Aber "Eisenbahn" gibt es doch!?
Da habe ich gerade kürzlich ein Dia eingescannt, das den blutjungen Holgi im Jahre 1983 auf "seiner" Dampflok zeigt, der "Graf Bismarck XVI" (DEW Lok 6) bei der Dampfeisenbahn Weserbergland in Rinteln!
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Damals standen Bandmaschinen etc. noch nicht so hoch im Kurs bei mir (ich hatte aber eine). Meine Wochenenden und Urläube wurden meist in Rinteln verbracht. Das war so von 1977 bis 1999. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war ich noch Heizer, ein Jahr später folgte dann die Reglerberechtigung und im Frühjahr 1985 hatte ich dann mein Patent als Dampf- und Diesellokführer in der Tasche! Noch zehn Jahre zuvor hätte ich nicht zu träumen gewagt, dass ich mal selbst am Regler stehen würde. Da war ich noch "normaler" Dampflokfan, der sich mit Fotos und Super 8-Filmen zufrieden gab.
Es war die schönste Zeit meines Lebens, in der ich immer das Gefühl hatte, meine Freizeit wirklich sinnvoll zu verbringen, indem ich meinen Teil dazu beitrug, alte Eisenbahntechnik für die Nachwelt zu erhalten. Und wir waren eine tolle Truppe aus lauter prima Jungs und Mädels, die nicht nur zusammen gearbeitet, sondern auch ausgiebig gefeiert haben! Auch meine jetzige Frau habe ich bei der DEW kennengelernt.
Mein(e) Planheizer(in) von 1985 bis 1989 war übrigens tatsächlich ein Mädel, die damals 19-jährige Kirsten, mit der ich
niemals wegen Dampfmangels liegengeblieben bin; wohl aber mit dem einen oder anderen männlichen Heizer, der sich für eine Koryphäe hielt. Davon abgesehen, dass der Dienst mit einer Frau auf dem Führerstand natürlich wesentlich "anregender" ist, als mit einem Kerl, sofern man nicht schwul ist. Es war immer so eine leicht knisternde Atmosphäre, und dieses Knistern kam nicht vom Feuer!
:love:
Genützt hat es letztlich alles nix; die Graf Bismarck XVI fährt jetzt, erheblich umgebaut, ihres Mischvorwärmers beraubt und kornblumenblau lackiert, bei einer französischen Touristenbahn... ;(
Die damals noch komplett erhaltenen Anlagen des Kleinbahnhofs Rinteln Nord der Rinteln-Stadthagener Eisenbahn (RStE), incl. Werkstatt mit Schmiede und originalen Maschinen von 1900, Bahnmeisterei, Triebwagenschuppen, Ladestraße, Gleiswaage und etlichen Gleisen, sind vor wenigen Jahren einem unbedingt nötigen Einkaufszentrum geopfert worden. Lediglich der denkmalgeschützte Lokschuppen (und ein paar Restgleise) ist erhalten und zum Glück in der Hand eines kleinen Vereins, der ihn hegt und pflegt. Die Strecke und ihr umkämpftes Schicksal ist eine andere Geschichte, die ich hier nicht vertiefen möchte. Sie liegt aber noch und wird ab und zu von einem Schienenbus und einmal im Monat vom Dampfzug befahren.
Vor 35 Jahren qualmte jedenfalls noch unsere Lok beim Anheizen neben dem historischen Wasserturm in der winterlichen Morgensonne:
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Das sind so bestimmte Stimmungen, Erfahrungen und Momente, die man sein Leben lang nicht mehr vergisst.
Morgens um vier das Anheizen, wenn alles ringsum noch schläft. Schlaftrunken und frierend klettert man auf den Führerstand, schafft das schon am Vortag zerkleinerte Anheizholz hinauf, wirft eine brennende, in zwei oder drei Teile gebrochene Wachsfackel auf die gut 2 m² Rostfläche und verteilt das Holz darauf. Ein prüfender Blick zum Wasserstandsanzeiger: alles klar, Wasser zwei Finger breit über der "NW"-Marke, das reicht! Knisternd fressen sich die Flammen durch die zerkleinerten Paletten auf dem Rost.
In der ersten Stunde kann man vor beißendem Qualm nicht aus den Augen kucken und verbringt die Zeit meist aus dem Fenster hängend auf der Lok, bis der Rauch endlich seinen Weg durch die Heizrohre des Kessels zum Schornstein findet. Dann wird es Zeit, die ersten zehn Schippen Steinkohle aufzuwerfen, gut faustgroße Knabbeln aus dem Ruhrpott, später aus Polen. Nicht zu viel, sonst quiemt man die ganze Gegend ein; in geringer Entferung stehen ja Wohnhäuser!
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Gegen fünf Uhr. Bodennebel liegt über den nahen Wiesen, es ist still. Ab und zu knackt es im Feuer, sonst hört man nichts. Träge wälzt sich der Rauch aus dem Schlot; noch zieht der Hilfsbläser nicht, der die Verbrennung anfachen könnte. Der Heizer hat etwas Muße, kann über dies und jenes nachdenken.
Dann kümmert man sich um die sonstigen Bedürfnisse der Maschine. Die Zentralschmierpumpen für die Zylinderschmierung und die Achslager bekommen ihre Ölration und werden durchgekurbelt, ebenso die Schmierpresse der Luftpumpe. Ein Blick in die Rauchkammer zeigt, dass der Funkenfänger vorhanden, eingebaut und in einwandfreiem Zustand ist. Fein. Nach dem erneuten Aufwerfen von fünf, sechs Schaufeln Kohle (es sind jetzt etwa 1,5 Stunden seit dem Anstecken vergangen) zeigen sich die ersten gähnenden Gesichter an den Fenstern des Übernachtungswagens. Auch ich als Anheizer frühstücke schnell eine Scheibe Brot, eine Tasse dünnen Kaffees.
Es wird Zeit zum Abschmalzen! Alle Schmiergefäße an Triebwerk und Steuerung werden mit Achsöl befüllt, die Schmiernadeln auf leichten Sitz und die Dochte auf Vorhandensein überprüft. Ein paar Ölbohrungen ohne Vorratsgefäße gibt es auch noch, etwa an den Brems-Hangeisen. Auch die bekommen ein paar Tröpfchen des goldenen Stoffes. Aus dem großen Fass im Lokschuppen werden die Ölvorräte nachgefüllt.
Danach wird, meist mit der Assistenz von ein paar jungen Hiwis, die Putzwolle geschwungen, um die Lokomotive in einen ansehnlichen Zustand zu versetzen. Ein Gemisch aus heißem Wasser und etwas Heißdampföl wird in einen Eimer gefüllt und damit Kessel und Zylinder abgewischt, bis alles glänzt wie eine Speckschwarte! Triebwerk, Führerhaus und Wasserkästen werden trocken oder mit etwas Petroleum abgewischt. Aber nicht vergessen, zwischendurch immer wieder ein Blick ins Feuer, zum Wasserstand und aufs Manometer zu werfen.
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Kurz nach sechs Uhr, jetzt beginnt der Kessel in seinem Inneren leise zu singen! Millionen von Siedekeimen steigen aus dem Wasser auf und zeugen von zunehmender Wassertemperatur. Ab und zu knackt es, wenn sich der stählerne Hohlkörper in seinen Gleitschuhen am hinteren Ende streckt. Immerhin wird er im warmen Zustand bei vollem Druck (Wassertemperatur dabei ca. 180 °C) gut einen Zentimeter länger! Die Gleitschuhe brauchen daher auch ab und zu mal 'n büsch'n Öl.
Dann ist es soweit, das Manometer zeigt die ersten Regungen. Nun wird es nicht mehr lange dauern, bis die Lok selbstständig fahren kann... Bei rund 3 bar kann endlich der Hilfsbläser angestellt werden, der über einen an der Oberseite gelochten Ring, der um den Blasrohrkopf liegt, einen Unterdruck in der Rauchkammer erzeugt und dadurch mehr Luft durchs Feuerbett saugt. Es qualmt nur noch aus dem Schornstein, nicht mehr aus der Feuertür! Nach drei Stunden steht der Zeiger auf fünf, sechs "Dingern" und nun werden die Wasserstände geprüft und durchgeblasen. Alles paletti. Eine Stopfbuchse des oberen Wasserstandsventils muss etwas nachgezogen werden, das erledigt man ruckzuck mit dem 36er Schlüssel.
Acht Uhr. Der Zeiger des Kesselmanometers ist nun nicht mehr aufzuhalten. 9 bar. Vorausgesetzt, man hat das Glas des Druckmessers immer schön im Uhrzeigersinn geputzt, bewegt sich auch der Zeiger in diese Richtung (alter Lokführerschnack! ^^ ).
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Auf dem Gelände vor dem Lokschuppen finden sich die ersten Schaulustigen und Fotografen ein, bis zur Abfahrt des ersten Zuges verbleiben noch rund 80 Minuten. Der Kesseldruck muss jetzt etwas gebremst werden, sonst wird die überschüssige Energie über die Sicherheitsventile in den Himmel geblasen. Und das bei Kohlepreisen um 250 DM/Tonne! Das muss unbedingt vermieden werden. Zuerst wird daher der Bläser auf das Mindestmaß gedrosselt, so dass der Qualm gerade noch nicht aus den Ritzen und Luftlöchern der Marcotti-Feuertür quillt. Dann Luftklappen am Aschkasten zu, das drosselt die Sauerstoffzufuhr ebenfalls. Der rote Strich am Manometer befindet sich bei 14 kg/cm², der Zeiger steht jetzt auf 11. Aber es müssen ja sowieso noch ein paar Sachen geprüft und in Betrieb genommen werden, bevor die Reise beginnt, die wiederum etwas Dampf verbrauchen: die Turbine der Lichtmaschine wird angelassen. Das muss langsam und vorsichtig geschehen, damit die empfindlichen Turbinenschaufeln keinen Wasserschlag erleiden. Zwischendurch noch mal kurz zudrehen, damit das Kondenswasser durch das automatische Entwässerungsventil entfleuchen kann.
Wenn der Generator gleichmäßig vor sich hin brummt und seine geregelten 24 V/500 W für die Lokbeleuchtung liefert, werden die Speiseeinrichtungen gecheckt. Die relativ moderne (Bj. 1949) Graf Bismarck hat dafür eine saugende Dampfstrahlpumpe mit 180 l/min Förderleistung auf der Lokführerseite und eine 180er Turbo-Kreiselpumpe mit Henschel-Mischvorwärmer Bauart MVT auf der Heizerseite. Die wird nur kurz angestellt, da das Wasser im Mischvorwärmerkasten noch fast kalt ist. Das mag der Kessel nicht (Materialspannungen!). Sie kommt erst während der Fahrt und bei den Unterwegshalten zum Einsatz, wenn der Abdampf der Maschine das Vorwärmerwasser auf 90-100 Grad erhitzt hat.
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Saugende Strahlpumpen machen manchmal "Menkenke", wenn sie wegen eines undichten Rückschlagventils durchgewärmt sind; dann saugen sie nicht an. Hier hilft dann nur ein Schwall kaltes Wasser über das Pumpengehäuse. Dann: Wasserhahn halb auf, Dampfventil erst nur wenig öffnen, und wenn das Schlabberventil "pling" macht, Dampfventil schnell weit auf. Ein Blick zum Schlabberrohr unter dem Führerhaus: kein Wasser, also arbeitet der Injektor korrekt. Alles klar, die Pumpe drückt nun mit dem typischen rauschenden Geräusch das Wasser in den Kessel, wobei sie das vermeintliche Kunststück schafft, den Kesseldruck zu überwinden, aus dem sie selbst gespeist wird! Wunder der Physik...
Erfreulicher Nebeneffekt: durch das Speisen sinkt der Kesseldruck wieder um ein, zwei Striche.
Der Führerstand wird mit dem Spritzschlauch von Kohlenstaub gereinigt, damit das Personal bei Dienstschluss nicht aussieht, wie die Bergleute. Auch der Stehkessel und die Armaturen werden mit dem Lappen abgewischt; man möchte ja einen Arbeitsplatz haben, auf dem man einigermaßen sauber bleibt und sich nicht wie ein wandelnder Ölkanister vorkommt!
Inzwischen ist der 'Meister' eingetroffen, wie der Dampflokführer traditionell genannt wird und nach Begrüßung und einem kurzen Schnack fragt ihn der Heizer, ob er ihm die Wasserstände vorführen soll (ist so vorgeschrieben, wenn ein Vorgesetzter den Führerstand entert), was der Kollege aber lachend ablehnt: "Wenn der Kessel in die Luft fliegt, weil kein Wasser drauf ist, gehst du ja mit drauf!" Da hat er recht und deshalb wird sicher auch kein Heizer beim Überprüfen der Wasserstandsanzeiger schlampen. ^^
Der Meister dreht als erstes das Anstellventil der zweistufigen Luftpumpe auf. Die nimmt daraufhin emsig ihre Arbeit auf, wobei bei jedem Hub ihrer schwungradlosen Dampfmaschine ein knallender Abdampfstrahl aus dem Rohr hinter dem Schornstein entweicht. Wenn der Hauptluftbehälter auf 8 bar aufgepumpt ist und die Pumpe, gesteuert durch den Pumpendruckregler, abschaltet, was so um die zwei, drei Minuten dauert, werden die Bremsen und der Sandstreuer überprüft. Dafür muss der Heizer noch mal runter und nachsehen, ob alle Bremsklötze anliegen und unter allen Sandfallrohren ein kleines Häufchen Bremssand liegt. Wenn nicht, muss die Sandtreppe am Sanddom auf dem Kesselscheitel mit dem Hammer bearbeitet werden. Oder das Rohr, je nachdem, wo die Verstopfung sitzt.
Um die Geschichte nicht zu einem Roman expandieren zu lassen, beende ich meine Schilderung an dieser Stelle. Die Zylinder werden vorgewärmt und die Lokomotive setzt sich dann bald an den Zug, den die Rangier-Köf schon am Bahnsteig bereitgestellt hat und pünktlich um 9 Uhr 30 hebt der Zugführer die Kelle. Ab durch die Mitte!
Wenn der Heizer bis dahin gute Arbeit geleistet hat, sind die Sicherheitsventile in diesem Moment schon am Vorblasen und der Zug fährt mit vollem Kesseldruck von 14 atü in die Steigung nach Steinbergen ein....
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Und diesen Moment, wenn man den Reglerhebel nach links schiebt und die ersten Auspuffschläge in den blauen Himmel schießen und man anschließend mit 40 % Zylinderfüllung die Steigung nach Steinbergen raufkracht, vermisse ich am meisten. Das ist unbeschreiblich. Da lief mir auch nach Jahren noch eine Gänsehaut den Rücken runter. Sending chivers down my spine.... Droge Dampf.
Und das ist der Unterschied zu allen modernen Triebfahrzeugen und der Grund, warum viele alte Dampflokmänner in vergangenen Jahrzehnten mit Tränen in den Augen von ihren Rössern Abschied genommen haben. Die Dampflok hatte etwas von einem Lebewesen, sie war bei allem Dreck und Krach, trotz polierter Knochen und Brandblasen, eine 'menschliche' Maschine, die ihre Macken und Eigenheiten hatte, die man aber kannte und durchschauen konnte und die ein guter Lokführer wie selbstverständlich zu beherrschen wusste.
Sie war mehr als nur ein Arbeitsplatz. Ein Arbeitsplatz freilich, den
heutzutage kaum noch jemand zum Broterwerb haben möchte. Zu bequem sind die Menschen geworden, zu verwöhnt sicher auch. Deshalb sucht zum Beispiel die Harzer Schmalspurbahn händeringend Lokpersonale. Schon jetzt werden einzelne Dampfzüge durch Diesel ersetzt. Wer weiß, wie lange es im Harz noch dampft...?
Entschuldigt bitte, aber es hat mich überkommen. Ich wollte das einfach mal so aufschreiben, wie der Dienstbeginn auf einer Museumsbahndampflok so abläuft. Und wie es früher war. Und wie es nie mehr sein wird.
Ich hoffe, es hat euch nicht gelangweilt!
LG Holgi