Leben in Teneriffa
#1
Hallo Miteinander,

auf vielfachen Wunsch eines Einzelnen, möchte ich ein wenig was zum Leben in Teneriffa erzählen.

Zuerst möchte ich mit der romantischen Vorstellung ".....den ganzen Tag in der Sonne liegen, baden im Meer, angeln, ein Weinchen trinken, also Dauerurlaub machen" aufräumen. Es ist wie gesagt eine romantisierte Vorstellung, die in keinster Weise der Realität entspricht.
Es gibt unter den hier lebenden Deutschen den gut treffenden Spruch: " Ich weiß wie man auf den Kanaren ein kleines Vermögen macht, man bringt ein Großes mit"
Ich lebe jetzt ziemlich genau auf den Tag 23 Jahre hier in Teneriffa. Das erste mal hier war ich 1993. Bei diesem 14 tägigen Aufenthalt habe ich mir das "Bazillus canariensis" eingefangen. Sprich ich hab mich in die Insel verliebt. Das führt dazu, daß man mit immer kürzer werdenden Abständen, immer wieder mal hier her muss, solange bis man nicht anders kann als hier leben zu wollen.
Dieser Punkt war bei mir 1997 erreicht. Nach dem Aufräumen meines alten Lebens und einiger Vorbereitungen, einfach ins blaue hinein, dazu bin ich nicht der Typ, bin ich hier Januar 1998 aufgeschlagen. Ich habe gewusst wo ich wohnen werde, was ich arbeiten werde, hatte einige Freundschaften geknüpft, von Vorteil wäre gewesen, wenigstens rudimentär spanisch zu können, was bei mir nicht der Fall war. Ist aber auch gegangen, dazu später mehr.
Vorab, alles was ich hier noch schreiben werde, hat nicht dazu geführt, daß ich bis jetzt auch nur einen Tag bereue.
Neben ein paar persönlichen Gründen, die ich hier nicht näher ausbreiten möchte, war eine der Hauptgründe Deutschland zu verlassen, die zwischenmenschliche Kälte, die ich die knapp 10 Jahre vor Teneriffa, in Oberbayern immer mehr gespürt habe. Ich bin im Erzgebirge aufgewachsen, bin also im " Osten " sozialisiert, da ist es bannig kalt, zumindest wettertechnisch.
Nicht falsch verstehen Oberbayern ist obergeil. Ich finde die Gegend dort, die Schönste von ganz Deutschland, doch aus einer schönen Schüssel ist nicht automatisch gleich gut essen.
Das Leben hier, ist so anders, ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll.
Mein Arbeitstag ist oft 13 bis 14 Stunden lang, ich bin selbständig, wohl die ziemlich einzige Möglichkeit hier zu überleben, denn die Möglichkeit auf einen Arbeitsvertrag, eine Anstellung gibt es selten. Dabei bin ich halb so kaputt nach diesen langen Tagen, wie früher nach nicht mal 8h.
Es gibt keine Industrie, außer Tourismus.
Die südländische Lebensweise muss man schon mögen, eine Planungssicherheit gibt es nicht. Man muss schon immer 2 Ersatzpläne
parat haben. Beispiel: Das Wort "mañana" bedeutet Morgen im Sinne von ... der Tag der auf heute folgt. Habe ich früher wörtlich genommen, das kann irgendwann, oder auch nie sein.
Ich habe viele hierher kommen sehen, die genau an dieser Mentalität verzweifelt sind, und nach 2 Jahren wieder weg sind.
Speziell die hier lebenden Deutschen werden von den Canarios als  "cabeza cuadrada" bezeichnet. Bedeutet "viereckiger Kopf"
umgangssprachlich " Quadratschädel "
Mein Kopf ist schon mächtig abgerundet, und doch komme ich immer wieder in Situationen, und das obwohl ich hier schon 23 Jahre lebe, wo ich sage: "ne menno, das gibts doch jetzt nicht,oder"?
Es ist halt die andere Seite der Münze.
Doch auch ein Beispiel für die Herzlichkeit. In meinen ersten Wochen hier, ging ich allein in eine typischen Dorfkneipe, bestellte mir, mit meinen damals echt nur 3 Worten spanisch, ein Gläschen Wein. Die dort regelmäßig hingehenden Alten kannten mich schon, ich war neu im Dorf aber Gespräch.
Die haben mich mit Fragen zugeschüttet, und ich habe nix verstanden. Mit Zettel und Stift, Händen und Füßen und Gebärden, haben die mich regelrecht gefoltert, mir hat der Kopf geraucht. Meine immer wieder Beteuerung, ich verstehe kein spanisch, hat sie nicht abgehalten, sich für mich zu interessieren. Zum Schluss will ich bezahlen, bedeutet mir der Wirt, lass mal, ist schon.
Das ging etliche Tage so in Folge, bis ich dann irgendwann klar gemacht habe, das ich nicht mehr komme, wenn ich nicht die Möglichkeit habe mal zu bezahlen. So habe ich nach und nach spanisch gelernt.
Nun stellt Euch bitte mal ein urkonservatives Dorfwirtshaus in Oberbayern vor, ein Dorf mit 6 Bauernhöfen, einer Kirche und nem Schützenhaus . Da kommt jetzt ein, sagen wir mal Türke rein, und schafft es gerade sich ein Bier zu bestellen. Meint Ihr der trinkt ein Zweites?
Ich bin jetzt nicht wirklich der grosse Freund von der seit 2015 ausufernden Migration in Deutschland, habe aber doch eine etwas differenziertere Sicht. Immerhin bin ich seit 23 Jahren Ausländer.
Das ist hier wirklich toll, ich weiß nicht warum, es kommt immer auf den einzelnen an, A....löcher gibt es überall.
Ich bin hier sehr gut integriert, habe viele canarische Freunde, geholfen hat mir dabei die Musik. In meinem Leben habe ich schon ganz oft durch die Musik Schlüssel zu Türen bekommen, die sonst nicht zum öffnen wären.

Das soll es erst mal gewesen sein, ist ja schon ganz schön lang geworden.

Ich bin gerne bereit Fragen zu beantworten.

Viele Grüße aus Teneriffa

Lukas
Zitieren
#2
...vielen Dank!

Über die Erfahrung und dem Erlebnis vom Auswandern zu lesen empfinde ich immer wieder spannend. Irgendwie will auch das innere Fernweh Futter haben.

Thomas
Mein Motto "Zitat" »Opa Deldok«: »Früher war alles schlechter. !!!!

Noa and Mira Awad
NOA Keren Or  

reVox B251 Revision und Modifikationsliste!

Zitieren
#3
@Lukas:
Kann ich so nachempfinden Big Grin 
Bin seit 2 1/2 Jahren in Portugal, allerdings beruflich befristet auf 4 Jahre.
War von 1996 bis 1998 auch mal in Brasilien.
Seitdem kann ich micht recht gut einfühlen in "wie man sich als Ausländer" fühlt.

Mein Reumée:
Man bekommt eine ganz neue Sicht auf seine Geburtsheimat, aber sowohl von den guten als auch von den schlechten Seiten her.
Gruß, Kuni
..............................

http://kuni.bplaced.net/
..............................
Zitieren
#4
Schön das du Dir dort was aufbauen konntest.
Ich war mal im Urlaub dort.

Gruß Mani
Besonders gerne repariere ich meine Philips, Braun, Akai und TEAC Geräte Big Grin
Keine Hilfe bei fehlender Rückmeldung
Zitieren
#5
Danke Lukas für deine "Einblicke"
Ich hatte das Glück ab ca. 1999 mit meiner Familie mehrmals (5x) Urlaub privat bei einem Bekannten in San Isidro (im Süd Ost Teneriffas) zu machen.
Der Bekannte, ein Düsseldorfer Maurerpolier kaufte dort, auf anraten seines Hausarztes, aufgrund von Kehlkopf (Zement) Krebs, in den späten 70ern eine Landfläche sehr sehr günstig, die bebaute und umzäunte er Fachmännisch. Zusammen mit 3 weiteren Berufs Kollegen Jobbte er über viele Jahre auf dem Bau, bei guter Gesundung. Seine Frau, ebenfalls Krebs erkrankt, (Lungenkrebs aus 30 jährige Tätigkeit in einer "Wurstbraterei" ), war Hausfrau und Gesundete dort ebenfalls. Das ging dann bis ca. 2008 da schlug der Krebs zurück und die Frau verstarb, er hielt es dann noch bis 2015 dort aus, wurde auch wieder krank und zog zu seinen Kindern nach Deutschland, kurze Zeit später bekam auch er den Krebs leider wieder zurück.
Über seine Zeit und unsere Urlaube auf Teneriffa aber, erzählen wir uns auf den leider nun immer seltener werdenden Besuche sehr gern.
Das Erlebnis in der "Tanke" die damals 24h offen hatte, war das selbige, bis wir Männer richtig "Satt" waren, war die Zeche längst bezahlt und die Gläser immer noch Rand voll. Unser Heimweg, eine ca. 600 m lange Sandpiste aber stecke in jeder Tasche und Kleidungsfalte, einfach unvergesslich.
M.f.G.
justus



 Onkyo TX8050; TA2760; Philips N4520;  2x Grundig TS1000; TK19;24;27 ; 2x Pioneer RL1011L; Telefunken M3000;  M3002L;  Uher 4000 Report L; Report 4400; Report Monitor 4200;  Tesla B41; Mikro Seiki DQ44; Heco Victa 601 

Zitieren
#6
@ justus

schön das Du mich verstehen kannst, ich freue mich das Du hier ähnliche Erlebnisse hattest und damit bestätigst das ich hier keinen Quark erzähle.

gute Zeit im neuen Jahr
wünscht Lukas
Zitieren
#7
Hallo,

@Lukas, vielen Dank für deine sehr eindrucksvolle Schilderung deiner Erlebnisse und Empfindungen. Ich wohne immer noch am Rande des Ost-Erzgebirges und kann dich da gut verstehen. Viel Glück.

@Justus, auch dein Bericht hat mich berührt.

Grüße Bert
1 x REVOX B77
2 x AKAI GX 635D schwarz
1 x AKAI GX 266D
1 x Tesla Uran
1 x Tesla B 4
Zitieren
#8
Bei einem Teneriffa-Urlaub vor etlichen Jahren habe ich ein paar mal ein Antiquariat besucht, randvoll und bestens sortiert mit deutscher Literatur. Der deutsche Inhaber war auch so ein "Zugezogener", wir haben gerne geredet, und seine Erzählungen war der von Lukas nicht unähnlich. Wie es ihm wirtschaftlich ging - keine Ahnung. Interessant war auch, welche Klimmzüge nötig waren, den Büchernachschub zu organisieren, ohne die Gebühren, die sich an den Kosten von Neubüchern orientiert hätten, zu zahlen.

MfG, Binse
Zitieren
#9
bei unserem letzten La Palma-Urlaub erzählte uns der vor zig Jahren ausgewanderte deutsche Vermieter, das höchste Ziel der "Palmeros" sei, irgendwann nach Teneriffa übersiedeln zu können, da es dort wenigstens moderne Infrastruktur gebe...
Auf unseren Hinweis, selbst mal auf die Kanaren auswandern gewollt zu haben, war die Antwort: wenn sie Freude an den Inseln haben wollen, kommen sie nur zum Urlauben. Wenn sie hier leben (müssen), wird ihnen die Freude schnell vergehen, das Leben (und der Lebensunterhalt) sei hart...da er in vielen Jahren nicht der Einzige war, der so oder ähnlich sprach, scheint da wohl was dran zu sein. Billig ein Stück Land mit oller Finca zu kaufen reicht eben nicht.
Und Man(j)ana geht natürlich gar nicht ;-)
Zitieren
#10
so sehe ich das auch - meine große Insel-Liebe gehört Sylt, da fahre ich gerne auch mehrmals im Jahr für eine oder zwei Wochen hin, leben würde ich da aber selbst dann nicht wollen, wenn man die Immobilien noch bezahlen könnte.

Und wenn man mal seine Vorurteile gegenüber "typisch deutsch" in die Tasche packt, wird man schnell feststellen, dass die Mentalität der Deutschen genauso vielfältig ist wie die Landschaften. Wir wohnen im Ruhrgebiet, ich glaube, wenn hier ein Türke in der Kneipe kein Bier bekäme, würde der Wirt Ärger mit den übrigen Gästen kriegen. Bayern ist nicht ganz Deutschland, auch wenn die Amis und Chinesen das immer noch zu glauben scheinen - und selbst Ober- und Niederbayern ist kaum miteinander zu vergleichen. Die Franken um Würzburg haben schon fast einen schwäbischen Einschlag, im Großraum München herrscht fast italienisches Dolce Vita und wenn man in Richtung Passau fährt, wird Bayern an vielen Stellen so wie in den Parodien von Gerhard Polt.

Ich war in meinem Leben innerhalb Deutschlands viel auf Inbetriebnahmen unterwegs, und musste mich zwangsläufig irgendwie verorten, wenn ich monate- oder sogar jahrelang im Hotel wohnen musste und nicht an Einsamkeit sterben wollte. Dabei habe ich eins gelernt, und das ist, dass fast alle Menschen soziale Wesen sind, wenn man sich auf sie einlässt. Ich finde es nicht schlimm, wenn ich erstmal misstrauisch beäugt werde, wenn ich als Ruhri in eine tiefbayerische Kneipe komme, das ist wenigstens ehrlich, und gibt mir die Sicherheit, dass da sicher niemand freundlich zu mir sein wird, der mich nicht ausstehen kann. Viel schlimmer finde ich Erlebnisse mit Leuten, die sofort ne Party mit Dir feiern, und wenn sie Dich drei Tage später in der Stadt sehen, drehen sie sich weg.

Gruß Frank
Zitieren


Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste