Diesmal nicht: Wer baute für wen - sondern: Wie wurde überhaupt gebaut - Beispiel der Schwarzwälder Apparate Bau Anstalt
#1
Hallo Leute,

ich kannte es noch nicht, daher möchte ich Euch, falls Ihr es auch noch nicht kennt, dieses überaus höchst kuriose Fundstück ans Herz legen.

https://www.youtube.com/watch?v=0iwd38tdCSA#t=22.906485

Vor vielen vielen Dingen, die dort gezeigt werden, kann ich trotz großem Hang zur technischen Historie nur den Kopf schütteln. Daher wird es Euch bestimmt umso mehr gefallen!

Liebe Grüße
Martin
Leute, bleibt schön glatt gewickelt!
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#2
Tja, Martin, so war es damals nun mal. Heutzutage wird über Rente ab oder bis >65 diskutiert. Die Mitarbeiter in der Galvanik bei Saba haben dieses Alter wohl kaum erreichen dürfen, und wenn doch, dann erst, wenn sie das selbst mitproduzierte Radio abbezahlt hatten.

Wenn man sich das letzte A von Saba mal auf der Zunge zergehen lässt, und sich bekuckt, unter welchen Bedingungen die Beschäftigten in dieser Fabrik ihre Arbeit abzuleisten hatten, bin ich ganz schnell bei "Arbeitslager". Natürlich wird es in den Fabrikationsstätten anderer Hersteller von irgendwas Ähnlichem ähnlich bis genau so ausgesehen haben.

Aber egal, genau bescheid weiß Radio Volker. Ist zu finden bei Jogis Röhrenbude und im Dampfradioforum.

Gruß Achim.
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#3
Hallo in die Runde,

in den Fünzigern hat man sich um Arbeitssicherheit und Gesundheitsgefahren einfach nicht so'n Kopp gemacht. Man wusste, dass dieses und jenes schädlich ist, aber die verbreitete Philosophie war "das bißchen wird schon nicht so schlimm sein". Der Lackierer im Film mit der Farbsprühpistole, der den ganzen Tag Sabinen ohne Atemschutz lackiert, dürfte aber auch für damalige Verhältnisse sehr fahrlässig sein. Manches wusste man auch nicht, speziell wenn es um Langzeitwirkungen und Krebsgefahr ging. Zum Beispiel war damals "Tetra" (also Tetrachlorkohlenstoff) in der Industrie, aber auch im Haushalt ein beliebtes Universal-Reinigungsmittel.

So oder so, wenn die Arbeiter dann schwerkrank zu Hause saßen, krähte in der Arbeitswelt kein Hahn mehr nach ihnen. Und wenn sie elendiglich an Krebs, Asbestose oder sonstwas verreckten, scherte das die Industrie auch nicht.

Ein Fallbeispiel: Der Vater eines Freundes erkrankte vor ca. 20 Jahren an Krebs. Er war Facharbeiter in einer Chemiefabrik und hatte früher viel mit Asbest zu tun. Nach der Erkrankung entschied die Berufsgenossenschaft ohne Hin und Her "Asbestose, klarer Fall" und zahlte eine gute Zusatzrente, ich glaube, 1500 DM. Kaum war der Bescheid da, sprach die gesetzliche Rentenversicherung: Prima, dann können wir die Altersrente ja genau um diesen Betrag kürzen. Sprach's und tat's. Ein konsultierter Anwalt: Ja, passt, ist leider geltendes Recht. Dem Mann war es bald egal, er starb 1998 qualvoll an seiner Krankheit

Seien wir froh, dass der Umgang mit Chemikalien heute anders gehandhabt wird - ohne jedoch bei Verwendung gesundheitsschädlicher Stoffe in Hysterie zu verfallen, wozu Verbraucher und Verbraucherschutz heute gerne neigen. Das andere Extrem eben.

Gruß
Stefan
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#4
Tja, überhaupt kein Arbeitsschutz. Unglaublich! Lackiererei, Galvanik, Löterei.

Aaaber noch was anderes: wie bekloppt muß man sein, sogar die elektrischen Kabel selbst zu fertigen. Also den Kupfer- oder Aluminiumdraht (Heimstoff) selbst mit Isolierung zu überziehen und nicht das wenigstens zuzukaufen? Oder die Trasformatoren selbst aus einzelnen Blechen zusammenzuschustern?

War der Film Euch denn schon bekannt?

Gruß Martin
Leute, bleibt schön glatt gewickelt!
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#5
Den Link sollte man zur Hand haben, wenn die Fans alter deutscher Unterhaltungselektronik sich mal wieder über die Arbeitsbedingungen echauffieren, unter denen neuzeitliche Geräte in Fernost hergestellt werden. Wink
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#6
Zelluloid,'index.php?page=Thread&postID=190835#post190835 schrieb:...wie bekloppt muß man sein,...

Das hat(te) i.d.R. wenig mit geistigem Unvermögen zu tun. Jedem dürfte klar sein, dass eine hohe (aber auch eine sehr niedrige) Fertigungstiefe natürlich immer gewisse Risiken mit sich bringt. Wer selbst fertigt, macht sich unabhängig und bestimmt die Qualität selbst. Ein Hochwasser- oder Erdbebenschaden in einem fernöstlichen Zulieferbetrieb kann dann die eigene Produktionslinie nicht ausser Tritt bringen. Es muss sich für die Schwarzwäldler also damals gerechnet haben, viele Baugruppen selbst zu fertigen zumal die damaligen Transportkosten in Relation eigentlich viel höher waren, als heutzutage (klingt paradox, wenn man sich die eigene Tank-Quittung ansieht, ist aber so). Und den Wirtschaftsminister hats auch gefreut - Vollbeschäftigung in der damaligen BRD. Davon konnten nachfolgende Generationen nur noch träumen... ....bis heute (und das wird auch so bleiben). Man kann nicht alles haben...

P.
Time flies like an arrow. Fruit flies like a banana. (...soll Groucho Marx gesagt haben, aber so ganz sicher ist das nicht...)
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#7
timo,'index.php?page=Thread&postID=190836#post190836 schrieb:Den Link sollte man zur Hand haben, wenn die Fans alter deutscher Unterhaltungselektronik sich mal wieder über die Arbeitsbedingungen echauffieren, unter denen neuzeitliche Geräte in Fernost hergestellt werden. Wink

...die fernöstlichen Arbeitsbedingungen waren aber zu der Zeit, zu der der Saba-Film entstanden ist, noch übler - davon darfst Du ausgehen.
Time flies like an arrow. Fruit flies like a banana. (...soll Groucho Marx gesagt haben, aber so ganz sicher ist das nicht...)
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#8
Moin Martin.
Letzteres: mir nicht. Aber danke fürs einstellen. Hast du gut gemacht.

Vorletzteres: na, warum nicht? Wenns billja ist, selbst zu produzieren, als zuzukaufen, wird man selbst produzieren, und begibt sich dadurch obendrein in eine Abhängigkeit weniger. Außerdem kann man ja, wenn die Möglichkeiten nebst Personaldecke und Ressourcen vorhanden sind, produzieren, bis die Schwarte kracht, und die Überproduktion an Mitbewerber verscherbeln.

Gut möglich also, dass von Saba gefertigte Strippen auch in Geräten von Grundich, Loewe, Kuba oder Uher oder irngswem anders den Strom von A nach B chauffieren, oder umgekehrt. Weil rechnen konnte man damals auch schon, obwohl die 7 Segment-Anzeige noch nicht erfunden war.

Gruß Achim.
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#9
Zelluloid,'index.php?page=Thread&postID=190835#post190835 schrieb:Oder die Trasformatoren selbst aus einzelnen Blechen zusammenzuschustern?
Man sollte bei der Beurteilung vielleicht auch die Firmenhistorie im Blick haben. Immerhin gehörte Saba gewissermaßen zu den Radioherstellern der ersten Stunde.
In der Wikipedia steht zu lesen daß die Firma ab 1923, noch bevor sie komplette Radios herstellte, Radiobauteile wie Spulen und Transformatoren fertigte. Warum hätte man 30 Jahre später auf die dabei gewonnen Erfahrungen verzichten sollen?
Nicht alle deutschen Hersteller hatten damals eine so hohe Fertigungstiefe wie Saba, die auch Kondensatoren und Kanalwähler für Fernseher herstellten, wie der Film zeigt.
Die höchste Fertigungstiefe erreichte vermutlich Siemens. In deren Geräten stammte so gut wie alles aus eigener Fertigung, Widerstände, Kondensatoren, Röhren, ...

Gruß
TSF

P.S.: Noch in anderer Hinsicht ist der Film sehr lehrreich. Ich wußte noch gar nicht, daß neben der Donau auch der Rhein seinen Lauf im Schwarzwald beginnt, wie es in den ersten Minuten des Films heißt. Wink
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#10
[q]Siemens[/q]

Telefunken.
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#11
Ich habe den Film seit Anfang der 90er im Schrank, als VHS-Kopie vom Original, übrigens mit UNverzerrtem Begleitton.

Ob die extreme Fertigungstiefe wirklich auch unter damaligen Verhältnissen wirtschaftlich war, ist. m.E. nicht unzweifelhaft. Aber in einem traditionsorientierten Familienbetrieb, wie es Saba in den 50ern war, wurde sicherlich vieles aus Prinzip und Philosophie gemacht. Bekannt die alte deutsche Pseudo-Tugend "Das haben wir schon immer so gemacht". Die Eigenfertigung von Styroflex- und Papierrollkondensatoren dürfte zum Beispiel schon damals wirtschaftlicher Irrsinn gewesen sein. Sie wurde ja Anfang der Sechziger auch eingestellt. Einiges änderte sich jedenfalls, als nicht mehr Hermann Schwer, sondern die Brunner-Schwer-Söhne die Leitung übernommen hatten. Dass Saba irgendetwas an die Konkurrenz geliefert hat, glaube ich überhaupt nicht. Nicht mal gelben Isolierschlauch.

Das im Film mehrmals sichtbare coole Radio mit der rot-weißen Front gab's übrigens wirklich, aber nur für den Export, Typ UW 365.

Gruß
Stefan
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#12
Hallo,

gab es damals auch etwas handlichere Lötkolben? Was hier verwendet wird ist ja nicht besonders filigran.

Gruß
Andreas
Festina lente!

Motto der SN-Sammler: Irgendwann haben wir sie alle...
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