M15+Telcom c4
#24
Lieber Amimax,
liebe Mitleser,

sollte ich dein Posting recht verstehen, liegst du mit der µ-Vermutung ein wenig außerhalb der US-Realität. Auch wenn es in den Hochschulen der USA westlich von Chicago mit Latein und Griechisch sehr dünn wird (man sollte diesbezüglich lieber an der Ostküste zwischen Boston und New York, Metropolitan Museum und den Cloisters, Pierpont-Morgan und Princeton bleiben), können meine Leute dort durchaus ein X vom U, äh, ein µ vom u unterscheiden. Und meine Beziehungen dorthin enden ganz weit nordwestlich und noch dazu erst am Wasser, in das die Hunde notfalls, nicht aber die Menschen steigen. Wegen der Kälte des Wassers natürlich...

Mit Mikrovolt beschäftigt man sich bei Mikrofonen und ihren Verstärkern, für die Pegelnormung, die hier wie in den USA aus den Praktiken der Leistungsanpassung der Fernmelder herrührt, gilt nach wie vor das eine mW an 600 Ohm. Die Einheit dBu wurde in Anlehnung an die VU-Messung so genannt und ist identisch mit dBm; so zumindest lernte ich das mal. Glen Ballou (Handbook for Sound Engineers, Carmel, IN 1991) ist noch ausschließlich mit 'dBm' zufrieden. Und das bezieht sich auf obige Konvention (1 mW an 600 Ohm).
Und: Die 0,775 V sind die Bezugsgröße U-Index-Null, weshalb man sie sinnvollerweise in den Nenner verräumt.

Hohe Aussteuerungen sind hinsichtlich des Umgangs ein Kapitel für sich. Ich sah mich deshalb immer vor, etwaig vorhandene VUs nicht an den Anschlag zu setzen. Ich hatte sie allerdings auch nur in den Effektkanälen des Pultes und in den A77ORF. Der Rest lief mit Lichtzeigern, deren Skalenruhepunkt rechts außerhalb der Skala liegt, weshalb sie also mit einer ruhenden Gleichspannung beaufschlagt werden müssen, um in die Minus-unendlich-Position zu kommen. Überlastungen sind da eher ungewöhnlich. Bei den danach kommenden Plasma-Bargraphs stellt(e) sich das Problem machanischer Überbeanspruchung nicht mehr.

Bei den von Euch beschriebenen Experimenten nimmt der kluge Tonverantwortliche die VUs von der Leitung, auch wenn die VU-Norm (wie ich neulich schon einmal in Roberts Forum darlegte) ANSI C16.5-961 verlangt, dass ein VU-Meter kurzzeitig (0,5 s) um 20 dB über 0 VU und dauernd mit 14 dB über VU übersteuerbar sein muss, ohne dass die Kalibrierung leidet, geschweige denn das Messwerk über den Jordan geht. Ob der Hersteller des VU-Meters sich allerdings um diesen Normenbestandteil gekümmert hat, merkt man aber immer erst hinterher....

Die normale Vollaussteuerung liegt bei entsprechender Einmessung (man kann ja machen, was einem opportun erscheint) hierzulande bei 1,55 V bei einem Fluss von 514 pWb/mm. Darüber kann man hinausgehen, wenn die Modulation das erträgt. 528 erreicht den Klirrfaktor von 3 % bei 1 kHz mit 7 dB über dem Bezugsfluss von 514 pWb/mm (vulgo "Vollaussteuerung"). D. h. bei + 7 dB hört man deutlich, dass da bereits etwas 'los' ist. Das sind dann 3,5 V, für die man keinen Verstärker, sondern allein Rays Mischpult braucht, das diesen Wert (davon schrieb ich oben schon einmal, wenn auch zum 911) spielend erreicht.

Michael fragte nach einer reduzierten Aussteuerung unter TelcomC4; derlei ist gemacht worden, fällt aber gerade beim Rundfunk etwas aus dem Rahmen. Ideal ist das auch nicht, weil ja die begrenzte Auflösung des Signales beim analogen Aufzeichnungsverfahren vom Rauschminderungssystem nicht verändert wird. Das bleibt bei den rund 1000 Pegelstufen, die man wiedergaben kann, sofern man das Band sinnvoll ausgefahren hat.

Nachdem selbst bei 528 (einem Kompromissband) der Klirrfaktor bei Vollaussteuerung 514 pWb/mm nur etwa 0,4 % erreicht, besteht eigentlich kaum eine Notwendigkeit die Aussteuerung massiv zu senken.

Wie allerdings Klassikplatten besser klingen sollen, wenn sie mit mehr als + 3 dB ausgesteuert werden, ist dein Geheimnis, lieber Grasso. Ich überwach(t)e den Klirrfaktor, ruder(t)e mit den Augen in der Partitur neben der laufenden Musik her, still hoffend, dass keiner der Musici 'verrückt' spielen würde, denn das bedeutete Sättigung. Der subjektive und messbare Geräuschspannungsabstand war schon mit DOLBY A weit besser als der der Platte, vom Klirrfaktor und den sonstigen Engpässen des LP-Abtastverfahrens schweigen wir dabei lieber. Ich fürchte, dass dir bei klassischer Musik eher die Mängel des technischen Verfahrens Platte aufgefallen sind, als solche der Aufnahme, denn die sind ja nicht von Pappe. Dies kann man mit Klirrerscheinungen der Aufnahme natürlich ein wenig maskieren. Das aber kommt bei klassischer Musik ja nicht in Frage, denn eine Flöte mal so eben in Richtung Violine abzutönen, wird nicht toleriert. Höre ich mir heute an, was ich vor dreißig Jahren als beispielhafte LP apostrophierte, so überkommt mich trotz mittlerweile wesentlich schlechteren Gehöres ein mittlerer Lachkrampf. Die Abhöre analog geschnittener Bänder hat so ihren eigenen sportlichen Reiz für mich, doch was soll das? Analoge Tonaufnahmen beschreiben erstmals klanglich hochwertig eine ganze Epoche, das macht die Sache für mich spannend, fordert mich zur Auseinandersetzung heraus.

Einschwingvorgänge:
Abgesehen von den langen Einschwingvorgängen bei klassischer Musik (bei der Orgel bis in den Sekundenbereich!) bleibt festzustellen, dass gerade das analoge Aufzeichnungsverfahren mit Einschwingzeiten glänzt, die nicht eben unerheblich sind. Letztlich reden wir in diesem Thread ja genau darüber. Außerdem sind die Einschwingzeiten von TelcomC4 nicht zuletzt aufgrund der geraden (also dem dB-Maßstab folgenden) Kennlinien allemal besser als die des rund 10 Jahre älteren DOLBY A. Eine weitere Optimierung hätte mehr als vier Kompanderkanäle erfordert, was schlichterdings zu aufwändig und zu teuer gewesen wäre. Und gekostet hat das Material ja heftig. Wenn man Rechtecksignale in eine Serienschaltung eines Aufnahme- und Wiedergabe-Telcomzugess wobbelte, kam da etwas heraus, was das zugehörige Bandgerät 'mores' lehrte. Also, am DOLBY oder am TELCOM lag es nicht. Damals musste man eindeutig nach dem noch leistbaren Aufwand fragen ("ist das nötig?"), was uns Rechnergläubigen heute völlig abhanden gekommen ist. Das gilt auch für die mich gelegentlich verwundernde Impulsdiskussion; wo kommt das in den 100 Dezennien unserer Musikgeschichte vor, die ja geradezu notorisch den allseitig geschlossenen Raum favorisiert?

Ende der Predigt.
Ite, missa est.

Hans-Joachim
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[Kein Betreff] - von Ray - 13.12.2004, 16:59
RE: M15+Telcom c4 - von user-332 - 13.12.2004, 17:10
[Kein Betreff] - von Michael Franz - 13.12.2004, 17:22
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