Siera SA6000A (Philips EL 3530)
#1
Mit dieser Gerätebeschreibung begeben wir uns weit zurück in die Anfangsjahre der Heim-Tonbandgeräte im Allgemeinen und zu den Anfängen bei der Firma Philips im Besonderen.
 
Wie schon bei anderer Gelegenheit erwähnt liegt die Keimzelle der Philips’schen Magnetbandtechnik in Wien. Hier nochmal der Hinweis auf die Magisterarbeit von Walter Riegler, eingereicht 2011 an der Uni Wien, die sich eingehend mit der Geschichte der Firma Philips in Österreich befaßt. Dort werden auch die Anfänge der Bandmaschinenproduktion geschildert.
2011-05-22_7050207.pdf (univie.ac.at)

Wieso gerade Wien? Nach dem Anschluß Österreichs gehörte der Reichssender Wien zu jenen Stationen, die während des Krieges mit Magnetophonen der AEG ausgestattet wurden. Nach Kriegsende bestand der Wunsch nach weiteren Maschinen. Die AEG hatte jedoch Mühe, den Bedarf der Alliierten und der deutschen Sender zu decken, wie in den „Zeitschichten“ ausführlich beschrieben ist. Da lag es nahe, in einer der Wiener Produktionsstätten von Philips, also quasi um die Ecke, nachzufragen. Anschauungsmaterial in Gestalt eines AEG-Magnetophons stand wohl zur Verfügung. Um patentrechtliche Fragen mußte man sich nicht kümmern, da die Alliierten die Schutzwirkung deutscher Patente im Ausland aufgehoben hatten. Walter Riegler schreibt in seiner Arbeit, daß Philips bereits 1949 die ersten professionellen Bandmaschinen ausliefern konnte.

1950 folgte ein erstes Modell für den Amateurbereich. Als EL 3570 besaß es drei Köpfe und getrennte Aufnahme- und Wiedergabeverstärker, als EL 3540 nur zwei Köpfe und nur einen für A/W umschaltbaren Verstärkerzug. Mit einer Bandgeschwindigkeit von 19 cm/s bei Vollspurtechnik richtete es sich an eine betuchte Klientel mit gehobenen Ansprüchen, was sich auch in einer eher überschaubaren Produktionszahl von 3400 Exemplaren niederschlug. Das EL 3540 war im Forum schon zu sehen:
Bilder Eurer Tonbandgeräte / Bandmaschinen (tonbandforum.de)
 
1952 folgte mit dem EL 3530 ein Modell, das für einen breiteren Kundenkreis erschwinglich sein sollte. Um dieses EL 3530 geht es hier, genauer gesagt um das Chassis dieses Modells. Das EL 3530 wurde in verschiedenen Gehäusevarianten angeboten und war unter mehreren Marken erhältlich, neben Philips auch als Hornyphon Virtuoso WM 9542 und als Siera SA6000A. Als solches Siera ist es hier nachfolgend zu sehen.

Kleiner Exkurs Nr. 1:
Die Siera S.A., die Société Indépendante pour l’Exportation d’Articles de Radio, wurde laut radiomuseum.org 1932 in Brüssel gegründet und wurde 1937 eine hundertprozentige Philips-Tochter.

Das SA6000A ist ein Koffer aus einer Art Preßpappe mit grünem Kunststoffüberzug. In geschlossener Form betragen die Abmessungen 36 x 19,5 x 28 cm ( B x T x H), das Gewicht beträgt 11 kg.

   

   

Der Deckel wird von zwei Klammern gehalten und enthält in seinem Inneren Staufächer für Kabel und Zubehör.

   

Bei dieser Siera-Variante befindet sich der Lautsprecher seitlich links am Koffer und strahlt zur Seite.

   

   

Die als Philips und Hornyphon angebotenen Exemplare tragen den Lautsprecher entweder oberhalb des Laufwerks und nach vorne gerichtet, woraus ein Gehäuse im Hochformat resultiert, oder seitlich des Laufwerks und ebenfalls nach vorne gerichtet, was ein deutlich breiteres Gehäuse als bei diesem Siera ergibt.

   

In allen Gehäusevarianten ist das Gerät für Senkrechtbetrieb konzipiert, ein äußerst seltenes Merkmal bei Geräten der frühen Fünfziger. Die Vorderfront ist leicht nach hinten geneigt, die Spulen werden durch Schrauben auf den Bandtellern fixiert.
Der einzige Hinweis auf die Marke Siera findet sich oben vor dem Tragegriff in Gestalt eines kleinen Markenemblems.

   

Das Gerät arbeitet mit einer Bandgeschwindigkeit von 9,5 cm/s in Mono-Halbspurtechnik nach internationaler Spurlage und mit Bändern, die Schicht innen gewickelt sind. Damit sind schon die wesentlichen Einsparmaßnahmen gegenüber dem Vorgänger aufgezählt. Dieser hatte nämlich ein Gehäuse aus Stahlblech statt Preßpappe, arbeitete mit 19 cm/s in Vollspurtechnik und hatte statt eines eingebauten Lautsprechers einen separaten Lautsprecherkoffer ebenfalls aus Stahlblech.
Außerdem verlangte der Vorgänger noch nach Schicht außen gewickelten Bändern.

Der Verstärker des kleinen EL 3530 ist dreistufig mit den Röhren EF 40, EF 42 und EL 41, wobei letztere im Aufnahmebetrieb als Hf-Generator dient. Ausgesteuert wird mit Hilfe eines Magischen Auges EM 34, als Gleichrichter dient eine AZ 41. Der gesamte originale Röhrensatz stammt von der Marke Pope.

   

Kleiner Exkurs Nr. 2:
Der Brite Frederic Pope gründete 1889 zusammen mit Partnern in Venlo die erste Glühlampenfabrik in den Niederlanden. Später hat Pope offenbar für kurze Zeit auch Radioröhren hergestellt. Nach der Übernahme durch Philips kurz nach dem Ersten Weltkrieg beschränkte man sich bei Pope zunehmend auf die Herstellung von Metalldrähten. Die Marke Pope wurde von Philips jedoch für den Vertrieb seiner eigenen Röhren weitergenutzt.
About Pope (popelamps.com)

Die Bedienung des Geräts ist recht einfach. Links unten befindet sich der mit dem Netzschalter kombinierte Lautstärkeregler. Einen Klangregler gibt es nicht. Mit dem Drehschalter daneben wird zwischen Aufnahme und Wiedergabe umgeschaltet. Dazu muß der Drehknopf hineingedrückt werden, was im Inneren kurz einen Kontakt schließt und die Entladung eines Kondensators über den A/W-Kopf bewirkt. Die so entstehende abklingende Schwingung soll eine eventuelle remanente Magnetisierung des Kopfes beseitigen. Unterhalb der beiden Drehschalter kann man mittels Schieber wählen zwischen Aufnahme nur über die Radiobuchse oder gleichzeitiger Aufnahme von Radio und Mikro.

   

Rechts unten sitzt ein Wahlschalter für Start, Stop und Rücklauf. Für den schnellen Vorlauf muß der Schieber rechts davon niedergedrückt gehalten werden.

   

Da das Gerät von Österreich aus in mehrere Länder exportiert wurde, gab es die Frontplatte mit englischer, französischer oder deutscher Beschriftung.
Nach Abnahme der Drehschalter und der Andruckrolle läßt sich die Frontplatte vom Chassis enfernen.

   

   

Auf der Rückseite der Frontplatte findet man einen Kontroll- und einen Datumsstempel, woraus sich das Herstellungsjahr ergibt.

   

In das Chassis ist auf der Rückseite der Frontwand die Chassisnummer eingeschlagen.

   

Im Internet kursiert eine Werkstattanleitung für das EL 3530, in der verschiedene Verbesserungen während der Produktionszeit mit der zugehörigen Chassisnummer vermerkt sind. Demzufolge wurden die Chassis beginnend mit der Nummer 1 gezählt. Eine erste Änderung gab es ab Nr. 1301, eine weitere ab Nr. 1561, die letzte vermerkte Änderung erfolgte ab Nr. 8761. Damit gehört dieses Exemplar mit der Nr. 1532 zur zweiten Version und insgesamt eher noch zu den frühen Exemplaren.
Man darf vermuten, daß die gesamte Produktionszahl dieses Chassis den fünfstelligen Bereich erreicht und damit den Vorgänger deutlich übertroffen hat.
Auf der Rückseite des Chassis befinden sich drei Ausgänge, von links nach rechts ein Lautsprecherausgang für 5,5 Ohm, dessen Benutzung den Kofferlautsprecher abschaltet, sodann einen Lineausgang für max. 1,5 V an 200 Ohm und schließlich einen Kopfhörerausgang für 4000 Ohm zum Mithören bei Aufnahme.

   

Des weiteren gibt es an der Rückseite Eingänge für Radio und Mikrophon. Auf dem Typenschild ist die Siera-Modellbezeichnung genannt, die Seriennummer ist gleich der Chassisnummer.

   

Es gibt allerdings noch ein zweites Typenschild auf der Unterseite des Koffers. Dort ist eine andere Seriennummer eingestanzt.

   

Nach Lösen von vier Schrauben läßt sich das Chassis nach vorne aus dem Koffer herausziehen.

   

Links oben sitzt der Motor, in der Mitte der Netztrafo. Die Feder rechts am Trafo ist Teil einer Thermosicherung. Eine weitere Sicherung gibt es in dem Gerät offenbar nicht. Ich habe keine Ahnung, wie schnell diese Sicherung auf Überlast reagiert. Da allerdings die Gleichrichterröhre AZ 41 direkt geheizt ist, sehe ich die Gefahr, daß im Ernstfall deren Heizfaden schneller reagiert und durchbrennt. Bei meinem Exemplar war offenbar genau das passiert. Ein Elko im Netzteil war durchgeschlagen, der Heizfaden der Röhre durchgebrannt. Ich habe jetzt an unauffälliger Stelle und jederzeit rückbaubar einen Sicherungshalter eingefügt und eine Schmelzsicherung 80 mAT eingesetzt in der Hoffnung, daß damit künftig solches Malheur verhindert wird.
Rechts vom Trafo befindet sich eine Platte mit allerlei Widerständen und Kondensatoren. Die Platte ist mit drei Schrauben und Abstandshülsen auf dem Chassis montiert, die Bauteile und deren Verdrahtung befinden sich teils oberhalb, teils unterhalb dieser Platte. Im Reparaturfall sind die unterhalb montierten Teile nur schwer zugänglich. Um die Platte nach Lösen der drei Schrauben ausreichend anheben zu können, müssen Drähte abgelötet werden.

   

Röhrenkoffer sind ja häufiger nicht gerade reparaturfreundlich aufgebaut, aber dieser hier gehört in dieser Disziplin für mich zu den unrühmlichen Spitzenreitern.

   

Auch die übrigen Bauteile, die unterhalb des Chassis verbaut sind, sind nicht eben leicht zugänglich.

   

Ein genauerer Blick auf die Bauteile weist auf das Herkunftsland Österreich hin.

   

Die Firma Ingelen war ein renommierter Wiener Hersteller von Bauteilen und Radioempfängern (Ingelen = Ing. L. N. = Ingenieur Ludwig Neumann).

Beim Blick auf die rechte Seite des Chassis wird der Antrieb sichtbar. Statt eines Gummiriemens wirkt der Motor hier über eine Stahlfeder auf die Schwungmasse.

   

Das hatte man schon beim großen Vorgänger so gemacht und bei einem der Nachfolger, dem ab 1955 gebauten EL 3510, findet sich dieses Antriebsprinzip ebenfalls noch. Immerhin war diese Feder noch brauchbar, während die beiden anderen Riemen zerbröselt waren. Einer dieser Riemen treibt von der Schwungmasse aus die Rutschkupplung des rechten Bandtellers an.
Auf der Tonwelle steckt hinter der großen Schwungmasse noch eine Metallscheibe. Drückt man den Bedienhebel für den schnellen Vorlauf, so wird ein Reibrad auf diese Scheibe und gleichzeitig eine weitere Scheibe auf der Welle des rechten Bandtellers gedrückt. Man erhält so Kraftschluß unter Umgehung der Rutschkupplung. Dieses Reibrad ist aus einer mir unbekannten Substanz gefertigt, die im Lauf der Jahrzehnte offenbar so gehärtet war, daß sie kaum noch Haftreibung hatte. Ich habe daher einen dünnen Flachriemen aufgeklebt.
Die Köpfe waren hier schon an anderer Stelle zu sehen.

   

   

   

Die Ähnlichkeit mit den Ringkernköpfen der AEG aus früheren Zeiten ist auffallend. Allerdings war die AEG selbst zu diesem Zeitpunkt, z. B. beim KL15 oder KL25, schon bei einem deutlich moderner erscheinendem Kopfdesign angelangt.
Und wie klingt nun dieses Köfferchen?

   

Der kleine Lautsprecher hat einen Durchmesser von ca. 10 cm. Mit modernem Bandmaterial, noch dazu wenn es auf moderneren Geräten bespielt wurde, ist der Klang stark höhenbetont und etwas schrill. Mit zeitgenössischem Bandmaterial mag der Klang etwas ausgewogener sein. Schließt man jedoch eine große Box an und schaltet den internen LS ab, so ergibt sich ein deutlich angenehmerer Klang mit mehr Tiefen.
Philips gibt als Frequenzumfang 40 bis 6000 Hz bei +/- 2 dB an. Bandmaterial Scotch 111A.


Gruß
TSF
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#2
Halllo "TSF"!

Vielen Dank für diesen, wie von Dir gewohnt, an Bildern und informationen
reichen Bericht über ein Tonbandgerät aus der Frühzeit der Heimgeräte.

Wieder ein schöne Bereicherung meiner rudimentären Kenntnisse um das
Senkelhobby...

Gruß
Wolfgang
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#3
Ich finde das eine sehr aufschlussreiche Beschreibung dieses Röhrengerätes.
Das Antriebskonzept mittels Spiralfeder finde ich charmant.
Wie ist der Geräuschpegel bei dieser Antriebsvariante?
Der Spaltpolmotor hat ja prinzipbedingt wenig Kraft, ist die Umspulgeschwindigkeit befriedigend?

Zum Thema Reparaturfreundlichkeit:
Früher hieß der Beruf ja auch Rundfunkmechaniker,
das impliziert ja deren Fähigkeit auch kompliziertere Tätigkeiten auszuführen als Leiterplatten zu ziehen und zu stecken...
Bei den Röhrengeräten musste man vorher wissen , bzw messen wo ein Fehler lag, sonst schraubte man sinnlos alles auseinander...

Guter Bericht und klasse recherchiert, Danke.

Gruß, Jan
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#4
(06.02.2021, 19:35)Ferrograph schrieb: Wie ist der Geräuschpegel bei dieser Antriebsvariante?

Hallo zusammen,
vielen Dank für Euer Lob.
Der Antrieb gibt ein typisches metallisch-schabendes Geräusch von sich. Das gilt auch für die beiden anderen erwähnten Philips-Modelle, die mit einer solchen Spiralfeder laufen.

Das Umspulen geht in der Tat reichlich betulich voran. Philips gibt für 180 m Band 3 Minuten an, egal ob vor oder zurück.
Gestoppt habe ich es noch nicht, da meinem gegen Ende die Puste ausgeht, obwohl ich die gesamte Mechanik einschließlich Motor zerlegt, gereinigt und frisch geschmiert habe.

Gruß
TSF
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#5
Hallo TSF,
danke für die penible Vorstellung des Exoten - jedenfalls ist das für mich ein solcher. Sowas kannte ich noch gar nicht. Mit den vielen, gelungenen Fotos hast du das Gerät ins rechte Licht gerückt und die Erläuterungen dazu sind Gold wert!

Was die Reparaturfreundlichkeit angeht habe ich gerade bei Röhrengeräten häufig den Eindruck gewonnen, ohne wirklich jemals tief in die Materie eingedrungen zu sein, dass die Ingenieure davon ausgingen, dass man nur die Röhren bei Bedarf tauscht - und da kommt man fast immer relativ leicht dran. Die fliegenden Verdrahtungen bei Röhrengeräten sind für mich ein Graus und daher mache ich da einen Bogen drum.

Trotzdem: sehr schönes Gerät, irgendwie! Und interessant auf jeden Fall!!!
Liebe Grüße
Thomas
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#6
Herrliche Geräte zauberst Du hervor. Vielen Dank für den Bericht.

Gruß
PSMS
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