Frollein Grundig, bitte zum Diktat!
#1
Frollein Grundig, Vorname Stenorette, war jahrzehntelang die bevorzugte Apparatur bei Behörden und in den Chefetagen von Firmen, wenn es um Diktiergeräte ging. Jeder kennt die Stenoretten mit einseitigen Normalband-Kassetten und Magnetplatten, die in den 1950ern aufkamen und bis in die 1970er gebaut wurden. Mitte der 60er waren auch mal Geräte mit Magnetfolien en vogue.

Aber hier soll von der Generation der Minikassettengeräte die Rede sein, die ab etwa 1973 auf den Markt kamen. Ich bekam kürzlich eine Stenorette 2020, das wahrscheinlich meistgebaute Gerät dieser Einhandrecorder, das ich seinerzeit auch bei meiner Ausbildung in der niedersächsischen Verwaltung kennenlernte. Die Behörden in Niedersachsen hatten Anfang der 80er hunderte dieser kleinen Tonbandgeräte angeschafft, die als äußerst zuverlässig und robust galten.
Wer nicht weiß, wozu die dienten, soll es hier erfahren: In der Vor-PC-Zeit wurden Schreiben/Briefe entweder der Sekretärin oder Stenotypistin direkt diktiert (klischeehafterweise auf dem Schoß des Chefs sitzend!), oder auf ein Magnetmedium gesprochen und vom Boten zum Schreibbüro gebracht, wo es eine Schreibkraft in ein Abspielgerät mit Fußfernbedienung einlegte, sich einen Stethoskophörer in die Öhrchen hing und das Schreiben in die Maschine hämmerte. Zu meiner Zeit in den 80ern waren das meist schon Typenradmaschinen...

Der Sachbearbeiter oder sonstwer bekam dann die Kassette gelöscht zurück und konnte erneut seine Korrespondenz draufsprechen.

Grundig hatte schon Anfang der 1970er Jahre mit der "Steno-Kassette 30" ein eigenes, unidirektionales, also nicht wendbares, Kassettenformat entwickelt, das speziell für Diktierzwecke optimiert war. Somit konnten die Nutzer natürlich auch nur die original Grundig-Kassetten verwenden. Honi soit qui mal y pense ^^ ....

Die Grundig-Kassette besteht aus einer 65 x 45 x 9,3 mm großen, stabilen Kassette, die mit 3,81 mm breitem Bandmaterial gefüllt ist. Da die Kassetten nur einseitig bespielt werden können, sind sie an der Oberseite geschlossen (also keine durchgehenden Öffnungen für die Wickeldorne wie bei der Compact- oder Microcassette). An der vorderen Schmalseite befinden sich zwei rechteckige Öffnungen, von denen die mittlere für den Tonkopf und die seitliche, kleinere, für Capstan und Andruckkrolle bestimmt ist. In dem mittleren Fenster befindet sich ein Andruckfilz auf einem Schaumstoffklötzchen.

Die Oberseite trägt parallel zur hinteren Kante ein Plexiglasfenster mit den Abmessungen 42 x 3,5 mm, in dem ein Läufer mit Indexmarkierung zu sehen ist, der mittels einer Spindel und zweier Zahnrädchen von der Abwickelspule angetrieben wird. Die Spindel oder Schnecke ist mit abnehmender (nichtlinearer) Steigung gefertigt, so dass bei kleiner- und damit schnellerwerdendem Bandwickel der Zeiger entsprechend langsamer angetrieben wird. Dadurch ist die aufgedruckte Minutenskala über den ganzen Spielzeitbereich von 30 Minuten linear.
Der Zeiger ist außerdem auch von der hinteren Schmalseite aus zu sehen, um auch andere Gerätekonstruktionen zu ermöglichen. Das 3,81 mm Band läuft mit 2,4 cm/s und wird auf seiner oberen Hälfte mit einer ca.1,5 mm breiten Spur besprochen. Es ist dicker als bei den üblichen Microcassetten und daher mechanisch unempfindlicher.

Hier das geöffnete Kassettengehäuse.

   


Aber berichten wollte ich ja eigentlich von der Stenorette 2020, die es in silbernem oder schwarzerm Alugehäuse gab! Meine ist silbern und in sehr gut erhaltenem Zustand, ohne Beulen oder Kratzer. Sie hat die Maße 134 x 70 x 24 mm (ohne Bedienelemente) und wiegt mit Kassette und Batterie (9 V-Block) 300 g.

   


Die Bedienungselemente sind auf der rechten Längsseite zu finden und beschränken sich auf den Schieber für die Laufwerksfunktionen Vorlauf-Stop-Start-Rücklauf und eine rote Aufnahmetaste, die auch während der Wiedergabe gedrückt werden kann, um nahtlosen Schnitt bei Versprechern o.ä. zu ermöglichen. Auf der Oberseite findet lediglich der Lautstärkeregler.

   


Das Kassettenfach wird geöffnet, indem man die Frontabdeckung zurückschiebt. Beim Schließen wird gleichzeitig die Kassette durch zwei kleine Blattfedern heruntergedrückt und die Tonkopfeinheit ans Band herangeführt.

   


Sie lief jedenfalls sehr hakelig und selbst bei Sprachaufnahmen waren extreme Gleichlaufschwankungen wahrzunehmen, denen ich auf den Grund gehen wollte. Ich tippte auf den Antriebsriemen und sollte Recht behalten...
Ich sah mich schon wieder, wie bei anderen Minirecordern, in Drähtchen wühlen, den Lötkolben schwingen und fluchen, um an die Laufwerkmechanik heranzukommen. Nachdem ich drei Schrauben an der Rückwand entfernt hatte, nahm ich selbige ab und es bot sich dieses Bild:

   

   


Nun suchte ich nach Schräubchen, um die Leiterplatte zu entfernen. Es gab keine. Auch irgendwelche Drähte, die ich eventuell hätte ablöten müssen, waren nicht zu sehen! Seltsam...
Nachdem ich vorsichtig an der Platine geruckelt und gezogen hatte, merkte ich, dass sie nur im Bereich des Batteriefachs fest war. Bei genauerer Untersuchung stellte sich heraus, dass sie tatsächlich nur gesteckt war. Zwei kleine Stiftleisten mit insgesamt 13 Kontakten waren neben dem Batteriekompartment zu finden, die sich nach leichtem Hebeln mit einem kleinen Schraubenzieher von ihrem Gegenpart lösten und ich hatte die Platine in der Hand. Ohne auch nur eine zusätzliche Verbindung zum Chassis lösen zu müssen. Fantastisch!

   


Die Elektronik ist noch nicht mit SMD-Bauteilen aufgebaut, wohl aber schon mit einem IC. Das TBA820M, das immer noch erhältlich ist, ist eine NF-Endstufe mit einer maximalen Leistung von 1,2 W an 8 Ohm. Hier ist sie sicher auf weniger begrenzt, weil der 9 V-Block das nicht lange mitmachen würde!

   


Hier sieht man u.a. den mit vergoldeten Kontakten ausgerüsteten Aufnahmeschalter und die gummigelagerte Elektretkapsel. Ganz rechts die Oszillatorspule (oder besser: -Spülchen) in einem Schalenkern.

   


Das Chassis mit der Mechanik lag dann frei zugänglich vor mir und ich begann zu verstehen, warum diese Grundig-Recorderchen als so zuverlässig und robust galten!

Die Mechanik ist, bis auf einige Zahnräder, komplett aus Messing gearbeitet. Alles macht einen absolut soliden und vertrauenerweckenden Eindruck.

   

Der Motor ist selbstverständlich elektronisch geregelt. Ein Vierkantriemchen mit 50 mm Innendurchmesser und 1 mm² Querschnitt treibt die Messing-Schwungmasse. Dieser Riemen war durch jahrelange Nichtbenutzung nicht mehr gleichmäßig rund, sondern hatte einen "Standplatten", da wo er um den extrem kleinen Motorpulley gelegen hatte. Der Riementausch funktioniert ebenfalls völlig simpel, ohne auch nur ein Bauteil demontieren zu müssen. Alten runter, neuen drauf!
Zufällig fand sich ein passendes Exemplar in meiner Riemenschachtel und nach dem Tausch waren die Gleichlaufschwankungen soweit reduziert, dass sie bei Sprache nicht mehr zu hören sind. Ein Test mit einem 440 Hz-Sinus ergab, dass es Schwankungen von rund 0,8 % gibt. Musik werde ich also wohl besser nicht damit recordieren. Bei einem Frequenzbereich von 200-5000 Hz wohl auch kein Ohrenschmaus! wacko

   


Hier noch ein Foto der Tonkopf- und Antriebsabteilung.

Löschkopf und Kombikopf sind in einem Gehäuse vereint; linke Hälfte Kombi-, rechte Hälftre Löschkopf. Warum man nur so eine schmale Spur (1,5 mm) bespricht, weiß ich auch nicht.
Ganz rechts am Bildrand sieht man zwei vergoldete Kontakte, die von der eingelegten Kassette geschlossen werden. Was die genau bewirken, habe ich noch nicht untersucht. Bei der 7-8 Jahre älteren Stenorette 2000 bewirken die Kontakte, dass das Gerät nicht läuft, wenn keine Kassette eingelegt ist. Hier ist das nicht so....
Die Capstanwelle ist mit einem schwarzen, schlupfhemmenden Belag versehen, der aus einem leicht elastischen Werkstoff besteht. Ich musste dabei an den ähnlich aufgebauten Omega-Capstan einer Uher SG630/31 denken.

   


um Schluss gibt es noch einen Blick auf die an der Oberseite eingelassene Mikrofonbuchse, an die ein Ansteckmikro (GDM759) gestöpselt werden kann. Davon habe ich vorhin ein unbenutztes Exemplar für 4 Euro aus der Bucht gefischt. Es ist ein kleines Elektretmikro mit einer Krawattenklemme.

   


Wenn mal die Tantalelkos oder andere Teile auf der Platine getauscht werden müssen, werde ich auch das mit Vergnügen in Angriff nehmen! Ein servicefreundlicheres Gerät habe ich kaum mal zu sehen bekommen.

LG
Holgi
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#2
Wieder mal eine sehr schöne Vorstellung von Dir, Holgi!
Nur 1.5 mm Spur: Ich denke, um den Kopf flach genug bauen zu können.
Sieht so aus, dass die Spur in der Bandmitte liegt.
Messing-Laufwerk: Das fasziniert mich auch an den Uher CRs und den (deutschen) CGs.
Hast Du schon einen Schaltplan und/oder eine Serviceanleitung?
VG Jürgen
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#3
Berufsbedingt habe ich damit noch bis Mitte der 1990er Jahre gearbeitet, danach noch lange mit Microcassetten, ebenfalls auf Grundig Geräten. Die Grundig Kassetten waren den späteren Microcassetten sowohl was Haltbarkeit, als auch Sprachqualität anlangt, deutlich überlegen, daher waren jene m. E. im öffentlichen Dienst (wo es auf den Preis nicht so ankam (-; ) auch vorrangig im Einsatz.
Gerhard
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#4
JUM,'index.php?page=Thread&postID=267788#post267788 schrieb:Hast Du schon einen Schaltplan und/oder eine Serviceanleitung?
VG Jürgen
Nein, danach habe ich bis jetzt vergeblich im Netz gesucht. ;(
Die Spurlage ist nicht mittig, sondern in der oberen Hälfte des Bandes, wie bei einem Halbspur-Monogerät.
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#5
Trivia dazu:

Der Hersteller dieses elektronisch-mechanischen Maschinchens existiert als - meines Wissens - einziger Firmenteil von Grundig noch sowohl unter diesem Namen als auch am gleichen Ort, nämlich den Grundig-Hallen im Industriegebiet von Bayreuth. Und da wurde nicht nur damals Hannoholgis Stenorette, sondern es werden auch heute noch die Geräte in eigener Fertigung hergestellt:
https://en.wikipedia.org/wiki/Grundig_Business_Systems bzw. https://www.grundig-gbs.com/

Grüße
Michael
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#6
Moin,

Holger.... Du könntest Buchautor werden. Starke Leistung Dein Bericht. Sehr gerne noch mehr bitte. -----> DANKE

LG Andre
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