erfüllen. Diese Forderungen für Rundfunkübertragungen waren damals weltweit einmalig. Geschuldet war die Einführung des qualitativ hochwertigen UKW-Rundfunks dem Verlust der meisten Rundfunkfrequenzen in Folge des Krieges. Die waren aber auf Frequenzbändern, die keine hochwertige Übertragung zugelassen hätten.
Die dünnere Schicht des F-Bandes gegenüber dem schon bekannten C-Band aus den 40er Jahren ermöglichte die Anhebung des Frequenzbereiches von 10 kHz auf 15 kHz. Das C-Band konnte in der ursprüngliche Qualität nach dem Krieg nicht wieder hergestellt werden.

Ab 1954 gab es das FR-Band mit erheblich besseren Eigenschaften und der Eignung für die niedrige Geschwindigkeit 38 cm/s. Dann kam auch sehr schnell die T9u heraus, die 76 und 38 konnte. Das war dann die Zeit der großen Umstellungen. Bandrückseiten rot, Kartons mit roten Umleimern, 100 mm Kerne mit rotem Beschriftungsfeld, Vorspannband in rot, Geschwindigkeitstaste 38 mit roter Beleuchtung. Die Schallplattenindustrie wird sofort umgestellt haben, der Rundfunk sukzessive wegen der großen Archivbestände vor allen Dingen auch mit 77 cm/s. Neuaufnahmen werden nahezu ausschließlich mit 38 gemacht worden sein. Private Studios benutzten in die 60er Jahre hinein auch noch auf 38 cm/s umgerüstete T8 f Laufwerke als Ergänzung für T9u Geräte.
Die längere Verfügbarkeit des F-Bandes in den Leerteilen der DIN-Bezugsbänder 76 bedeutet ganz und gar nicht, daß das Band zu dem Zeitpunkt noch lieferbar war, geschweige denn noch hergestellt wurde. Der F-Band-Leerteil ist den Agfa-Leuten damals wohl sehr gut gelungen und wurde deshalb vom Normenausschuß für diese Geschwindigkeit festgelegt als Vergleichsnormal.
Ich habe ein DIN-Bezugsband 76 vom Juni 1962, hergestellt von Agfa auf PER 525 Chargen-Nr. 77. Auch hier ist F-Band der Nr. 2851A als Leerteil eingeklebt. Selbst 1962 wird kaum jemand mit dem Band noch seinen Aufnahmeverstärker eingestellt haben, es sei denn, es wurde eine Aufnahme im alten Stil (in nicht optimaler Qualität) gewünscht. Für das Abspielen alter Bänder brauchte man den Frequenzganteil für den Wiedergabeverstärker sehr wohl. Friedrich Engel vermutet in dieser Zeit größere Achivumspielungen der Funkhäuser. (s. Engel, F., et al., Zeitschichten ..., 4. Ausgabe S. 649)

Die Wiederentdeckung der hohen Geschwindigkeit für Aufnahmen höchster Qualität ohne Rauschunterdrückungssysteme war erst sehr viel später.  Und dabei hatte das alte F-Band dann aber endgültig ausgedient, denn wie gesagt, ab 1954 war es nicht mehr zeitgemäß.

In der Normung wirkten sich alle Veränderungen immer erst mit einer deftigen Verzögerung aus.

Ich füge für den historischen Kontex noch zwei Bilder an:

                                                                                      



Das DIN-Bezugsband 76 Ausgabe Juni 1962 auf PER 525 Nr. 0077 mit Leerteil Agfa F.Band Br 2851A auf einem Laufwerk AEG  T 8 f mit 76/38 im Ausrüstungsstand von ca 1955.
Just solche Geräte wurden häufig eingesetzt, um Archivaufnahmen umzukopieren von 76 auf 38.

Das Bezugsband, der Wickelkern und der Karton sind nummeriert, Der Wickelkern ist historisch nicht ganz korrekt. Er dürfte kein rotes Schriftfeld haben. Mein Aufwickelkern ist korrekt. Er hat kein rotes Schriftfeld. Agfa hatte 1962 natürlich keine alten Kerne mehr und hat einen der laufenden Fertigung genommen. Der weiße Vorspann ist für 76 der genormte.

Die ganz alten Kerne ohne rotes Schriftfeld gibt es jetzt noch zum Schweine mästen. Das sind die bei den Umkopieraktionen der riesigen Archivbestände übrig gebliebenen. Die hat man aus den Bandwiickeln herausgedrückt und dann die Originale in den Müll gekippt, egal, wie wertvoll die historischen Aufnahmen eigentlich waren. Die Kerne waren wertvoller !!!  Huh
 ....
Viele Grüße
Manfred
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#20
Hallo Manfred,

Danke für deine ergänzenden Anmerkungen, die ich allesamt unterschreibe.

Besonders gefällt mir übrigens das Händel-Porträt in Bachs Hand anstelle des Rätselkanons  Cool

Das Haußmann-Original ...

[Bild: licensed-image?q=tbn:ANd9GcSS_BQDSsF0Db8...uHsOAyFqpG]

... und der "Canon triplex a 6 voci", der ganze Generationen von Bachforschern beschäftigt hat:

[Bild: canontriplexa6.jpg]

offtopic Ende Angel
Grüße
Peter


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#21
Hallo Peter,
ich hatte mir gedacht, daß Du die Finesse der Plakatmacher entdecken würdest.
Sehr schön, daß Du auch da gleich wieder eins drauf setzen kannst. Ich genieße das.

Auch die Unterschrift des Bildes mit Consorten ist richtig goil, wie meine Tochter als dreijährige sagte. Dann hat sie den Schnuller sogar vorher rausgenommen. In Hamburg Barmbek-Basch waren Consorten nicht ganz ohne. Zu der Zeit schrieb man Barmbeck auch noch mit "ck" wegen der langen Dehnung des "e". Im Hochdeutschen müßten da eigentlich mindestens drei "e" stehen.

OT dann auch bei mir zu Ende Big Grin

Viele Grüße

Manfred
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#22
(12.08.2021, 22:10)Kirunavaara schrieb: Aber auch wenn es physikalisch korrekt ist, ein Reineisenband als "ferric" zu bezeichnen, ...

In der Chemie wird der Ausdruck "ferric" für Eisen in der Oxidationsstufe +III verwendet (wie z. B. in Fe2O3), während Eisen in der Oxidationsstufe +II (wie z. B. in FeO) als "ferrous" bezeichnet wird.

Die Bezeichnung von metallischem Eisen als "ferric" ist nicht üblich.

Gruß
TSF
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#23
Ach Peter, Manfred, et. al.: Wenn doch all Euer solch Wissen und Erfahrungen mal in einem Werk zusammengeführt werden würde...
VG Jürgen
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#24
(13.08.2021, 21:10)JUM schrieb: Ach Peter, Manfred, et. al.: Wenn doch all Euer solch Wissen und Erfahrungen mal in einem Werk zusammengeführt werden würde...

Nun ja, vieles davon findet sich ja in der ausführlichen Grundlagenliteratur seit den frühen 1950er Jahren wieder. Und von meiner persönlichen Erfahrung abgesehen ist ein gut sortiertes Archiv nach so vielen Jahren schlicht unersetzlich ...

In den letzten Monaten habe ich immerhin einen kleinen Anfang gemacht mit einem Einführungsartikel zu einem meiner Lieblingsthemen, der Herstellung von Bezugsbändern. Möglicherweise wird er in der Weihnachtsausgabe der Vereinszeitschrift der AAA ("analog Magazin") erscheinen. War ein interessanter, allerdings auch zeitintensiver Prozess, meine Erfahrungen aus Jahren und Jahrzehnten in möglichst leichtverständlicher Form zusammenzufassen, wenngleich die Darstellung lückenhaft bleiben muss, sobald es "ans Eingemachte" geht, weil dieses letztlich nur in Verbindung mit der tatsächlichen Praxis vermittelt und verstanden werden kann.

Natürlich gab es auch zu diesem Thema in der Vergangenheit außerordentlich fundierte und mehr oder weniger detaillierte Abhandlungen, doch würde deren Stil von heutigen Lesern womöglich als etwas unanschaulich und überholt empfunden werden. Schaunwermal wie demgegenüber mein eigener bescheidener Versuch aufgenommen wird Angel
Grüße
Peter


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