A77 Fragen zur Instandsetzung
#23
Lieber Basti,

solange ich hier im Forum schreibe, dränge ich den Nutzer von Geräten (also auch Messgeräten), seinen individuellen Möglicheiten entsprechend ein Verstehen dessen zu entwickeln, was bei der Verwendung dieser Geräte geschieht. Analoge Technik kam ausschließlich deshalb schon vergleichsweise früh -am kommenden Sonntag jährt sich der Todestag Dr. Walter Webers zum 66. und der Geburtstag Oskar Salas zum 100. Male- zu den bekannten hochwertigen Leistungen, weil man Engpässe bei der Wandlung (z.B. Mikrofone), Bearbeitung (z.B. Verstärker im weitesten Sinne, also z. B. auch Filter und Bearbeitunsgeräte), Speicherung (mechanisch und elektromagnetisch) durch genaue Kenntnis der Probleme geschickt umfuhr.

Wenn du also weißt, was du von deinem Funktionsgenerator zu erwarten hast, kannst du durchaus zu aussagefähigen Ergebnissen -gerade bei der Beurteilung des 'respektablen' Klirrfaktors eines analogen Magnetofones- kommen. Der ist nämlich da, wo man ihn primär erfassen will, ziemlich hoch. Wie übrigens auch der des menschlichen Gehöres.
Dennoch will man in einer Kette aus Generator, Prüfling und Messbrücke des öfteren auch 'mehr' und dabei beispielsweise dann in kritischere Größenordnungen vorstoßen, wenn man den Klirrfaktor eines Mikrofon- oder gar Lineverstärkers erfassen will, der heute weitgehend problemlos unter 0,1, ja 0,01 % % zu halten ist.

Dein Lösungsansatz des nachträglichen Abzuges eines primären 'Fehlers' ist dabei nur sehr bedingt, zumeist aber gar nicht möglich, was das Angebot einer klirrarmen Ansteuerung des Prüflings ebenso voraussetzt wie die hohe Empfindlichkeit und klirrfaktorarme Weiterverarbeitung des Prüflingsausgangssignales auf der Seite der Messeinrichtung. Da haben sowohl dein eigentlich für etwas andere Zwecke geschaffener XR 2206 als auch die Klirrfaktormessbrücke KB55 von Hartmann & Braun ihre spezifischen Schwierigkeiten. Die KB55 entstammt wie auch das RV55 einer anderen Epoche, der die -betagte- A77, wenn auch als revolutionäre Konstruktion auf dem Amateurmarkt der späten 1960er, bereits entwachsen war. Die Empfindlichkeit der passiven KB55 ist für heutige Messpraktiken zu gering, weshalb du ihr in der Regel einen Zusatzverstärker übrigens auch einer für den Messling geeigneten Eingangsimpedanz (und minimalen Eigenklirrfaktors!) wirst vorschalten müssen.

Wenn man Freude an historischer Messtechnik besitzt und das entsprechende Fachwissen erworben hat, lässt sich aus der Anwendung von RV555 und KB55 sehr viel auch für die akustische Seite neuester Medientechnik lernen und eben Freude aus der noch immer erfolgreichen Anwendung 50 Jahre alter Messtechnik ziehen. Damit hat es sich dann aber.

Wir können gerne über RV55, KB55 und FO55 diskutieren, da sie als funktionstüchtige Geräte und Schaltungen in meinem Besitz sind; dennoch lasse ich es einstweilen eher mit dem Angebot bewenden als medias in res zu gehen, weil das von anderen Persönlichkeiten, die hinter meinen Kenntnisständen weit zurückbleiben, allzuleicht als "ausartend" empfunden wird. Derartige Verdikte lässt man sich als hinreichend sensibler Mensch dann nicht so gerne vorhalten, wenn man definitiv absieht, inwieweit und mit welchen Mitteln Kenntnisdefizite bei besagtem Personenkreis abgebaut werden müss(t)en.

Du solltest dich beispielsweise vielleicht damit beschäftigen, was der "Klirrfaktor" eigentlich ist, denn er gehört in Gestalt der Klangfarbe (Pegelverhältnisse der Partialtöne zueinander) zu den ganz elementaren Erfahrungen des nicht nur menschlichen Hörens und Gehörs (dem Organ und dem nachgeschalteten Hochgeschwindigkeitsrechner mit denkbar eigentümlicher Datenbank), das unter manchem anderen auch ihn -den Klirrfaktor- ohne unser bewusstes Wissen als Informationsquelle vielfältig ausgewertet.

Entwickelt man hier einigermaßen sattelfeste Kenntnisse -die Geschichte der naturwissenschaftlich korrekt erschlossenen Partialtonlehre beginnt durch Sauveur vor dem Jahre 1700 in einem Vortrag vor der frz. Aklademie der Wissenschaften (....), musikalisch handwerklich ist sie aber Jahrhunderte älter, verliert das vielfach aberwitzige Geschwurbel der High-Endies und so manches Musikers (ich bin 'an sich' einer) allerlei von seinem esoterischen Schrecken. Bei genauer Beschäftigung mit dem Thema lernt man zu durchschauen, worüber die Herrschaften sprechen, ohne dass sie wüssten, wovon sie reden, weshalb sie die Ursachen gewisser Beobachtungen -so sie überhaupt real sind- in der Regel an Orten suchen, wo sie definitiv nicht begründet sind. Das gilt umso mehr, als unser Gehör -gottlob- alles andere als ein objektives Wahrnehmnungsorgan ist: Ockeghem, Bach, Mozart, Reger, die Beatles und Pink Floyd hätte miserable Karten für ihren Publikumserfolg (gehabt), würde unser Gehör exakt das erkennen, was wirklich 'ist'.


Für dich könnte neben den handwerklichen und auch handfest durchschaubaren und daher wichtigen Gehversuchen mit den Krücken XR2206 und RV55 (nebst Zubehör) ein 'Software-Messplatz' nützlich sein, den es für sehr überschaubares, also kleines Geld (aber natürlich auch mit eigenen Grenzen) in Gestalt besipielsweise des "audiotesters" gibt. Dazu benötigt man eine in Klirrfaktor und Frequenzgang ordentlich spezifizierte, 'bröselfreie' Soundkarte (oder einen per USB, SPDIF oder sonstwie mit dem Rechner kommunizierenden Wandlerverstärker), womit man sehr weit kommen kann. --- Wenn man weiß, was man tut: Und eben das lernt man mit jenen "Krücken" der historischen Messtechnik allemal besser als entlang der abstrakten Bedienungsoberflächen einer Software, die zu den tatsächlichen messtechnischen Vorgängen 'im Hintergrund' per se ja nichts aussagt.

Analoge Technik läuft nicht in 'black boxes'!
Und: Ein "Experte" ist nicht nur jemand, der mir in seinen 'Expertisen' ausschließlich "Richtiges" mitteilte.

Hans-Joachim
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