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Normale Version: Yardbirds: Konzertbericht Tübingen
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Als London Mitte der 60er kurzzeitig zur Metropole der Popmusik avancierte, spielten dort die Yardbirds zusammen mit ihren Kollegen, den Beatles, den Stones, den Kinks, den Animals und vielen anderen mehr. Anfänglich auf den Blues festgelegt hatten sie hier der Konkurrenz ein Trumpfass voraus: Der junge Eric Clapton spielte nach Meinung namhafter Kritiker die beste Bluesgitarre in England, die "Clapton is God"-Parolen begeisterter Fans wurden in dieser Zeit an die Londoner Hauswände gemalt.

Clapton war sensibel, introvertiert, der ganze Rummel war ihm zuviel und vor allem: Er wollte Blues spielen und sonst nichts. Seine Kollegen hingegen suchten auch den kommerziellen Erfolg und wandten sich verstärkt dem Pop und Rock zu. Clapton stieg aus und wurde ersetzt durch Jeff Beck. Der ist auch heute noch ein ewiges Talent, der hin und wieder sein Können aufblitzen und sein Potential erahnen läßt, ohne dauerhaft Großes zu erreichen. Mit Beck machten die Yardbirds Ausflüge ins Psychedelische und erlebten nach Meinung vieler ihre interessanteste Zeit.

Jimmy Page stieß hinzu, der als Studiomusiker auf vielen britischen Blues-Platten zu hören war. Beck und Page spielten eine Zeit lang nebeneinander, dann verließ Beck die Band. Als diese sich etwas später ganz auflöste, plante Page eine eigene Band mit dem Namen "New Yardbirds". Er hat dann umdisponiert und nannte das Projekt "Led Zeppelin".

Die Yardbirds verschwanden in der Versenkung, blieben vielen Fans als Legende in Erinnerung, wurden auf ihre 3 großartigen Gitarristen reduziert und ansonsten vergessen. Mitte der 70er kaufte ich mir bei 2001 einen Sampler und war vom Material und vom Sound enttäuscht. Das war eine der zweifelhaften Compilations, wie sie zu Dutzenden von verschiedenen Bands im Umlauf waren. Auch für mich waren die Yardbirds fortan nur noch ein Name, verbunden mit vagen Vorstellungen. Nochmals ans Tageslicht kamen sie kurzeitig durch den tragischen Tod ihres Leadsängers Keith Relf.

35 Jahre nach ihrer letzten Veröffentlichung erschien ein neues Album, Birdland. Andreas hat es mir zukommen lassen, und mit eher gemischten Gefühlen habe ich es mir angehört. Die Jungs waren nicht so vermessen, nur Neukompositionen vorzustellen. Diese gab es auch, waren ganz ordentlich, erreichten aber nicht ganz die Klasse der alten Stücke. Dafür waren sie brillant musiziert und fielen deshalb keinen Deut gegen die neu eingespielten Großtaten vergangener Tage ab. Deren Neueinspielung finde ich insofern berechtigt, da die Yardbirds nur ein reguläres Studioalbum eingespielt hatten. Die meißten Hits fanden sich auf Live-Mitschnitten. Die Neueinspielungen waren keineswegs ein Abklatsch des Bekannten sondern wurden perfekt dargeboten und sind eine Alternative zu den bekannten Versionen. Unüberhörbar war die Spielfreude dieser für ihre Liveauftritte bekannten Band.

Das machte Lust auf ein Konzert in Twist, wo ich im Herbst letzten Jahres Inga Rumpf erleben durfte. Mangel an Zeit bei mir und Mangel an Gesundheit bei Andreas ließen dieses Vorhaben platzen. Um so erfreuter war ich, daß die Band ein einziges Konzert in Deutschland für das Jahr 2004 nachschob - und das direkt vor meiner Haustür im Sudhaus in Tübingen.

Das Konzert begann so, wie alle Rock-Konzerte anscheinend beginnen müssen: Mit Verspätung. Einlass sollte um 19.00 Uhr sein, um 20.30 war die Schlange bis an die Straße hinaus gewachsen. Das Publikum war vorwiegend älter - da wurden erkennbar die Heros der Jugendzeit besucht. Wie man an den Akzenten der Umstehenden hören konnte war das Einzugsgebiet der Band beachtlich. Mit unverkennbar hessischem Zungenschlag äusserten ein paar alte straßenkampferprobte Kämpen, die wohl schon Seite an Seite mit unserem Aussenminister Steine geworfen hatten, ihre Mißbilligung und sprachen von "etwas tun müssen" und "Intitiative ergreifen". Sie versuchten, Sprechchöre zu initiieren und gaben dann resigniert auf, weil die braven Schwaben lieber wie die Lämmchen in der Schlange warteten. Ich war ganz froh, daß dann die Türen auch ohne Randale aufgingen.

Eine Vorband mußte natürlich sein. Diese schwäbelte unüberhörbar, nannte sich trotzdem "Chicago Blues Band" und spielte langweiligen 12-Takt-Blues der durchschaubaren Sorte. Die Originalität beschränkte sich auf die knallgelbe Jacke des Sängers und das quietschgrüne Pendant des Bassisten, wenn man mal vom Kaiser-Wilhelm-Bart des Gitarristen absieht. Nicht daß die Jungs schlecht gewesen wären - aber ich finde Blues langweilig, wenn er nicht excellent gespielt wird. Diese Band war allenfalls "nicht schlecht", also nicht gut genug.

Der Klassenunterschied wurde mit Auftreten des Hauptacts deutlich: Locker und ohne Allüren kamen die Yardbirds auf die Bühne, begrüßten freundlich das Publikum, kein verkrampftes Posieren, alles wirkte entspannt und natürlich. Jeder brachte sein Instrument mit und spielte es während des ganzen Konzertes. Selbst drittklassige Bands leisten sich heute eine Armada von Ersatzgitarren, die von speziellen Gitarrenroadies ständig gestimmt und dann den Möchtegern-Meistern überreicht werden. Es tat gut, diesen geradezu minimalistischen Aufwand zu sehen.

Schlagzeuger und Rhytmusgitarrist stammen aus der Urbesetzung, in der gleichen Altersklasse der Leadgitarrist, ereblich jünger der Mundharmonikaspieler und der Bassist, der zugleich Leadsänger ist. Jeder der Musiker hat ein Gesangsmikrofon und benutzt es oft und ausgiebig.

Die Musiker verstehen sich blind. Das übliche Anzählen entfällt, Drummer oder Basser fangen mal an, der Rest steigt nach ein oder 2 Takten ein und ab geht die Post. Der Song gewinnt schnell an Fahrt, hebt ab und ist mit einem kurzen, prägnanten und immer einfallsreichen Schluß zuende, dann, wenn es am schönsten ist. Eine Songidee über 2 LP-Seiten zu zerdehnen war zu Yardbirdszeiten noch nicht üblich.

Ich meinte eine Atmosphäre zu spüren, wie sie wohl in London in den 60ern in den diversen Beatkellern geherrscht haben mag. Was man zu hören bekam, wirkte wie eine Modellhafte verkleinerung all dessen, was später in den 70ern wichtig und Mode werden sollte. Klar spielte jeder sein Solo, bei dem er sein Können zeigen durfte - aber diese Soli waren wie die Songs kurz und knackig. Der Harmonika-Spieler der sonst kein anderes Instrument bediente sorgte für eine solide Blues-Erdung wie bei den Stones, aber der Blues war nur ein Stilmittel von vielen. Die Kompositionen waren eingängig und zugleich komplex, so wie später bei den Beatles, der harmonische Sattgesang nahm die Hollies und die Beach-Boys vorneweg, der ganze Auftritt war energiegeladen wie man es später von den Who sagen würde, pschychedelische Abgedrehtheit gabe es, aber anders als die Grateful Dead brauchten die Yardbirds keine 30 Minuten um sich im musikalischen Nirvana zu verlieren, ihnen genügten 30 Sekunden, und ebensoschnell wie überraschend fanden sie wieder zum Thema des Songs zurück.

Es wurde mir klar, was für einen Einfluß diese Band gehabt haben muss und warum viele aktuelle Musiker auch die Yardbirds zu ihren musikalischen Wurzeln zählen.

Nach 2 Stunden und 3 Zugaben ist alles vorbei. Ich gehe ins Freie und werfe nochmal ein Blick auf das Plakat, auf dem ein Zitat von Jimmy Page aus dem Jahr 2003 steht: "Ich habe die Yardbirds live gesehen und sie waren verdammt gut." Dem ist nichts hinzuzufügen. Ihre Mitstreiter aus alten Zeiten, die Stones, habe ich im letzen Sommer in München gesehen. Sie füllten das Olympiastadion, und dieser Museumsbesuch war natürlich ein ganz besonderes Erlebnis. Aber es war mehr ein Museumsbesuch, getragen durch die unvergänglichen Songs - die Yardbirds hingegen waren die Lebendigkeit in Person. Jagger, Richards & Co. hätten sich im direkten Vergleich mächtig anstrengen müssen, um gleichzuziehen.

Auf der Homepage der Band sind die Konzertdaten für England zu lesen. Sie scheinen viel zu spielen. Wenn jemand Interesse an einem Ausflug ins UK hat...ich bin dabei.

- Michael -

wz1950

Hallo Michael,

hast Du meine Mail vom 24.5. erhalten? Ich frage lieber mal nach, weil in letzter Zeit mehrfach Mails von mir im Nirvana verschwunden sind. Im übrigen keine Eile!

Wolfgang