02.04.2018, 13:09
Physiotherapie für betagte Kalotten
Vor nunmehr fast 45 Jahren, im Sommer 1973, habe ich ein Paar 37 mm Kalottenmitteltonstrahler (Originalton Isophon) KM11/135 gekauft. Die wurden beworben mit einer für damalige Verhältnisse sehr niedrigen Resonanzfrequenz von nominal 400 Hz (laut Katalog sogar 380 Hz) und einem "Übertragungsbereich" von 300-20000 Hz. Der gefällige Frequenzgangschrieb deutete eine Verwendbarkeit von ca. 500 Hz bis weit über 10 kHz an. Ankopplung wurde ab 600 Hz empfohlen.
Hier ein Auszug mit ihrer Beschreibung im Isophon-Katalog von 1976:
1973 gab es auch noch eine 4 Ohm Version.
Die wollte ich in geplanten Eigenbau-3-Kanal-Aktivboxen verwenden, bei denen die 10-Zoll Bass-Chassis sich nur bis etwa 450 Hz am erzeugten Schall beteiligen sollten.
Als ich die Mitteltöner-Eigenschaften messtechnisch überprüfte, wurde ich "maßlos" enttäuscht, denn die realen Resonanzfrequenzen lagen bei 550 und 600 Hz.
Das setzte sich fort bei der Frequenzgangmessung, die ich, um nicht auf Raumeffekte reinzufallen, im elterlichen Garten durchführte: Chassis in Schallwand auf den Rasen gelegt, Abstrahlung in den oberen Halbraum, sprich Himmel. Messung mit einem Rohde&Schwarz-Schallpegelmesser, dem ich auf diese Weise einen Tag Freigang aus einem Uni-Institutsschrank verschaffte. Anders als im veröffentlichten Frequenzgangschrieb fiel der Schalldruck bereits von etwa 700 Hz an abwärts um 12 dB/Oktave ab, wie es unterhalb der Eigenresonanz der Brauch ist. Außerdem wurde die Kurve durch zwei unerfreuliche Einbrüche bei ~ 3kHz und 7.5 kHz verunziert.
Daraufhin habe ich in einem Brief an den Isophon-Kundendienst in Berlin mein Leid geklagt und höflich um Überprüfung der mitgesandten Mitteltöner gebeten und um Umtausch gegen Exemplare, die den Promotiontexten entsprächen.
6 Wochen später bekam ich eine Antwort, in der behauptet wurde, die Resonanzfrequenzen lägen mit 500 und 520 Hz an der oberen Toleranzgrenze und außerdem könne man sie durch "Prüfung des Lautsprechers zwischen 100 und 10000 Hz mit einem Sinusgenerator - 10 Watt eingestellt bei 1000 Hz - leicht um 50 Hz senken".
Die von mir bemängelten Einbrüche führten sie auf "Raumeinflüsse" zurück, bei ihrer Kontrolle hätten sie dergl nicht feststellen können.
Ich habe die Chassis später durch 5 cm Kalotten eines anderen Herstellers ersetzt.
Seitdem lagen sie als "Altlasten" untätig in meinen Bastelvorräten herum.
Als ich vor kurzem meinen Lautsprecher-Impedanz-Messapparat mal wieder Software-mäßig renovierte und nach einem Test-Objekt suchte, fiel mein Auge auf die ausgemusterten Kalotten und der Gedanke kam auf, "mal sehen, wo die jetzt resonieren".
Der erste Test mit Daumendruck auf die Kalotte (nicht so stark, wie es die Kinder in den Kaufhäusern machen) führte zu dem Eindruck, daß die Sicke wohl ausgehärtet sei, denn sie gab kaum sichtbar nach.
Die erste Kaltmessung führte dann auch zu einer Resonanzfrequenz fr=840 Hz, Rdc=3.62 Ohm.
80 Minuten Massage mit 30 Hz 2.9 Veff (2.3 Watt) trieb dem Teil schon etwas Steife aus dem Bewegungsapparat : fr=759 Hz.
Nach weiteren 85 min mit 30 Hz 3.65 Veff (3.6 W) nahm die Beweglichkeit weiter zu : fr=687 Hz.
3 3/4 h später war fr nur noch 645 Hz, Rdc=3.79 Ohm.
Nach 2 h mit 22 Hz 3.67 V wurden 634 Hz erreicht.
Ab Mitternacht hab ich dem Teil Ruhe gegönnt und am nächsten Tag kurz vorm zweiten Frühstück (gegen 10 Uhr) wieder kontrolliert : fr~760 Hz (Rdc=3.62 Ohm), also rückfällig geworden.
3 Tage später hab ich die Therapie in ähnlicher Weise fortgesetzt und dabei die applizierte Spannung/Leistung allmählich ungeduldiger und mutiger werdend erhöht. Weitere Details möchte ich euch aber ersparen und fasse die Ergebnisse in ein paar Bildern zusamen:
Bild 1 zeigt den Impedanz-Verlauf für 9 Zustände im Verlauf dieser Mess-Serie im Frequenzbereich 200 Hz bis 20 kHz.
Kurve 1 ist der Ausgangszustand vor Behandlung, Kurve 9 das bislang maximal Erreichte direkt nach Anwendung: fr~495 Hz. Die Resonanz hat auf der rechte Seite eine Nebenschulter, die mitwandert. Außerdem gibt es eine stationäre Resonanz bei etwa 1400 Hz (vermutlich des inneren Hohlraums). Oberhalb 2 kHz sieht man den induktiven Impedanzanstieg. Unten der Gleichstromwiderstand, der durch Erwärmung von ca. 3.62 Ohm auf bis zu 4 Ohm zunahm.
Das wird etwas klarer im nächsten Bild, in dem statt |Z| nun |Z-Rdc| dargestellt ist.
Das Verhalten der Resonanzfrequenz über die einzelnen Stationen der Physio-Therapie zeigt das nächste Bild.
Es wurden 14 mal für 2 bis 5 Stunden unterschiedliche Spannungen/Leistungen bei anfangs 30 Hz, später 20 Hz appliziert, nachts ausgesetzt und am nächsten Tag oder später fortgesetzt, hier als Events 1-21 markiert, nicht in korrekter zeitlicher Skalierung. Die Resonanzfrequenz konnte von anfangs 838 Hz auf minimal 495 Hz herabgesetzt werden, mit zuletzt fast 10 Watt Massage-Leistung. Der Endzustand liegt jedoch derzeit bei etwa 670 Hz.
Das letzte Bild zeigt den Bestzustand kurz nach Applikation (blau), den Zustand einen halben Tag später (grün) und zum Vergleich mein zweites (bislang unbehandeltes) Exemplar der KM11/135 (rot, fr~890 Hz).
Fazit:
Mit Elektro-Massage kann man alten Kalotten durchaus zu mehr Beweglichkeit verhelfen. Kräftige Wirkung erfordert aber auch, nahe an die Grenzen der Belastbarkeit heranzugehen.
Der unmittelbar nach Anwendung erreichbare Zustand ist jedoch nicht von anhaltender Dauer, sondern eine gewisse Steifigkeit kehrt zurück.
Speziell im vorliegen Fall waren die vom Hersteller behaupteten Eigenschaft nicht erreichbar (und nie vorhanden gewesen).
Die Chassis erscheinen mir nach wie vor nicht sonderlich geeignet zum Einsaz als Mitteltonkalotten.
Als ich vor kurzem mal im Internet schaute, was man da noch zur KM11/135 finden kann, sah ich, daß sie
gelegentlich bei ebay angeboten werden, zB im Dezember 2017 mit der Originalbeschreibung von wegen fr=400 Hz etc., und zuletzt im Januar 2018.
Mein Tip: Einfach nicht glauben, es sei denn der Verkäufer kann es beweisen.
Zum krönenden Abschluß ein Blick auf den Arbeitsplatz des Experimentators:
Im Vordergrund das DUT: KM11/135/4, rechts davon der Massage-Apparat, ein kleiner Endverstärker mit dem TDA1516Q, gekühlt von einem ausgemusterten PC-Lüfter (12V), weil der Kühlkörper des IC sonst so heiß wird, daß man nicht mehr anfassen mag. Beides gespeist von einem China-Schaltnetzteil für 15 V/4A, wegen der offenen Netzanschlüsse links mit einem Sicherheitshinweis ausgestattet.
Der Oszi dahinter (zusammengebaut in den 60er Jahren) ist übrigens oben offen, weil ich da gelegentlich hineingreifen und an bestimmten Stellen drücken muß, um die Zeitablenkung wiederzubeleben.
So soll man es auf keinen Fall machen !
Trotzdem habe ich hier (im Gegensatz zu den "Labormitteilungen" eines anderen Forianers) noch "keinen gewischt gekriegt".
MfG Kai
Vor nunmehr fast 45 Jahren, im Sommer 1973, habe ich ein Paar 37 mm Kalottenmitteltonstrahler (Originalton Isophon) KM11/135 gekauft. Die wurden beworben mit einer für damalige Verhältnisse sehr niedrigen Resonanzfrequenz von nominal 400 Hz (laut Katalog sogar 380 Hz) und einem "Übertragungsbereich" von 300-20000 Hz. Der gefällige Frequenzgangschrieb deutete eine Verwendbarkeit von ca. 500 Hz bis weit über 10 kHz an. Ankopplung wurde ab 600 Hz empfohlen.
Hier ein Auszug mit ihrer Beschreibung im Isophon-Katalog von 1976:
1973 gab es auch noch eine 4 Ohm Version.
Die wollte ich in geplanten Eigenbau-3-Kanal-Aktivboxen verwenden, bei denen die 10-Zoll Bass-Chassis sich nur bis etwa 450 Hz am erzeugten Schall beteiligen sollten.
Als ich die Mitteltöner-Eigenschaften messtechnisch überprüfte, wurde ich "maßlos" enttäuscht, denn die realen Resonanzfrequenzen lagen bei 550 und 600 Hz.
Das setzte sich fort bei der Frequenzgangmessung, die ich, um nicht auf Raumeffekte reinzufallen, im elterlichen Garten durchführte: Chassis in Schallwand auf den Rasen gelegt, Abstrahlung in den oberen Halbraum, sprich Himmel. Messung mit einem Rohde&Schwarz-Schallpegelmesser, dem ich auf diese Weise einen Tag Freigang aus einem Uni-Institutsschrank verschaffte. Anders als im veröffentlichten Frequenzgangschrieb fiel der Schalldruck bereits von etwa 700 Hz an abwärts um 12 dB/Oktave ab, wie es unterhalb der Eigenresonanz der Brauch ist. Außerdem wurde die Kurve durch zwei unerfreuliche Einbrüche bei ~ 3kHz und 7.5 kHz verunziert.
Daraufhin habe ich in einem Brief an den Isophon-Kundendienst in Berlin mein Leid geklagt und höflich um Überprüfung der mitgesandten Mitteltöner gebeten und um Umtausch gegen Exemplare, die den Promotiontexten entsprächen.
6 Wochen später bekam ich eine Antwort, in der behauptet wurde, die Resonanzfrequenzen lägen mit 500 und 520 Hz an der oberen Toleranzgrenze und außerdem könne man sie durch "Prüfung des Lautsprechers zwischen 100 und 10000 Hz mit einem Sinusgenerator - 10 Watt eingestellt bei 1000 Hz - leicht um 50 Hz senken".
Die von mir bemängelten Einbrüche führten sie auf "Raumeinflüsse" zurück, bei ihrer Kontrolle hätten sie dergl nicht feststellen können.
Ich habe die Chassis später durch 5 cm Kalotten eines anderen Herstellers ersetzt.
Seitdem lagen sie als "Altlasten" untätig in meinen Bastelvorräten herum.
Als ich vor kurzem meinen Lautsprecher-Impedanz-Messapparat mal wieder Software-mäßig renovierte und nach einem Test-Objekt suchte, fiel mein Auge auf die ausgemusterten Kalotten und der Gedanke kam auf, "mal sehen, wo die jetzt resonieren".
Der erste Test mit Daumendruck auf die Kalotte (nicht so stark, wie es die Kinder in den Kaufhäusern machen) führte zu dem Eindruck, daß die Sicke wohl ausgehärtet sei, denn sie gab kaum sichtbar nach.
Die erste Kaltmessung führte dann auch zu einer Resonanzfrequenz fr=840 Hz, Rdc=3.62 Ohm.
80 Minuten Massage mit 30 Hz 2.9 Veff (2.3 Watt) trieb dem Teil schon etwas Steife aus dem Bewegungsapparat : fr=759 Hz.
Nach weiteren 85 min mit 30 Hz 3.65 Veff (3.6 W) nahm die Beweglichkeit weiter zu : fr=687 Hz.
3 3/4 h später war fr nur noch 645 Hz, Rdc=3.79 Ohm.
Nach 2 h mit 22 Hz 3.67 V wurden 634 Hz erreicht.
Ab Mitternacht hab ich dem Teil Ruhe gegönnt und am nächsten Tag kurz vorm zweiten Frühstück (gegen 10 Uhr) wieder kontrolliert : fr~760 Hz (Rdc=3.62 Ohm), also rückfällig geworden.
3 Tage später hab ich die Therapie in ähnlicher Weise fortgesetzt und dabei die applizierte Spannung/Leistung allmählich ungeduldiger und mutiger werdend erhöht. Weitere Details möchte ich euch aber ersparen und fasse die Ergebnisse in ein paar Bildern zusamen:
Bild 1 zeigt den Impedanz-Verlauf für 9 Zustände im Verlauf dieser Mess-Serie im Frequenzbereich 200 Hz bis 20 kHz.
Kurve 1 ist der Ausgangszustand vor Behandlung, Kurve 9 das bislang maximal Erreichte direkt nach Anwendung: fr~495 Hz. Die Resonanz hat auf der rechte Seite eine Nebenschulter, die mitwandert. Außerdem gibt es eine stationäre Resonanz bei etwa 1400 Hz (vermutlich des inneren Hohlraums). Oberhalb 2 kHz sieht man den induktiven Impedanzanstieg. Unten der Gleichstromwiderstand, der durch Erwärmung von ca. 3.62 Ohm auf bis zu 4 Ohm zunahm.
Das wird etwas klarer im nächsten Bild, in dem statt |Z| nun |Z-Rdc| dargestellt ist.
Das Verhalten der Resonanzfrequenz über die einzelnen Stationen der Physio-Therapie zeigt das nächste Bild.
Es wurden 14 mal für 2 bis 5 Stunden unterschiedliche Spannungen/Leistungen bei anfangs 30 Hz, später 20 Hz appliziert, nachts ausgesetzt und am nächsten Tag oder später fortgesetzt, hier als Events 1-21 markiert, nicht in korrekter zeitlicher Skalierung. Die Resonanzfrequenz konnte von anfangs 838 Hz auf minimal 495 Hz herabgesetzt werden, mit zuletzt fast 10 Watt Massage-Leistung. Der Endzustand liegt jedoch derzeit bei etwa 670 Hz.
Das letzte Bild zeigt den Bestzustand kurz nach Applikation (blau), den Zustand einen halben Tag später (grün) und zum Vergleich mein zweites (bislang unbehandeltes) Exemplar der KM11/135 (rot, fr~890 Hz).
Fazit:
Mit Elektro-Massage kann man alten Kalotten durchaus zu mehr Beweglichkeit verhelfen. Kräftige Wirkung erfordert aber auch, nahe an die Grenzen der Belastbarkeit heranzugehen.
Der unmittelbar nach Anwendung erreichbare Zustand ist jedoch nicht von anhaltender Dauer, sondern eine gewisse Steifigkeit kehrt zurück.
Speziell im vorliegen Fall waren die vom Hersteller behaupteten Eigenschaft nicht erreichbar (und nie vorhanden gewesen).
Die Chassis erscheinen mir nach wie vor nicht sonderlich geeignet zum Einsaz als Mitteltonkalotten.
Als ich vor kurzem mal im Internet schaute, was man da noch zur KM11/135 finden kann, sah ich, daß sie
gelegentlich bei ebay angeboten werden, zB im Dezember 2017 mit der Originalbeschreibung von wegen fr=400 Hz etc., und zuletzt im Januar 2018.
Mein Tip: Einfach nicht glauben, es sei denn der Verkäufer kann es beweisen.
Zum krönenden Abschluß ein Blick auf den Arbeitsplatz des Experimentators:
Im Vordergrund das DUT: KM11/135/4, rechts davon der Massage-Apparat, ein kleiner Endverstärker mit dem TDA1516Q, gekühlt von einem ausgemusterten PC-Lüfter (12V), weil der Kühlkörper des IC sonst so heiß wird, daß man nicht mehr anfassen mag. Beides gespeist von einem China-Schaltnetzteil für 15 V/4A, wegen der offenen Netzanschlüsse links mit einem Sicherheitshinweis ausgestattet.
Der Oszi dahinter (zusammengebaut in den 60er Jahren) ist übrigens oben offen, weil ich da gelegentlich hineingreifen und an bestimmten Stellen drücken muß, um die Zeitablenkung wiederzubeleben.
So soll man es auf keinen Fall machen !
Trotzdem habe ich hier (im Gegensatz zu den "Labormitteilungen" eines anderen Forianers) noch "keinen gewischt gekriegt".
MfG Kai