Des Kaisers neue HiFi-Anlage
#1
Es war einmal ein Kaiser. Der hatte eine gute Stereo-Anlage und war
eigentlich ganz zufrieden. Eines Tages kamen zwei fahrende Händler
daher, die führten auf Ihrem Pferdefuhrwerk eine Reihe der exotischsten
HiFi-Geräte mit sich. Dinge, die der Kaiser noch nie gesehen, geschweige
denn gehört hatte. Und da die Händler die Geräte so trefflich anpriesen,
wurde der Kaiser neugierig und kaufte einige davon: ein Paar riesige
Boxen, einen bleischweren CD-Spieler, einen Class-A-Verstärker und
noch weiteres Zeugs wie Absorber, Spikes, dicke Kabel und und und...

Nachdem seine Diener die Geräte in seinem Saal aufgebaut hatten, liess der
Kaiser seine Minister zu einer Hörprobe kommen. Aber so sehr sich die
Minister auch anstrengten - einen nennenswerten Unterschied zu der
alten Anlage vermochten sie nicht herauszuhören. Erst recht keinen, der
die Ausgabe eines Monatsgehaltes (Minister-Monatsgehalt !) ausmachte.
Aber das getrauten sie sich natürlich nicht, offen zu sagen und so fingen
sie an, zu fachsimpeln. Begriffe wie "Bühne", "Tiefe", "Schnelligkeit"
wurden gemurmelt, die Stirn in Falten gelegt und hier gelauscht,
dort am Poti gedreht und wieder gelauscht. Am Schluss einigten sich
alle Zuhörenden: "der Bass ist zu schwach". Lediglich der 10 1/2 jährige
Sohn des Innenministers verstand die Welt nicht mehr aber er liess die
Alten reden.

Völlig verunsichert vom Ergebnis der Hörsession ging der Kaiser zu den
fahrenden Händlern und zückte erneut seine Kreditkarte um weitere
Komponenten zu erwerben. Ein neuer Verstärker, andere Boxen und
eine Auswahl an Vinyl-Drehern wurden diesmal von den Hände-reibenden
Händlern über die Ladekante des Fuhrwerks gehoben.

Wieder bauten die Diener alles auf und die Minister mussten antreten, um
den Vergleich herauszuhören. "Gut..." dachten sie, "...klingt nicht schlecht,
aber irgendwie genauso, wie das Zeug gestern und besser als das Alte?
Keinesfalls!" Aber das dachten sie eben nur - zu sagen getrauten sie sich es
nicht. So fing erneut ein Stirnrunzeln, Einstellen, Verrücken der Boxen
und prüfendes Lauschen an. Wieder wurde über "Durchhörbarkeit" und
"Leichtigkeit" gesprochen - am Schluss einigte man sich auf eine
"deutliche Dominanz in den mittleren Frequenzen und das müsse
am Kabel liegen".
Der Sohn des Innenministers, der wieder dabei war, tippte nur
Kopf-schüttelnd an seinem Gameboy herum - in seinen Ohren war
eins wie das andere.

So eilte denn der abermals verunsicherte Kaiser zu den Händlern, die
ihn schon listig grinsend erwarteten. Nach dem Erwerb von sündhaft
teuren Kabeln, einem neuen CD-Player sowie einer Röhren-Vor-Endstufen
Kombination zog der Kaiser von dannen. Einer der Händler begann darauf
eiligst, seinen Grosshändler anzurufen.

Nachdem die Diener die Neuerwerbungen aufgebaut und angeschlossen
hatten, hiess der Kaiser erneut die Minister antreten. Er gemahnte sie
zu ernsthaften Analyse aller Geräte um nun endlich die ideale Kombination,
ja die optimale "Kette" herauszuhören. Den Ministern wurde Angst und
Bange - jeder von ihnen hing an seinem Job. Ausserdem war in Dingen
der persönlichen Eitelkeit wahrlich nicht mit dem Kaiser zu spassen.
Aber auch diesmal gelang es ihnen nicht, erwähnenswerte Unterschiede
oder gar Verbesserungen herauszuhören. Erneut stimmten sie deshalb
eine hitzige Debatte über die kleinsten Nuancen an, die sich bei der
Verwendung des einen oder anderen Kabels offenbarten. Insgeheim
jedoch dachte jeder für sich: "Ohje - bin ich etwa taub, dass ich da
überhaupt keinen Unterschied zwischen den dicken Monsterstrippen
und dem dünnen, alten Kabel höre?"

Wie nun der Kaiser in die Runde blickt, fällt ihm der Sohn des Innen-
ministers auf, der nur grinsend den Kopf schüttelt.
"Was meinst Du, mein Junge?" fragte in daraufhin der Kaiser.
"Na wenn ich ehrlich sein soll, Eure Hoheit, dann kann ich überhaupt
keinen grossen Unterschied feststellen. Gut - klitzekleine Unterschiede
gibt es, aber besser als das vorher gehörte ist da in meinen Ohren nichts.
Auch nicht besser, als Ihre alte Anlage - wenn Ihr mir diese Bemerkung
erlaubt, Eure Hoheit."

Die Minister zuckten ob der Offenheit des Buben zusammen und liefen
rot an. Dem Kaiser viel die Kinnlade auf die Brust - sprach doch der
Knabe offen aus, was er selbst schon die ganze Zeit über zu hören glaubte.

Damit erkärte der Kaiser die Hörproben für beendet und entliess
die Minister mit der Mahnung, sich in Zukunft nur um Dinge zu
kümmern, von denen sie auch etwas verstehen.

Dem Knaben gab er ein paar Dukaten für´s Kino und entliess in
ebenfalls. Danach wurde die alte Anlage wieder aufgebaut.
Die Händler hatten unterdessen den kaiserlichen Hof wieder
verlassen und waren weitergezogen, da der Grosshändler
Lieferschwierigkeiten hatte.


Und die High-End von der Geschicht`: Glauben wir, was wir hören oder
hören wir, was wir glauben?
Time flies like an arrow. Fruit flies like a banana. (...soll Groucho Marx gesagt haben, aber so ganz sicher ist das nicht...)
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